Tübinger Forscher haben 51 Ölgefäße aus Keramik aus dem 6. bis 8. Jahrhundert v. Chr. untersucht. Die Analysen geben Einblick in die faszinierende Welt antiker Düfte.
Phönizische Ölflaschen, gefunden in Mozia, Gebiet V. Datierung 750/740–550/530 v. Chr..
Von Markus Brauer
Forscher unter Leitung der Universität Tübingen und der Complutense Universität Madridhaben Herstellung, Technologie und Inhalte von 51 keramischen Ölgefäßen aus der phönizischen Siedlung Mozia vor der Küste Siziliens analysiert.
Ihre Ergebnisse zeigen die zentrale Rolle von Düften für die Identitätsbildung, die Erinnerungskultur und den interkulturellen Austausch im Mittelmeerraum der Eisenzeit. Die Studie ist im „Journal of Archaeological Method and Theory“ veröffentlicht.
Ölflaschen zum Haushaltsgebrauch
Die untersuchten Gefäße – schlichte, kleine Keramikflaschen mit einer Höhe zwischen 15,5 und 18,5 Zentimeter – stammen aus dem 8. bis 6. Jahrhundert v. Chr. und wurden in der Regel in Gräbern, Häusern und heiligen Stätten gefunden.
„Ihre weite Verbreitung im Mittelmeerraum und darüber hinaus lässt vermuten, dass diese Gefäße vielfältige Funktionen erfüllten“, sagt Adriano Orsingher vom Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie der Universidad Complutense de Madrid und dem Institut für Biblische Archäologie der Universität Tübingen. Gemeinsam mit Dr. Silvia Amicone von der Arbeitsgruppe Archäometrie an der Universität Tübingen leitete er die Studie in Zusammenarbeit mit Universitäten in Italien und im Vereinigten Königreich.
Herkunft und Inhalt auf der Spur
Um die Herkunft der Gefäße zu bestimmen, untersuchte das Team die Zusammensetzung der Keramik. Die Ergebnisse deuten auf einen Herstellungsort im südlichen Phönizien, zwischen dem heutigen Beirut und der Region Karmel, hin.
Eine weitere Analyse der in den Gefäßen erhaltenen organischen Rückstände lieferte Aufschluss über deren ursprünglichen Inhalt und Verwendungszweck. In acht der 51 Gefäße wurden organische Rückstände nachgewiesen, darunter Spuren von pflanzlichen Lipiden sowie Kiefernharz und Mastixharz – deutliche Hinweise auf Duftöle.
„Unsere Forschung bestätigt, dass diese Keramikgefäße zum Transport von aromatischen Ölen verwendet wurden“, erklärt Amicone. „Diese Öle waren mehr als nur einfache Handelswaren. Sie fungierten als kulturelle Verbindungsglieder, als Ausdruck der Identität, die die phönizischen Migranten über das Mittelmeer hinweg begleitete. Sie dienten als Instrumente der Erinnerung, trugen den Duft der Heimat in sich und stärkten gemeinsame Praktiken und Geruchserlebnisse unter den verstreuten Gemeinschaften.“
Kulturraum Mittelmeer
Der Mittelmeerraum der Eisenzeit war geprägt von intensiver Mobilität, Handel und kultureller Verflechtung. Zu den wichtigsten Akteuren dieser Vernetzung gehörten die Phönizier, die als erfahrene Seefahrer, Händler und Handwerker bekannt waren und weit über ihre Heimat in der Levante hinaus Siedlungen gründeten.
Ein wesentlicher Bestandteil der phönizischen Kultur war die Herstellung und Verwendung von aromatischen Substanzen, sowohl für den lokalen Gebrauch als auch für den Export.
Die Studie regt eine umfassendere Neubewertung der Art und Weise an, wie Migration, Handel und kulturelle Zugehörigkeit in der Antike erlebt wurden. „Wir müssen die Mobilität in der Antike neu überdenken, nicht nur als Bewegung von Menschen und Gütern, sondern auch als Zirkulation von Gerüchen, Erinnerungen und sensorischen Traditionen“, konstatiert Orsingher. „Duft ist eng mit Identität verbunden. Er spielt eine entscheidende, wenn auch oft übersehene Rolle in Prozessen der Migration, der Besiedlung und des kulturellen Austauschs.“
Netzwerk aus Duft und Identität
„Unsere Arbeit unterstreicht das Potenzial der interdisziplinären Wissenschaft, auch die immateriellen Dimensionen der Antike zu erschließen“, betont Amicone. „Durch die Untersuchung des Inhalts dieser Gefäße und ihrer Verwendung gewinnen wir einzigartige Einblicke in die Art und Weise, wie Düfte Leben, Landschaften und Identitäten im antiken Mittelmeerraum miteinander verbanden“, fügt Orsingher hinzu.
Hochkultur der antiken Welt
Die phönizische Kultur entstand in den Stadtstaaten der Levante in der Bronzezeit und brachte bedeutende Innovationen hervor, etwa das erste Alphabet, von dem viele heutige Schriftsysteme direkt abstammen.
Bis zum Beginn des ersten Jahrtausends v. Chr. hatten die phönizischen Städte ein ausgedehntes maritimes Netzwerk von Handelsposten bis nach Iberia aufgebaut und ihre Kultur, Religion und Sprache im gesamten zentralen und westlichen Mittelmeerraum verbreitet.
Karthago und die Herrschaft der Phönizier
Im 6. Jahrhundert v. Chr. herrschte Karthago, eine aufstrebende phönizische Küstenkolonie im heutigen Tunesien, über diese Region. Diese kulturell phönizischen Gemeinschaften, die mit Karthago verbunden waren oder von Karthago regiert wurden, nannten die Römer „punisch“.
Das karthagische Reich hinterließ seine Spuren in der Geschichte. Bis heute weitbekannt sind die drei blutigen „Punischen Kriege“ gegen die aufstrebende Römische Republik um die Vorherrschaft im Mittelmeerraum. Darunter war der überraschende Feldzug des karthagischen Feldherrn Hannibal, der eine gewaltige Armee inklusive Elefanten über die Alpen führte, die die junge Römische Republik an den Rande des Zusammenbruchs brachte.