Ein schöner Ort zum Sterben

Im Backnanger Tierhospiz Villa Anima dürfen alte und kranke Tiere ihren Lebensabend verbringen und erhalten Sterbebegleitung

Alte und kranke Tiere zu vermitteln, ist für die Tierheime oftmals nicht mehr möglich. Um ihnen den letzten Lebensabschnitt so schön wie möglich zu gestalten, nimmt das Tierhospiz „Villa Anima“ in Backnang ausschließlich solche Tiere auf. Bei Vanessa Reif und ihren Vereinskollegen werden sie im Sterbeprozess begleitet.

Ein schöner Ort zum Sterben

Marion Fleischmann (links) und Vanessa Reif kümmern sich liebevoll um Prinz Charming. Fotos: A. Becher

Von Lorena Greppo

BACKNANG. Ganz friedlich liegt Kater Leo auf dem Sofa und schläft. Auf den ersten Blick sieht er aus wie jede andere Hauskatze auch, ein bisschen zerzaust vielleicht und ein wenig zu dünn. „Als er hier ankam, habe ich ihm vielleicht noch eine Woche gegeben“, sagt Vanessa Reif. So schlimm war der Zustand des Fundkaters aus Winnenden. Das war Ende vergangenen Jahres und Leo lebt noch immer. Etwa 18 Jahre ist er alt und hat Probleme mit den Nieren. In der Villa Anima in Backnang hat er ein neues – sein letztes – Zuhause gefunden.

Insgesamt 13 Vereinskatzen wohnen derzeit bei Vanessa Reif, der Vorsitzenden des Vereins Villa Anima. Hinzu kommen ihre beiden Katzen, ihre zwei Hunde, diverse Hühner und vier Pferde – eines von ihnen ist ebenfalls ein Hospiztier. „Wir arbeiten ausschließlich mit Tierheimen und Tierschutzvereinen zusammen“, erklärt die 35-Jährige. Die Härtefälle, also besonders alte und kranke Tiere, die kaum noch eine Chance auf Vermittlung haben, dürfen ihren Lebensabend in Backnang verbringen. Über Tierschutzvereine kam Vanessa Reif überhaupt erst auf die Idee, ein Tierhospiz zu gründen. 2011 habe sie sich als Pflegestelle für die Katzenhilfe Stuttgart angeboten, erzählt sie. „Aber die Vermittlerei war nichts für mich“, hat sie feststellen müssen.

Die Wende kam mit Flocke, einem zehnjährigen Kater aus Rumänien, der keinen Schwanz und nur noch zwei Beine hatte, taub war und von einer Blasenentzündung geplagt wurde. „Er war ein so traumatisiertes, geschundenes Wesen“, erinnert sich die Backnangerin. Unter ihrer Fürsorge habe er sich erholt, sei regelrecht aufgeblüht. „Ich habe gemerkt, wie sehr mich das berührt, dass er Vertrauen zu mir entwickelt.“ Und für sie reifte die Erkenntnis, dass sie gerade für jene Tiere, die keine schönen Geschichten haben, da sein wollte.

Pro Monat gibt es im Schnitt einen Abschied in der Villa Anima

Mit dem Hauskauf im Backnanger Weiler Horbach verwirklichte Vanessa Reif 2015 ihren Traum. Hier hat sie genügend Platz für die vielen Tiere in Not, zum Haus gehört zudem ein großer Garten. Hier sind ein Hühnergehege sowie eine Pferdekoppel entstanden, auf der beispielsweise der 25-jährige Prinz Charming zu Hause ist. Seine Besitzer hatten ihn irgendwann einfach in einem Stall zurückgelassen. Er wurde zwar von den Betreibern der Unterkunft noch weiter gefüttert, darüber hinaus habe sich aber niemand um das Pferd gekümmert. In Backnang ist das anders geworden. Hier wird Prinz Charming gestreichelt und versorgt – das genießt er sichtlich.

Kurz vor dem Umzug gründeten Reif und ihre Mitstreiter den Verein „Villa Anima“. Die Backnangerin macht aber auch klar: „Wir haben viel in Eigenleistung finanziert.“ Denn die Pferdehaltung sei finanziell eine ganz andere Hausnummer als die Katzen. Vanessa Reif ist in Teilzeit berufstätig. Die Mutter zweier Kinder arbeitet derzeit als Projektmanagerin in einer Agentur. „Es waren vier sehr anstrengende Jahre“, bilanziert sie und ist froh, dass sie sich auf ihre Liebsten verlassen kann.

