„Dunkelheit und Angst“: Sturzfluten in Afghanistan

Von Von Arne Bänsch und Qiam Noori, dpa

dpa Kabul. Viele Bewohner in der afghanischen Provinz Parwan hatten keine Chance, dem Tod zu entkommen. Mitten in der Nacht kamen die Sturzfluten. Allmählich wird den Helfern das Ausmaß der Katastrophe klar.

„Dunkelheit und Angst“: Sturzfluten in Afghanistan

Einheimische suchen nach Opfern nach schweren Überschwemmungen in der Provinz Parwan, nördlich von Kabul. Foto: Rahmat Gul/AP/dpa

In Afghanistan haben Sturzfluten in der Nacht über 100 Menschen in den Tod gerissen. Ghulam Bahauddin, Chef der nationalen Katastrophenschutzbehörde, berichtete am Mittwoch zudem von mehr als 250 Verletzten in der Provinz Parwan.

Durch die gewaltigen Fluten wurden in der Provinzhauptstadt Tscharikar mehr als 500 Häuser zerstört, Straßen weggespült und Hab und Gut mitgerissen. Viele Kinder, die unter den Schlammlawinen begraben wurden, konnten nur leblos geborgen werden.

Mitten in der Nacht wurden die Bewohner in Parwan von plötzlichen Überschwemmungen überrascht, erzählte eine Sprecherin in der Provinz. Tscharikar liegt von Bergen umgeben nördlich der afghanischen Hauptstadt Kabul. Gleich an mehreren Orten seien die Fluten über Wohnviertel der Großstadt gerauscht. Starker Regen und Sturm zogen zuvor über Parwan, auch in anderen Provinzen gab es Sturzfluten.

Khalil Fasli, ein Provinzrat in Parwan, beschrieb Szenen des Horrors in der Nacht. „Überall war Dunkelheit und Angst. Die Menschen haben sich völlig verirrt, um zu einigen rettenden Plätzen zu gelangen, und drifteten so im Wasser ab“, sagte Fasli der Deutschen Presse-Agentur. „Wenn eine Mutter versuchte, eines ihrer Kinder zu retten, hat ihr die Flut bereits ein weiteres Kind genommen.“

Fernsehbilder des TV-Senders „Tolonews“ zeigten Bagger und Helfer, die am Morgen in eingestürzten Häusern und unter Erdmassen nach Opfern suchten. Dutzende Angehörige warteten vor Krankenhäusern und suchten nach ihren Familien. Doch die Behörden sahen wenig Überlebenschancen, die Opferzahlen könnten im Laufe der Woche noch steigen, hieß es. Die Katastrophe übersteige die Hilfsmöglichkeiten vor Ort. Den Familien wurde schnelle finanzielle Hilfe versprochen.

Das Verteidigungsministerium schickte die Armee nach Parwan, um die Rettungsdienste und Helfer vor Ort zu unterstützen. Bagger der Streitkräfte sollen die Bergungsarbeiten beschleunigen. Soldaten verteilten Lebensmittel- und Hilfspakete an 5000 Familien, wie ein Sprecher der Katastrophenschutzbehörde sagte. Auch die UN-Mission in Afghanistan kündigte Unterstützung an und sprach den Familien ihr Beileid aus.

Präsident Aschraf Ghani sei von dem Unglück zutiefst betroffen, teilte Regierungssprecher Sedik Sedikki auf Twitter mit.

Die Katastrophe trifft Afghanistan zur Unzeit. Die Wirtschaft wurde durch die Corona-Pandemie stark getroffen, viele Menschen leiden unter den gestiegenen Lebensmittelpreisen. Mehr als 14 Millionen Menschen sind laut UN auf humanitäre Hilfe angewiesen. Trotz geplanter Friedensgespräche zwischen der Regierung und den islamistischen Taliban geht der Konflikt im Land brutal weiter. Im Nordosten flohen in den letzten zehn Tagen alleine mehr als 50 000 Menschen vor Kämpfen aus ihren Dörfern und Städten.

Das Unglück in Parwan erinnert an die schweren Sturzfluten in Afghanistan im Frühjahr 2019. Mehr als 10 000 Häuser wurden damals laut dem UN-Nothilfebüro Ocha zerstört, rund 180 000 Menschen waren von den Fluten betroffen. In Parwan befürchten die Behörden, dass die Opferzahlen stark steigen werden. Die Bergungsarbeiten könnten noch viele Tage dauern.

© dpa-infocom, dpa:200826-99-311781/5