Ein steinernes Geschichtsbuch

Seit Februar wird die Westseite der Aussegnungshalle auf dem Backnanger Stadtfriedhof restauriert. Sorgfältige Handarbeit und äußerste Präzision sind hierbei gefragt. Die Farbgebung orientiert sich am Ursprungszustand.

Ein steinernes Geschichtsbuch

Gearbeitet wird bei der Restaurierung der Aussegnungshalle mit Farben, die historisch verwendet wurden. Fotos: A. Becher

Von Simone Schneider-Seebeck

Backnang. Mit größter Konzentration bearbeitet Restauratorin Katja Welbers eine Säule mit dem feinen Pinsel. Um dem Ursprungszustand des denkmalgeschützten Gebäudes auf den Grund zu gehen, muss mit äußerster Sorgfalt und Genauigkeit gearbeitet werden. Denn man weiß nicht, was sich unter der äußeren Schicht alles verbergen könnte. „Es ist ein Millimetergeschäft“, beschreibt Restaurator Andreas Brückner seine Arbeit in der Aussegnungshalle auf dem Backnanger Stadtfriedhof. Das gelbe Gebäude hat in seiner fast hundertjährigen Geschichte schon so einiges erlebt. Ursprünglich als Gedenkstätte für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges errichtet, diente es beispielsweise während des Zweiten Weltkrieges als Lazarett. Immer wieder wurden Renovierungsarbeiten durchgeführt, die jedoch auf Dauer dem Gebäude keinen Gefallen getan haben, wie sich etwa anhand von Rissbildung und Ausbrüchen an verschiedenen Stellen gezeigt hat.

Nachdem sich das Restauratorenteam Brückner, Welbers und Karl Petzold in mühevoller Kleinarbeit durch die verschiedenen Farbschichten gearbeitet hatte, konnten schließlich Reste der Ursprungsfarben und -malereien aufgedeckt werden. „An der Orgel kann man noch sehen, wie dekorativ die Halle ausgeschmückt war“, erklärt Brückner. So befanden sich ursprünglich verschiedenfarbige Bänder an den Arkaden rechts und links. Nun ist das Ziel nicht nur, sich wieder an die ursprüngliche Fassung heranzutasten, was die Farbgebung betrifft. Auch die Wahl der verwendeten Farbe spielt eine wichtige Rolle.

Vermutlich nach dem Krieg wurde zur Renovierung Dispersionsfarbe als Untergrund verwendet, die die Wände komplett abgedichtet hat. Etwas Mauerfeuchte sei durchaus normal, doch durch die ungeplante Versiegelung hatten sich im Laufe der Jahre Probleme ergeben. Da zunächst nicht bekannt war, wie die Wände aufgebaut waren und was darunter zu finden sein würde, wurden die kunststoffhaltigen Überzüge nun in aufwendiger Handarbeit, nur mithilfe von Heißluft und entsprechendem Werkzeug, mechanisch entfernt.

Um sich an den Ursprung anzunähern, wird eine Tünchegrundierung verwendet, gefolgt von atmungsaktiver Kalkleimfarbe. Durch die früher zur Renovierung verwendete Farbe wurden die Wände komplett abgedichtet. Für das Mauerwerk bestand keine Möglichkeit, zu atmen. Gut sehen kann man die Auswirkungen nun an der Südseite, die momentan aufgrund der Staubentwicklung abgedichtet ist. Ein Teil des Putzes wurde entfernt, um dem Stein die Möglichkeit zu geben, seine Feuchtigkeit an die Umgebung abzugeben. Immer wieder bilden sich nun Salzblumen auf dem verbliebenen Putz, die jedoch recht unproblematisch abgefegt werden können. Der restliche Putz wird im Laufe der Restaurierungsarbeiten noch abgetragen, danach soll ein sogenannter „Opferputz“ angebracht werden, der Salz und Feuchtigkeit aufnimmt. Im Anschluss wird er wieder entfernt und neuer Putz aufgetragen. Man hofft, durch diese Vorgehensweise die überschüssige Feuchtigkeit und auch die Salze dauerhaft aus dem Mauerwerk entfernen zu können.

„Es ist wichtig, mit Farben zu arbeiten, die historisch verwendet wurden“, erklären die Restauratoren. So seien früher Farben auf dem ursprünglichen Kalktünche-Untergrund verwendet worden, die abwischbar gewesen seien. Die ursprüngliche Bemalung ist daher nur noch fragmentarisch erhalten geblieben.

Bereits vor vier Jahren hatte man innerhalb von etwa neun Monaten das östliche Seitenschiff restauriert, im Februar dieses Jahres wurde dann mit der Westseite begonnen. Allein die Freilegung der überstrichenen Oberflächen hatte etwa zwei Monate in Anspruch genommen. Voraussichtlich beendet sein werden die Restaurierungsmaßnahmen im September.

Die Farbgebung mag den ein oder anderen Besucher der Aussegnungshalle verwundern. Doch in der Zeit des Art déco waren Farben von vornherein brillanter, wie Restaurator Brückner erklärt. Das helle Gelb im Obergaden entspricht dem ursprünglichen Zustand. An der Unterseite wurde noch ein zurückhaltendes Ultramarin aufgetragen, wahrscheinlich wird die Farbe jedoch noch intensiviert. Dann passt sie auch besser zu den Deckenbalken, die die gleiche Farbigkeit aufweisen. Auch die Flieder- und Grautöne in den Seitenschiffen ähneln der Bestandsgrundfarbigkeit. Besonders unter den Fenstern fällt ein changierender Glanz der gelben Farbe auf. Dieser kommt dadurch zustande, dass sie mit Bürsten aufgetragen wird und nicht etwas mit Walzen. „Eine schweißtreibende Arbeit“, so Brückner. Doch die Arbeit bereitet dem Team auch eine große Freude. Es sei immer wieder spannend, was sich unter der nächsten Schicht verbergen könnte. Kreativität und Einfallsreichtum sei gefragt, um ein solches Gebäude wieder möglichst nah an den Ursprungszustand zu bringen. Andreas Brückner: „Für uns ist das wie ein Geschichtsbuch, in dem wir lesen können.“

Ein steinernes Geschichtsbuch

Katja Welbers und Andreas Brückner haben sich sorgfältig durch die verschiedenen Farbschichten gearbeitet.

Die Kosten: 170000 Euro

Geschichte Die nach Plänen des Architekten Wilhelm Friedrich Schuh aus Bad Cannstatt errichtete Aussegnungshalle wurde im November 1925 eingeweiht.

Kosten Insgesamt kostet die komplette Sanierung (östliches und westliches Seitenschiff sowie Hauptteil) 170000 Euro, das Denkmalamt hat einen Zuschuss von 30000 Euro gewährt.