Ehemaliger KZ-Wachmann äußert Bedauern über Leid der Opfer

dpa Hamburg. Er sei 1944 nicht freiwillig Wachmann im KZ geworden, er habe nie zur Waffe gegriffen. Einmal habe er Häftlingen geholfen, behauptet der 93 Jahre alte Angeklagte im Hamburger Stutthof-Prozess. Eine Äußerung bezeichnet die Richterin als „Ohrfeige“ für die Überlebenden.

Ehemaliger KZ-Wachmann äußert Bedauern über Leid der Opfer

Der ehemalige SS-Wachmann des Konzentrationslagers Stutthof zum Prozessbeginn im Hamburger Landgericht. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa Pool/dpa

Zu Beginn seiner Aussage im Hamburger Stutthof-Prozess hat der angeklagte ehemalige SS-Wachmann erklärt, er empfinde Mitgefühl für die Menschen in den Konzentrationslagern.

Der 93-Jährige ist der Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen angeklagt. Er soll als Wachmann zwischen dem 9. August 1944 und dem 26. April 1945 „die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt“ haben. Zu seinen Aufgaben habe es gehört, die Flucht, Revolte und Befreiung von Häftlingen zu verhindern. Der Angeklagte war 1944/45 Wachmann im deutschen KZ Stutthof nahe Danzig.

„Ich habe viele Leichen gesehen“, sagte der 93-Jährige am Montag vor der Jugendstrafkammer am Landgericht. „Die Bilder des Elends und des Grauens haben mich mein ganzes Leben verfolgt“, sagte er. Es sei ihm wichtig zu sagen, wie leid ihm tue, was den Menschen in Konzentrationslagern angetan worden sei. Sein Einsatzort sei ein „Ort des Grauens“ gewesen.

Die Toten, die er vom Wachturm aus gesehen habe, seien vor allem Frauen gewesen. Mithäftlinge hätten sie morgens nackt aus den Baracken herausgezogen und zu einem Wagen gebracht. „Die wurden raufgeschmissen, nicht raufgelegt“, sagte er. Nur einmal habe er aus Neugier einen kurzen Blick durch ein Fenster in das Krematorium geworfen, behauptete er. Dort habe er zwei Öfen gesehen, davor auf dem Fußboden nackte Leichen.

Der 93-Jährige erklärte, er sei nicht freiwillig Wachmann geworden. Er sei immer Einzelgänger gewesen und habe sich lange geweigert, in die Hitlerjugend einzutreten. „Marschieren - das gefiel mir nicht“, sagte er. Als 16-jähriger Bäckerlehrling in Danzig habe er trickreich aus einer Rekrutierungsveranstaltung der Wehrmacht flüchten können. Wenig später sei er aber gemustert worden. Wegen eines Herzfehlers sei er nicht kriegsverwendungsfähig gewesen. Als er den Marschbefehl nach Stutthof erhalten habe, habe er vergeblich versucht, in eine Wehrmachtsküche oder -bäckerei versetzt zu werden.

Als Wachmann im KZ habe er nie von seiner Waffe Gebrauch gemacht, behauptete der Angeklagte. Einmal habe er Häftlingen sogar geholfen, obwohl ihm bei Entdeckung eine schwere Strafe gedroht hätte. Er habe mehrere gefangene Männer zu einem Außenkommando begleiten müssen. In einem Gebüsch hätten die Häftlinge einen Pferdekadaver gefunden und ihn gefragt, ob sie sich ein Stück Fleisch abschneiden dürften. Er habe erlaubt, das Fleisch ins Lager zu schmuggeln. „Ich durfte denen kein Essen geben. Wir durften keinen Kontakt mit denen aufnehmen“, erklärte der 93-Jährige.

Von Konzentrationslagern habe er schon vor seinem Dienst in Stutthof gewusst. Sein Vater habe einmal zum Verhör gemusst, weil er sich kritisch über den Kriegsverlauf geäußert habe. Bevor man ihn laufen gelassen habe, habe man den Vater ermahnt, dass er wegen solcher Äußerungen ins Konzentrationslager kommen könne.

Dass Juden aus ihren Wohnungen abgeholt wurden, das habe er damals gehört, erklärte er. „Wo die hinkamen, ob die ausgewiesen wurden, das war mir nicht bekannt.“ Die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring hakte nach: „Fanden Sie das richtig?“ Der Angeklagte verneinte.

Meier-Göring stellte den Angeklagten wegen einer anderen Äußerung zur Rede, in der sich der Angeklagte mit den Opfern in den Konzentrationslagern verglichen habe. Er habe gesagt, bei der Musterung habe er vor dem Militärarzt so nackt wie die Häftlinge im Konzentrationslager gestanden. Ob er verstehe, dass dieser Vergleich völlig unpassend und eine „Ohrfeige“ für Überlebende sei? „Es ist was anderes, auf jeden Fall. (...) Das darf man eigentlich nicht so vergleichen“, antwortete er.

Die Befragung soll am Freitag fortgesetzt werden. Nebenklage-Vertreter Christoph Rückel stellte den Antrag, das Gericht möge den Tatort, das ehemalige KZ Stutthof im heutigen Polen, selbst in Augenschein nehmen. Eine Entscheidung darüber steht noch aus.