Zu ihnen zählt auch Marion Fleischmann, die Zweite Vorsitzende des Vereins. „Sie ist eine tolle mentale Stütze. Wenn’s brennt, ist Marion da und hilft“, beschreibt Vanessa Reif ihre Freundin. Die sagt: „Als Vanessa die Idee für ein Tierhospiz hatte, war ich sofort dabei.“ Beide beschreiben sich als spirituell, unter anderem deswegen ist es ihnen wichtig, dass die Vereinstiere, wenn möglich, einen natürlichen Tod sterben. „Wenn man das noch nie erlebt hat, kann man sich gar nicht vorstellen, wie friedlich die Tiere einschlafen“, erzählt Marion Fleischmann aus ihrer Erfahrung. „Sterben ist hierzulande so negativ besetzt“, findet auch Vanessa Reif. Die Leute stellten sich vor, dass arme Katzen vor Schmerzen schreien. „Das habe ich noch nie erlebt.“

Mit dem Tod kennt die 35-Jährige sich aus. Im Schnitt gibt es pro Monat einen Abschied in der Villa Anima. Klar, das gehe ihr auch zu Herzen, gibt Reif zu. „Aber die Voraussetzungen sind bei uns anders. Wir wissen, dass die Tiere auf begrenzte Zeit da sind.“ Eine richtig tiefe Bindung könne so nicht entstehen. Manchmal aber sind die Tiere auch länger da, als gedacht. Katze Belle etwa sei nach ihrer Ankunft quasi dem Tod von der Schippe gesprungen. Das war vor zwei Jahren. Die alte Katzendame darf dennoch in der Villa Anima bleiben. „Wir geben sie nicht mehr her“, sagt Reif. In solchen Fällen sei auch für sie der Abschied schwierig, „bei den Tieren, mit denen man viel durchmacht, um die man gekämpft hat“. Wie bei Kim, einer etwa 20-jährigen Katze aus dem Tierheim. „Die war alt, tattrig, blind und hatte eine Thrombose, aber sie hatte so einen Charme“, erinnert sich Vanessa Reif. Mit allen verfügbaren Mitteln habe sie dem Tier geholfen, sie zwischenzeitlich drei Tage lang auf dem Arm getragen. „Am Ende, nach einigen Wochen, ist sie ganz friedlich im Gras eingeschlafen. Ein beispielhafter, sanfter Tod.“

Weil sie einen natürlichen Tod vorziehen, heißt das aber nicht, dass die Frauen völlig gegen Euthanasie sind, erklärt Marion Fleischmann. „Wir setzen nicht um jeden Preis unseren Weg durch. Eine Katze, die etwa Tumore in der Lunge hat und nicht mehr richtig atmen kann, die lassen wir doch nicht jämmerlich ersticken.“ Die beiden Frauen regen nur an, zu hinterfragen, ob Tiere oftmals nicht vielmehr aus eigensüchtigen Motiven eingeschläfert werden.

Einen Tag der offenen Tür wird es nicht geben

„Sobald es unbequem wird, wollen manche ihr Tier loswerden“, stellt Vanessa Reif mit Bedauern fest. Dabei wäre es, findet sie, für jedes Haustier am schönsten, den Lebensabend in gewohnter Umgebung verbringen zu dürfen. Gerade Hunde brauchen für gewöhnlich viel Aufmerksamkeit und Pflege. „Das kann ich momentan nicht leisten“, stellt die Vereinsvorsitzende klar. Deswegen nimmt sie derzeit vor allem Katzen und Pferde auf. Und auch die Plätze für die Reittiere und Samtpfoten sind begrenzt.

Unter anderem deshalb hat der Verein sich bisher mit der Öffentlichkeitsarbeit zurückgehalten. Im Sterbeprozess wollen die Vereinsmitglieder den Tieren zudem keinen unnötigen Stress zumuten. „Einen Tag der offenen Tür wird es bei uns nicht geben“, macht Reif klar. „Wir sind kein Streichelzoo.“ Wer sich aber für die Arbeit des Vereins interessiert, dürfe nach Terminvereinbarung gerne vorbeikommen. Denn gleichzeitig ist klar: Helfende Hände sind immer gern gesehen. „Aufgaben gibt’s jede Menge!“ Bei den Pferden ausmisten, Wäsche waschen, Häufchen wegmachen, Medizin verabreichen oder einfach nur den Tieren eine Streicheleinheit zukommen lassen – jeder könne sich einbringen, wie er kann und will. Derzeit baut der Verein auch ein Team engagierter Helfer auf, die Vanessa Reif etwas entlasten. Wenn sich Vereinsmitglieder finden, die mal für eine Woche in das Haus in Horbach einziehen, kann die junge Frau mit ihrer Familie auch in den Urlaub fahren.

https://www.villa-anima.de

Ein schöner Ort zum Sterben

Fundkater Leo war in einem schlimmen Zustand, als er in die Villa Anima kam.