Ein Land im Ausnahmezustand

Kroatien steht im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft: Auch in Backnang wird kräftig mitgefiebert

Der Premierminister leitet eine Kabinettssitzung im rot-weiß-karierten Trikot und sämtliche Minister tragen auch das Leibchen der „Vatreni“, der „Feurigen“, wie sie genannt werden. Ganz Kroatien ist außer Rand und Band. Und auch auf die Backnanger Kroaten hat das übergegriffen. Sie alle fiebern dem morgigen Sonntag entgegen und sind guter Dinge, was das Endspiel gegen Frankreich angeht.

Ein Land im Ausnahmezustand

Freuen sich auf das Finale: Mladen Musa, Ilija Saric, Željko Tokic, Ivica Maglica und Petar Tomic (von links). Foto: privat

Von Andreas Ziegele

BACKNANG. Mit seinen 4,2 Millionen Einwohnern ist das Land an der Adria eines der Kleinsten bei dieser Weltmeisterschaft. Am Sonntagabend könnten sie zu den Größten werden. Rund 500 Kroaten leben derzeit in Backnang und Umgebung. Und sie alle sind heiß auf dieses Spiel. Selten hat man mit so stolzen Menschen gesprochen, die schon jetzt sagen: „Unsere Mannschaft hat schon mit dem Einzug mehr erreicht, als wir alle gedacht haben.“

Željko Tokic ist im Alter von zwei Jahren im Jahr 1977 nach Backnang gekommen. „Es ist einfach gigantisch. Wir, als so kleines Land. Das ist ein Riesenerfolg.“ Seine Stimme überschlägt sich fast beim Sprechen. Die Spiele bisher hat er mit seinen Freunden in einer Gruppe von 15-20 Personen gesehen. „Wir haben mal bei mir und mal bei den anderen geschaut“, sagt er. Das Finale wird er an einem Ort sehen, der eigentlich deutscher nicht sein kann: „Wir sehen uns das in meinem Schrebergarten an.“ Er ist verhalten optimistisch, was die Chancen seines Heimatlandes angehen und spricht von einer 50:50-Wahrscheinlichkeit. „Aber ein Stern auf unserem Trikot wäre schon fantastisch“, meint Tokic. Und dann bemüht er auch noch Sepp Herberger: „Der Ball ist rund“ und meint damit, dass alles passieren kann. „Wenn es sein muss, spielen wir auch wieder über 120 Minuten“, sagt er voller Überzeugung.

Ebenfalls gebremst euphorisch zeigt sich Neda Bajic aus Backnang. Die 18-Jährige hat fast alle Spiele im Epizentrum der kroatischen Jubelfeiern erlebt: auf der Stuttgarter Theodor-Heuss-Straße. Lediglich das Halbfinale gegen England schaute sie zu Hause: „Ich dachte nicht, dass wir nach dem Spiel Grund zum Feiern haben.“ Im Alter von drei Wochen kam sie nach Deutschland, aber wenn es um Fußball geht, ist sie im Herzen eine Kroatin geblieben. „Wir werden gegen Frankreich alles geben und nicht aufgeben“, davon ist sie überzeugt. Neda Bajic wird morgen wieder in Stuttgart das Spiel anschauen. Und das könnte ja ein gutes Omen sein.

Der Co-Trainer der SG Sonnenhof, Zlatko Blaskic war bis gestern noch mit der Mannschaft im Trainingslager am Schliersee. Von den kroatischen Nationalspielern kennt der ehemalige Fußballprofi noch einige aus der gemeinsamen Zeit bei Dinamo Zagreb. Die meisten Spiele hat er zu Hause verfolgt. „Ich muss das mit mir alleine ausmachen“, wie er sagt. Ab und an schaut seine Frau mit und das Spiel gegen Argentinien durfte der Spieler der SG Sonnenhof, Timo Röttger, mit ihm anschauen. Das Halbfinale hat sich Blaskic mit der Mannschaft im Trainingslager angeschaut. „Nach der ersten Halbzeit, als es nicht so gut lief, habe ich mich auf mein Zimmer zurückgezogen und dann klappte es ja auch“, resümiert der 36-Jährige. Das Finale wird dann wohl im Garten seiner Schwiegermutter in größerer Runde geschaut. „Zur Not muss ich mich halt dann wieder zurückziehen“, erklärt er schmunzelnd. Er sieht das Spiel als vollkommen offen an. „Frankreich hat mich bis jetzt noch nicht überzeugt“, lautet sein Urteil. Seine Prognose: „Das Momentum wird dieses Spiel entscheiden“, meint der Fußballexperte. Und zum Thema Fitness der kroatischen Nationalmannschaft nach drei Verlängerungen in Folge ist seine Meinung: „Die Müdigkeit wird mit Adrenalin überspielt werden!“ Einen 2:1-Sieg für sein Heimatland erwartet Ivan Vladic. „Für mich ist diese WM purer Stress. Jeden Tag denke ich nur an den Titel für Kroatien.“ Der 37-Jährige ist Kellner im Restaurant „Santa Lucia“ in Backnang und seit fünf Jahren in Deutschland. „Wir haben bis jetzt alle Spiele hier im Restaurant gemeinsam geschaut“, erzählt Vladic. Neben ihm arbeitet noch ein weiterer Kroate im Lokal und die Frau des früheren Geschäftsführers ist ebenfalls von der Adriaküste. Dazu kommt dann noch Ibrahim Hadzalic, den meisten besser bekannt als „Pedro“, der eigentlich aus Bosnien stammt: „Ich bin ja auch irgendwie halber Kroate.“ Für den „echten“ Kroaten Vladic geht es am Sonntag auf die Theodor-Heuss-Straße nach Stuttgart. „Ich habe ihm extra frei gegeben“, betont sein Chef Natale Mannara. Dass er sich auf dieses Spiel freut, sieht man, denn, wenn er davon spricht, strahlt er über das ganze Gesicht. Mit etwas Glück kann dieses Strahlen vielleicht noch den Sonntag überdauern.