Ein neues Domizil für Zauneidechsen

Die geschützte Reptilienart ist im Sulzbacher Neubaugebiet Ziegeläcker III heimisch und soll nun an den nördlichen Ortsausgang des Teilorts Siebersbach umgesiedelt werden.

Ein neues Domizil für Zauneidechsen

Von Ute Gruber

SULZBACH AN DER MURR. Wie ein grünes Band schlängelt sich seit einigen Monaten ein kniehoher Zaun aus Kunststoffplane um das Areal aus Streuobst, Hecken und Wiesen zwischen dem Neubaugebiet Ziegeläcker II und dem Bauerndorf Lautern in Sulzbach an der Murr. Aufwendig wurde dafür der Boden aufgefräst und der Zaun mit Erde angeschüttet. So mancher Anwohner und auch Spaziergänger an diesem sonnigen Hang fragte sich nach dem Zweck dieser Absperrung. „Vielleicht sollen da die Hunde nicht rein, damit das Futter sauber bleibt“, vermuten Hundebesitzer an der beliebten Gassistrecke, „oder wegen irgendwelchen seltenen Pflanzen und Tieren?“ Oder sollen die Schnecken aus der Wiese von den gepflegten Gärten nebenan ferngehalten werden? „Das ist, dass die Tiere nicht auf die Straße laufen!“, behaupten die Kinder, die nebenan laut und fröhlich in ihrem Gartenpool planschen. Ein Krötenzaun also? Und das, wo es aber doch an diesem Südhang weit und breit kein Feuchtbiotop gibt für Amphibien? Mal abgesehen von dem eingeweichten Rasen rund um das Kinderbädchen.

Hauptamtsleiter Michael Heinrich weiß besser Bescheid: „Das hängt mit dem Umweltgutachten für Ziegeläcker III zusammen“, klärt er auf. Und in der Tat stellt man bei genauerer Betrachtung fest, dass der Zaun genau die 3,5 Hektar einfasst, auf denen das nächste Neubaugebiet Ziegeläcker III entstehen soll. In bester Ortslage, auch für sonnenhungrige Reptilien: „Hier gibt es scheint’s viele Zauneidechsen, die müssen laut Gutachten zuerst umgesiedelt werden.“

Ein verwilderter Hang wurde gerodet, ausgebaggert und mit Totholz und Steinen gefüllt.

Die europaweit verbreitete Zauneidechse (Lacerta agilis) wurde gerade 2020 zum Reptil des Jahres ernannt und ist in den strukturreichen Landschaften Süddeutschlands zwar noch recht häufig, steht aber in anderen Regionen bereits auf der Roten Liste gefährdeter Arten. „Deshalb soll sie gerade da geschützt werden, wo sie noch häufiger vorkommt“, erklärt Wildtierbiologe Manuel Schüßler vom Planungsbüro Planbar Güthler GmbH in Ludwigsburg, das mit Gutachten und Umsiedlung beauftragt wurde. Wie bei Stuttgart21 musste nun zuerst einmal ein neues Domizil für die prominenten Vierbeiner geschaffen werden. Im Sulzbacher Fall entstand dieses am nördlichen Ortsausgang des Teilorts Siebersbach, schräg gegenüber vom ehemaligen Schulhaus. Vielleicht nicht die Topwohnlage wie der Killesberg, wo die Eidechsen des ehemaligen Bahngeländes in Stuttgart ihre neue Heimat gefunden haben, dafür aber naturnah. Hier wurde zunächst ein verwilderter Hang gerodet, dann eine Grube ausgebaggert, welche anschließend mit groben Steinen und Totholz aufgefüllt wurde. Als künftiger Rückzugsort und Winterquartier für die Reptilien. Unter Kopfschütteln mancher eingesessener Siebersbacher: „Ob die hier eine Chance haben, bei den vielen Katzen im Ort? Und was das kostet!“ Einen niedrig fünfstelligen Betrag, schätzt das Planungsbüro – für die komplette Aktion. In Stuttgart lagen die Kosten im sechsstelligen Bereich.

