Drücken bis der Notarzt kommt

Zum Tag der Ersten Hilfe sollen Passanten an der Bleichwiese in Backnang die lebensrettenden Sofortmaßnahmen üben

Wenn eine Person in eine medizinische Notlage gerät, sind die Umstehenden verpflichtet, Erste Hilfe zu leisten. Wer einen Führerschein besitzt, hat dies gelernt. Doch wie frisch ist das Wissen um die lebensrettenden Sofortmaßnahmen Jahre später? Anlässlich des Tags der Ersten Hilfe haben wir Passanten gemeinsam mit dem DRK Backnang auf die Probe gestellt.

Drücken bis der Notarzt kommt

Unter dem wachsamen Blick von Marius Sinn versucht sich Lilia Demut an der Reanimation. Foto: J. Fiedler

Von Lorena Greppo

BACKNANG. Max liegt regungslos auf dem Boden an der Bleichwiese in Backnang. Er atmet nicht. „Was mache ich jetzt?“, fragt Lilia Demut. Die junge Mutter will Erste Hilfe leisten, ist sich aber nicht ganz sicher, wie. Sekunden verstreichen. In jeder Minute, in der man nichts unternimmt, sinke die Überlebenswahrscheinlichkeit um zehn Prozent, erklärt DRK-Bereitschaftsleiter Jeffrey Grupp. Schnelles Handeln ist also gefragt. Zum Glück ist Max nur die Reanimationspuppe des DRK Ortsvereins Backnang. An ihr sollen die Passanten in Backnang die lebensrettenden Sofortmaßnahmen üben. Grupp und sein Stellvertreter Marius Sinn geben gerne Hilfestellung. Denn einige wollen gleich mit der Herz-Lungen-Massage loslegen. „Wollen Sie nicht erst einmal schauen, ob das überhaupt nötig ist?“, fragt Grupp. Zuerst einmal gelte es, die Person anzusprechen. „Hallo? Hören Sie mich?“ Lilia Demut schüttelt Übungspuppe Max an der Schulter. Keine Reaktion. Nun die Atmung überprüfen. Den Kopf nach hinten strecken und für gute zehn Sekunden das Ohr an den Mund der regungslosen Person halten. Wenn keine Atemgeräusche zu hören sind und der Brustkorb sich nicht bewegt, ist es höchste Zeit, den Notruf zu wählen – und selbst aktiv zu werden.

Angefeuert von ihren Kindern drückt Lilia Demut auf den Brustkorb der Reanimationspuppe ein – 30 mal, im regelmäßigen Rhythmus, dann zweimal beatmen. „Im Kopf habe ich ‚Stayin‘ Alive‘ gesungen“, erzählt sie im Nachhinein. Der 70er-Jahre Song der Bee Gees gilt als Paradebeispiel für den richtigen Takt bei der Herz-Lungen-Massage. Und gibt auch inhaltlich die Marschroute vor. „Sie retten ihn gerade. Sie sind die Person, die ihn am Leben erhält“, sagt Marius Sinn. Deshalb müsse man weitermachen, auch wenn es mit der Zeit anstrengend wird. Drücken bis der Notarzt kommt ist die Devise. Die Beatmung sei nicht ganz so wichtig. Womöglich habe sich der Patient zuvor erbrochen, „dann will man ihm keine Mund-zu-Mund-Beatmung geben“, weiß Sinn. Das sei nicht weiter schlimm. „Hauptsache Sie drücken weiter.“

„Der größte Fehler, den man machen kann, ist nichts zu machen“

Maria Ordonez war schon in der Situation, Erste Hilfe leisten zu müssen. „In Richtung Erbstetten hat es einen Unfall gegeben“, erzählt sie. Eine Person sei aus dem Wagen geschleudert worden und habe nicht mehr geatmet. „Das war ein Schockmoment“, erinnert sie sich. „Man denkt ja immer, man braucht das nicht.“ Weil sie es nun aber besser weiß, hat die junge Mutter erst im Mai einen Auffrischungskurs in erster Hilfe gemacht – auch weil sie richtig reagieren wollte, wenn ihrem Kind etwas geschieht. Sie findet: „Es sollte verpflichtend sein, dieses Wissen regelmäßig aufzufrischen.“ Dass nicht jeder so viel Einsatz zeigt wie Maria Ordonez musste Jens Zschache erleben. Bei einem Radrennen habe er gesehen, wie jemand hilflos am Boden lag. „Die Leute standen daneben wie Schafe“, erzählt er. Er zögert deshalb keinen Moment, geht beherzt auf die DRK-Mitarbeiter zu und übt an Puppe Max. „Das sieht sehr gut aus“, ist die einstimmige Meinung der Ersthelfer.

Sie bekommen an diesem Tag aber auch viele Fragen gestellt, die sie geduldig beantworten. Besonders sorgen sich die Leute, dem Hilflosen die Rippen zu brechen. Jeffrey Grupp beruhigt: „Was da so knackst ist der Knorpel.“ Der wachse aber schnell wieder nach, sodass da kein bleibender Schaden entstehe. Es könne zwar auch mal passieren, dass eine Rippe bricht, schlimm sei das aber auch nicht. „Der größte Fehler, den man machen kann, ist nichts zu machen“, erklärt der DRK-Bereitschaftsleiter. Ähnlich verhält es sich auch in der Frage, wie oft gedrückt werden soll, bis man die Beatmung ansetzt. Der Richtwert ist 30, erklären die Ersthelfer. „Aber wenn sie jetzt nur 25 mal drücken, ist das auch nicht tragisch.“ Und wie lange darf man eigentlich mit der Reanimation weitermachen? „Bis der Arzt sagt, man soll aufhören“, erklärt Sinn. Dass nämlich jemand ohne weiteres wieder aufwache, wie man es aus Filmen kennt, funktioniere im echten Leben so nicht.

Im Einsatz haben die Ehrenamtlichen des DRK schon vieles gesehen. „Manche Leute können es richtig gut und leiten die richtigen Schritte ein“, erzählt Grupp. Vor allem solche, die selbst zum Ersthelfer ausgebildet wurden, Pflegepersonal und Fahranfänger agierten oft vorbildlich. Andere seien mit der Situation völlig überfordert. Dann sei es aber essenziell, den Notruf zu wählen, sodass rasch Hilfe vor Ort ist. Auch von den Passanten zieren sich einige, an der Reanimationspuppe zu üben. Während die Eltern zögern, sind die Kinder oft furchtlos und neugierig, stellen Fragen und wollen auch mal ran.

Als dann aber Katrin Strohmaier an die Reihe kommt, erkennt Marius Sinn schnell: Sie weiß, was sie tut. „Ich arbeite im Gesundheitswesen“, erklärt sie. Ihr letzter Kurs liege noch nicht lange zurück. Die Kenntnisse habe sie auch schon einmal anwenden müssen. „Perfekt war es sicher nicht“, erinnert sie sich. „Aber man schlägt sich da so durch.“ Ihr habe es ungemein geholfen, dass eine Kollegin mit dabei war. „Es ist eine Ausnahmesituation“, sagt Strohmaier. Auch Dennis Ruoff weiß: An der Puppe zu üben ist das Eine, in einer echten Notfall-Situation wird es hektischer. „Ich würde es mir aber zutrauen“, sagt er. Sein Wissen um die Erste Hilfe sei noch recht frisch, vor zwei Jahren habe er in Vorbereitung auf den Führerschein einen Kurs besucht. „Zumindest bruchstückhaft erinnert man sich noch daran.“ Ob er nun 20 Mal oder doch 30 Mal drücken muss, habe er nicht mehr sicher sagen können.