Ein Kassenzettel für jede Brezel

Ab 2020 muss für jeden noch so kleinen Einkauf ein Beleg ausgestellt werden, für die Umwelt könnte das ernste Folgen haben

Das neue „Kassengesetz“ verpflichtet alle Betriebe, ab 2020 auch bei kleinen Einkäufen einen Beleg auszustellen. Bei den Backnanger Unternehmen herrscht nur wenig Verständnis für die Änderung, da nicht nur teure Nachrüstungen nötig werden, sondern auch eine Menge Müll entstehen wird.

Ein Kassenzettel für jede Brezel

Ab 2020 gilt das neue Kassengesetz. Demnach müssen bei jedem Einkauf Kassenzettel an die Kunden ausgegeben werden. Für die Umwelt könnte das zu einer Belastung werden. Foto: A. Becher

Von Kristin Doberer

BACKNANG. Ab dem 1. Januar 2020 tritt die neue Belegausgabepflicht in Kraft. Dies ist eine Folge des 2016 beschlossenen „Kassengesetzes“. Bei jedem Einkauf muss dem Kunden nun ein Kassenzettel ausgestellt werden, egal ob er ihn tatsächlich benötigt oder direkt beim Verlassen des Geschäfts wegwirft. Bei größeren Einkäufen ist dieses Vorgehen schon länger üblich, ab dem neuen Jahr sind aber auch kleinste Einkäufe betroffen: eine Brezel beim Bäcker, etwas Wurst beim Metzger oder schnelles Haareschneiden beim Friseur.

Warum ändert sich das Belegausgabegesetz? Das Finanzamt versucht so zu verhindern, dass Steuergelder an den Kassen vorbeigeschleust werden. Denn das Kassengesetz schreibt auch vor, dass zukünftig mehr Informationen auf die Kassenzettel gedruckt werden. Diese zusätzlichen Informationen sind zum Beispiel die Transaktionsnummer und die Seriennummer des elektronischen Aufzeichnungssystems. Dadurch, dass die Bons gedruckt ausgegeben werden müssen, werden diese Infos in den Kassen gespeichert und sollen so den Steuerbetrug erschweren.

Allein das Bäckerhandwerk wird mehr als fünf Milliarden Kassenzettel produzieren

Das sei unnötig, so Bernd Mildenberger, Inhaber der Bäckereikette Mildenberger: „Unsere Kassen werden schon jetzt elektronisch vom Finanzamt ausgelesen, es kann also ohnehin alles kontrolliert werden.“

Dadurch wird wohl ein Mehr an Papier entstehen, das extreme Ausmaße annehmen kann. Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks geht davon aus, dass jede Verkaufsfiliale durchschnittlich 100000 Kunden pro Jahr hat. Es ergeben sich also mehr als fünf Milliarden Kassenzettel mit einer Länge von 20 Zentimetern. Hochgerechnet entsprechen allein die Bons des Bäckerhandwerks etwa dem 25-fachen Erdumfang.

Dabei bräuchten nur etwa drei Prozent der Kunden tatsächlich einen Bon, so Mildenberger. „Wir müssen die Bons vom Gesetz her ausdrucken, auch wenn der Kunde sie gar nicht will. Dann schmeißen wir sie weg oder der Kunde, sobald er den Laden verlässt“, erklärt er. Für ihn bedeutet die neue Regelung auch Ausgaben. Momentan habe er pro Geschäft einen Bondrucker, das würde bald nicht mehr reichen. Damit das Alltagsgeschäft problemlos laufen kann, muss er jede Kasse mit einem Bondrucker ausstatten. Das bedeutet für seine Filialen etwa 80 zusätzliche Bondrucker, die er nun neu anschaffen muss.

Über Neuanschaffungen muss sich der Friseur Kroiss keine Gedanken machen. Sie haben für ihre Filialen in Backnang und Winnenden schon vor einigen Jahren ihr Kassensystem aufgerüstet, als klar wurde, dass sie auch unter das neue Kassengesetz fallen. „Wir wussten ja schon länger, dass das auf uns zukommt“, erklärt Nadine Kroiss. „Für uns ist das keine große Umstellung.“ Bisher fragen sie ihre Kunden noch, ob diese einen Kassenzettel benötigen oder nicht. Etwa 30 Prozent würden das Angebot momentan annehmen. Ab dem neuen Jahr werden auch sie jedem Kunden seinen Kassenzettel mitgeben. „Das ist trotzdem bösartige Verschwendung. Wenn ich nur daran denke, wie viele Kassenbons bei mir in der Tasche unnötig rumfliegen“, meint Nadine Kroiss.

Der große Papierverbrauch ist aber nicht das einzige Problem mit der Masse an Kassenbons. Obwohl die Zettel wie gewöhnliches Papier erscheinen, bestehen sie aus Thermopapier. Dies ist mit dem gesundheitlich umstrittenen Stoff Bisphenol A beschichtet und darf deshalb nicht im Altpapier entsorgt werden. Kassenbons müssten also eigentlich im Restmüll entsorgt werden. Da die meisten Verbraucher davon nichts wissen, landen Kassenzettel trotzdem häufig im Altpapier und dadurch zum Beispiel auch in recyceltem Toilettenpapier. So endet schon jetzt eine große Menge an Bisphenol A im Grundwasser und auch im menschlichen Körper, so die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit.

Digitale Kassenzettel könnten der Entstehung von großen Müllmassen entgegenwirken

Halten sich die Betriebe nicht an die Regelung, droht ihnen eine Strafe von bis zu 25000 Euro. Ausnahmen können „aus Zumutbarkeitsgründen nach pflichtgemäßem Ermessen“ erteilt werden. Das heißt, wenn die Ware an eine Vielzahl von unbekannten Kunden verkauft wird. Das ist zum Beispiel auf Märkten der Fall. Mildenberger will eine solche Ausnahme für seine Filialen beantragen: „Wer weiß, ob wir die kriegen und wie lang das dauert, aber gar nicht dagegen protestieren, ist keine Option.“

Eine mögliche Lösung bietet die Digitalisierung: So könnten Kassenzettel mittlerweile auch direkt per App oder E-Mail auf das Smartphone geschickt werden. Dadurch wäre nicht nur der Umwelt geholfen, auch würden sich Verkäufer Ausgaben für Papier- und Farbrollen sparen und die Kunden könnten all ihre Belege einfach auf dem Smartphone aufbewahren, ohne im Zettelchaos unterzugehen. Auch Mildenberger will auf digitale Kassenbons umstellen, obwohl er etwas skeptisch ist: „Ich bezweifle ja, dass die Kunden die digitalen Kassenbons auch wirklich nutzen.“

Die Kunden müssten dazu zum Beispiel ihre E-Mail-Adresse oder Handynummer angeben, damit ihnen der Bon digital ausgestellt werden kann. „Die Frage ist, ob die Leute wirklich bereit sind, ihre Daten preiszugeben“, sagt auch Sebastian Schieder von der Steuerabteilung der IHK für die Region Stuttgart. Ob die Bonpflicht tatsächlich zur Bekämpfung von Steuerbetrug beitragen kann, sei noch nicht abzusehen. „Das ist eben nur ein Aspekt der Bekämpfung“, erklärt Schieder. Denn: Bisher gilt die Bonpflicht nur für Registrierkassen. „Da wir keine Registrierkassenpflicht in Deutschland haben, könnten manche auch einfach zurück zu einer offenen Ladenkasse wechseln.“