Nun heißt es also im nächsten Schritt, die Eidechslein mit sanfter Gewalt zum Umzug bewegen. Geplant war die Aktion ursprünglich für März/April, wenn mit der Frühlingssonne die wechselwarmen Kriechtiere aus ihrer Winterstarre erwachen und aus den Überwinterungsquartieren kriechen. Von Hand oder mit Schlingen an einer Art Angelrute sollte das geschehen. An mehreren Tagen in der Woche, zu verschiedenen Tageszeiten. „Am einfachsten geht es morgens, wenn sie von der Nachtkälte noch etwas kalt und träge sind“, erläutert Wildbiologe Schüßler das Vorgehen. Wenn dann an drei Terminen hintereinander keine mehr gesichtet würde, könne man davon ausgehen, dass alle gefangen seien. So war der Plan, „aber dann kam uns Corona dazwischen“.

Jetzt würden die Coronabedingungen ja passen, aber: „Jetzt sind sie in der Eiablage.“ Also heißt es warten bis Ende Juli/ Anfang August. Sollte die Zeit nicht reichen, bis sich die Tiere spätestens im September wieder zurückziehen, wird die Fangaktion im nächsten Frühjahr fortgesetzt.

Wozu nun aber dieser rätselhafte Zaun? „Der Zaun soll ganz einfach verhindern, dass neue Eidechsen einwandern, wenn wir das Baugebiet abgesammelt haben“, lüftet der Biologe das Geheimnis. Man lernt nie aus.

Die Art der Zauneidechse verschwindet zunehmend aus der hiesigen Landschaft

Die Zauneidechse wurde von der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde (DGHT) zum „Reptil des Jahres 2020“ ernannt. Ihre Männchen sind zur Paarungszeit leuchtend smaragdgrün und attraktive Werbeträger für die oft kritisch beäugten heimischen Reptilien.

Zauneidechsen zählen zur Gattung der Smaragdeidechsen. Charakteristisch für die variabel gezeichneten Reptilien, die in Mitteleuropa meist 18 bis 20 Zentimeter Gesamtlänge erreichen, ist neben den prächtig grünen Flanken der Männchen eine braune Rückenfärbung mit dunklen Flecken und drei oft nur angedeuteten weißen Linien.

Zauneidechsen besiedeln das zweitgrößte Verbreitungsgebiet aller europäischen Echsen. Es reicht von England bis zum sibirischen Baikalsee und von Mittelschweden bis Griechenland. Zauneidechsen sind relativ anpassungsfähige Reptilien (Kriechtiere), die eigentlich keine hohen Ansprüche an ihre Lebensräume stellen. Sie bewohnen strukturreiche Flächen im Offenland, vor allem Übergangsbereiche an Wald- und Feldrändern, auch naturbelassene Gärten.

Zauneidechsen ernähren sich räuberisch, vor allem von Insekten und Spinnen. Heuschrecken und Raupen fressen sie besonders gerne. Umgekehrt werden Zauneidechsen von Vögeln, aber auch von Schlangen sowie von Säugetieren – von Mäusen bis zu Wildschweinen – gefressen.

In Deutschland kommt die Art in allen Bundesländern vor, wobei die Dichte im Nordwesten deutlich geringer als im Osten und Süden ist. Leider verschwindet die früher allgegenwärtige Art aus der zunehmend ausgeräumten Landschaft. Auf den Roten Listen der meisten Bundesländer wird die Zauneidechse inzwischen bereits als gefährdet oder sogar stark gefährdet eingestuft.

Nicht nur die Art selbst ist streng geschützt. Da die Zauneidechse im Anhang der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union aufgelistet wird, ist es zudem verboten, ihre Lebensräume zu beschädigen oder zu zerstören.

Zauneidechsen sind etwa die Hälfte des Jahres über aktiv. Männchen verlassen die Winterquartiere meist im März oder April und beenden ihre Aktivität oft im August. Weibchen erscheinen etwas später; am längsten sind Jungtiere zu beobachten, die sich oft erst im September zurückziehen. Zauneidechsen sind tagaktiv. Zum Aufwärmen suchen die Tiere gut besonnte Bereiche auf. Bei hohen Temperaturen bleiben sie dagegen im Schutz der Vegetation oder in feuchten Bereichen.