Ein Lautsprecher ohne Mikrofon

Das kommunalpolitische Urgestein Alfred Bauer verlässt nach 30 Jahren den Backnanger Gemeinderat – Der 86-Jährige war beim Austeilen nie zimperlich

Der Backnanger Gemeinderat ist eine Oase der Harmonie: Entscheidungen trifft das Gremium meist einstimmig, kontroverse Debatten sind eine Rarität. Doch wenn Alfred Bauer lospoltert, dann fliegen die Fetzen. Der Fraktionsvorsitzende des Bürgerforum Backnang ist ein Original mit Unterhaltungswert, auch wenn seine Beiträge oft recht eigenwillig sind. Nach 30 Jahren räumt der 86-Jährige nun seinen Platz.

Ein Lautsprecher ohne Mikrofon

In drei Jahrzehnten als Kommunalpolitiker ist Alfred Bauer keinem Streit aus dem Weg gegangen.Foto: J. Fiedler

Von Kornelius Fritz

BACKNANG. Alfred Bauer sitzt hinter dem ausladenden Schreibtisch in seinem Chefbüro. Hier hat er über Jahrzehnte die Geschicke seiner Baufirma geleitet. „Wir waren das stolzeste Unternehmen in Backnang“, sagt er selbstbewusst. Doch die Firma gibt es nicht mehr: 2009 musste der Unternehmer Insolvenz anmelden, sein Betrieb wurde abgewickelt. Den Weg zum Amtsgericht hat er damals als „schwersten Gang meines Lebens“ bezeichnet. Fast 50 Mitarbeiter verloren ihren Job. Das Firmengebäude in Sachsenweiler gibt es aber nach wie vor und Alfred Bauer ist immer noch regelmäßig dort. Es gebe immer was zu tun, sagt der 86-Jährige. Solange er an diesem Schreibtisch sitzt, ist sein Lebenswerk für ihn wohl noch nicht ganz verloren.

So schwer wie der Abschied von seiner Firma fällt Bauer auch der Verzicht auf sein Gemeinderatsmandat. Denn eigentlich ist er davon überzeugt, dass er es auch in seinem Alter noch mit jedem der 25 anderen Stadträte locker aufnehmen kann. Den Backnanger Gemeinderat bezeichnet Bauer als „Laienspielgruppe“. Was ihn besonders auf die Palme bringt, sind Ratskollegen, die sich gerne reden hören. Wer allzu ausschweifend sprach, musste deshalb damit rechnen, dass Alfred Bauer seine laute Stimme erhob und quer durch den Sitzungssaal brüllte: „Können wir jetzt endlich abstimmen?“

Vor 30 Jahren hatte ihn der frühere Fraktionschef von FDP und Freien Wählern, Edwin Müller, in die Kommunalpolitik geholt. Seit 1989 sitzt Bauer im Gemeinderat, von 1994 bis 2014 war er auch Kreisrat. Die Aufgabe habe ihn gereizt, weil er einen Einblick bekommen wollte, was so läuft in Backnang. Aber der Unternehmer, der in Pommern geboren wurde, aber seit seinem fünften Lebensjahr in Backnang lebte, war einer, der der Verwaltung immer kritisch gegenüberstand. Vielleicht auch aufgrund persönlicher Erfahrung. Um die Genehmigung für sein Privathaus in Vorderrohrbach hatte er jahrelang mit den Behörden gestritten. Seitdem steht vor dem Haus ein Stein mit der Aufschrift: „Behüt’ der Himmel dieses Haus vor Hungersnot und ander’m Graus, vor Krankheit, Krieg und Pestilenz, vor allen Ämtern letzten Ends.“

Als gelernter Zimmermann hat Alfred Bauer seine Kompetenz im Gemeinderat vor allem bei Bauthemen eingebracht. Warum die Mehrheit trotzdem manches Mal gegen seinen Ratschlag entschieden hat, ist ihm ein Rätsel. In solchen Fällen zitierte Alfred Bauer gerne Friedrich Schiller: „Verstand ist stets bei wen’gen nur gewesen. Der Staat muss untergehen, früh oder spät, wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet.“

Beim Austeilen war Alfred Bauer nie zimperlich. Als es um den Abriss des Backnanger Krankenhauses ging, war er einer der Wortführer des Widerstands und strebte sogar eine Klage an. Dass er den Neubau in Winnenden am Ende trotzdem nicht verhindern konnte, bezeichnet er als „meine größte Enttäuschung“. Ohnehin ist Bauer davon überzeugt, dass die Kreisreform von 1973 den Backnangern vor allem Nachteile gebracht hat: „Da sind wir verkauft worden.“ Um Konventionen und politische Korrektheit hat sich Alfred Bauer nie geschert. Er sagt, was er denkt und das ziemlich laut: Die Mikrofonanlage im Sitzungssaal hat er stets ignoriert.

Bauers Thesen sind bisweilen skurril, etwa in der Flüchtlingsfrage. Der 86-Jährige glaubt, Deutschland sei Opfer einer „gezielt gesteuerten islamistischen Unterwanderung“. Die Asylbewerber seien nicht auf der Flucht, sondern „geschickt worden“. Eine Verschwörung vermutet er auch hinter der Insolvenz seiner Firma. Dass es ausgerechnet die Kreissparkasse war, die ihm, dem größten Kritiker des damaligen Landrats Johannes Fuchs, den Geldhahn abdrehte, könne kein Zufall sein: „Man wollte mich schnell zur Ruhe bringen“, sagt Bauer.

Das Mandat bleibt
in der Familie

Drei Oberbürgermeister hat der Stadtrat in seinen 30 Jahren erlebt. Von Hannes Rieckhoff und seiner „strammen Führung“ schwärmt er noch heute, dessen Nachfolger Jürgen Schmidt sei hingegen ein „Hampelmann“ gewesen. Frank Nopper wiederum schätzt Bauer als „brillanten Redner“, findet aber, dass der OB die Stadträte mehr an die Kandare nehmen müsste: „Die machen eine Viertelstunde an Sachen rum, die man mit zwei Sätzen erledigen könnte.“

Bauer braucht sich darüber nun nicht mehr zu ärgern. Er wolle seinem Nachfolger noch die Möglichkeit geben, sich vor der Kommunalwahl im Mai einzuarbeiten, begründet er seinen vorzeitigen Rückzug aus dem Gemeinderat.

Und dieser Nachfolger ist sein jüngster Sohn Jörg. Aber nicht, weil Gemeinderatssitze beim Bürgerforum wie in einer Monarchie vererbt werden, sondern weil dieser nach seiner Stimmenzahl bei der Kommunalwahl 2014 legitimer Nachrücker ist. „Es ist schön, diese Familientradition weiterzuführen“, findet der Sohn, stellt aber klar, dass er als Stadtrat einen anderen Stil pflegen will als sein Vater: „Er hat seine Art und ich habe meine.“