Ein Leben in der Hölle

Die Sportwelt trauert um Matti Nykänen, einen der erfolgreichsten Athleten in der Geschichte des Skispringens

Von Dominik Ignée

Nachruf - Nach seiner großen Karriere als Skispringer ist der Finne Matti Nykänen im Leben immer wieder abgestürzt. Nun ist der große Mann der Schanzen im Alter von 55 Jahren gestorben.

Stuttgart Junge, Junge: Mit 18 Weltmeister, mit 19 Tourneesieger, mit 20 Olympia-Gold – so fing ein Märchen an, das in der Nacht zum Montag endete.

Die Sportwelt muss sich von Matti Nykänen verabschieden, einem der größten Skispringer, einer Ikone des Sports. Nur 55 Jahre alt ist der Finne geworden, der im Verlauf seiner Karriere zweimal bei der Vierschanzentournee siegreich war, vier Olympiasiege und sechs WM-Titel einfuhr. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der blonde Engel aus dem Norden viermal die Gesamtwertung gewann – und sagenhafte 46 Weltcup-Springen noch dazu.

Danach, auch das ist bekannt, kamen das große Nichts, die Leere und vor allem die Frage nach dem Sinn des Lebens. Was man von Nykänen außer seiner imposanten Palette voller Auszeichnungen weiß, ist, dass er durchs Leben irrte auf der Suche nach etwas Glück, Zufriedenheit, Normalität, wie immer man es nennt. Nykänen war ein Leben im Rampenlicht gewöhnt, wurde hofiert, ­bewundert, geliebt. So war es.

Doch als die Scheinwerfer ausgingen, wurde es dunkel. Mit seinem Namen verband die Öffentlichkeit nur noch Abstürze, Eskapaden, Gerichtsprozesse – und alles wieder von vorn. Es war irgendwann nur noch ein von Mitleid geprägter Voyeurismus, der ihn begleitete. Die neuesten Nachrichten von ihm erzeugten kein Gefühl der Unterhaltung, sondern nur das Gefühl, peinlich berührt zu sein. Ach, hätte man nur nicht so viel von ihm gehört.

„Matti Nykänen hatte diese Genialität leider nur auf der Schanze – im Leben war er etwas verloren“, sagte Werner Schuster einmal höflich. Auch dem Bundestrainer war nicht entgangen, dass mächtig was los war im Leben des einstigen Helden – die Vita wurde im Jahr 2006 sogar verfilmt.

Stoff genug gab es. Leider. „Grüße aus der Hölle“ – so nannte Nykänen seine Autobiografie ja auch selbst.

Nach der Schanzenkarriere versuchte er sich als Popsänger, ließ in Striplokalen die Hüllen fallen und trat in schmuddeligen Erotikstreifen auf. Sein ständiger Begleiter, er machte nie ein Geheimnis daraus, war der Alkohol. Im Jahr 2001 heiratete der Rastlose zum vierten Mal. Seine letzte Lebenspartnerin (die siebte!) war Pia. Sie teilte einem finnischen Magazin am Montag die Nachricht vom Ableben ihres Freundes mit. Über die Todesursache ist noch nichts bekannt.

Zuletzt soll es mit Matti Nykänen etwas aufwärtsgegangen sein, hört man. Seinen einstigen Sportrivalen Jens Weißflog hat die Todesnachricht tief bestürzt, der Deutsche erinnerte aber auch an ein positiv anmutendes Treffen vor zwei Jahren. „Da hat er gut gewirkt, alle anderen haben das auch bestätigt“, meinte Weißflog, für den der Finne nicht nur Konkurrent, sondern auch ein Vorbild war. Dieter Thoma, ein weiterer großer deutscher Skispringer, hat den verstorbenen Olympiasieger so in Erinnerung: „Er war ein sehr einfach denkender Mensch, aber ein sehr guter Mensch – wenn er nüchtern war.“

Die schlimmsten Nachrichten von Matti Nykänen waren geprägt von Gewalt. Im August 2004 geriet er mit seiner Frau unter Verdacht des versuchten Totschlags. Ihnen wurde vorgeworfen, einen 59-jährigen Freund im Alkoholrausch nach einem lächerlichen Streit niedergestochen zu haben. Der Ex-Skispringer wurde zu 26 Monaten Haft verurteilt. Im selben Jahr erlitt er einen Herzinfarkt, den er ganz gut überstand. Nach Verbüßung von 13 Monaten wurde er im September 2005 auf Bewährung entlassen – jedoch nur 103 Stunden später wegen des Vorwurfs, seine Frau Mervi volltrunken mit einem schweren Gegenstand am Kopf verletzt zu haben, wieder in U-Haft genommen. Und es hört mit den Hiobsbotschaften gar nicht mehr auf: Am 25. Dezember 2009 attackierte er nach Medienberichten seine Frau mit einem Messer und wurde erneut abgeführt. Nach einigen Monaten im Gefängnis kam er auf Bewährung wieder frei.

Wer wollte dieses Leben leben? Nicht einmal Matti Nykänen selbst. Er würde wohl vieles anders machen, hätte er noch einmal die Chance. „Ich war sehr jung, als ich erfolgreich geworden bin, die Medien waren die ganze Zeit um mich herum – ich hätte Hilfe gebraucht“, sagte Nykänen sehr offen: „Das war der Anfang. Ich habe später getrunken, weil ich nichts anderes zu tun hatte, weil ich vergessen wollte.“

Matti Nykänen soll nicht nur an Depressionen, sondern auch an ADHS gelitten haben – aber vor allem an seiner Trinksucht. „Die Hölle muss ein besserer Ort sein“, sagte er mal über das Leben mit dem Alkohol. Nun ist der gefallene Held im Himmel.

Nykänen glaubte, dass er schon viel früher Hilfe gebraucht hätte