Eine Frage der Sicherheit Europas

Seit 70 Jahren ist Deutschland in der Nato. Das Bündnis steht vor einem dramatischen Wandel.

Von Eidos Import

Deutschland hat der Nato sehr viel zu verdanken. Neben der Europäischen Gemeinschaft ebnete das nordatlantische Verteidigungsbündnis in den 1950er Jahren der Bundesrepublik überraschend schnell den Weg zurück in den Kreis der Staatengemeinschaft. In den Jahrzehnten danach waren die Westdeutschen dann die größten Nutznießer der Sicherheitsgarantie der Nato. Die Bundesrepublik war während des Kalten Krieges Frontstaat, sie wäre das erste Opfer einer sowjetischen Offensive gewesen. Genau 70 Jahre ist das her, und die Nato-Mitgliedschaft ist noch immer ein wichtiger Grundpfeiler der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Doch dann kam Donald Trump, der nach seinem Amtsantritt viele Gewissheiten gefährlich ins Wanken gebracht hat. Alarmierend ist, dass er mit seinen Tiraden gegen die europäischen Verbündeten das Herzstück der Nato infrage stellt. In Artikel 5 steht: Ein Angriff auf ein Nato-Land gilt als Angriff auf alle und wird von allen militärisch beantwortet. Doch an diese vertragliche Verpflichtung fühlt sich der US-Präsident nicht gebunden, weil die Europäer in seinen Augen zu wenig Geld für ihre eigene Sicherheit ausgeben.

Donald Trump hat sehr oft eine eher bizarre Sicht auf den Lauf der Dinge, doch mit dieser Aussage trifft er ins Schwarze – das wissen auch die Europäer. Zu lange haben sie sich unter dem Schutzschirm der USA aus der Verantwortung gestohlen, auch finanziell. Durch den Überfall Russlands auf die Ukraine und die Drohungen Trumps sind die EU-Staaten aus ihrem selbstgefälligen Dämmerschlaf gerissen worden. Vor allem Moskaus Angriffskrieg führt ihnen in aller Brutalität vor Augen, was sie über Jahre versäumt haben.

Das Versagen liegt nicht nur im Bereich der Geopolitik, zu lange wurden vor dem rücksichtslosen, imperialen Streben des Kremls die Augen verschlossen. Längst geht es darum, wie ein möglicher Angriff Russlands abgewehrt werden könnte. Im Nato-Hauptquartier in Brüssel werden wieder Verteidigungspläne entwickelt, wie es sie seit dem Kalten Krieg nicht mehr gab. Erstmals werden militärische Kontingente wieder Räumen zugeordnet, die sie im Fall eines Angriffes zu verteidigen haben. An der Ostflanke werden sieben Brigaden aufgestellt. Eine halbe Million Soldaten wurde in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt, vorher waren es maximal 40 000.

Zudem werden Lehren aus dem Krieg in der Ukraine gezogen und diese mit den eigenen militärischen Fähigkeiten abgeglichen. Dabei macht sich im europäischen Teil der Nato große Ernüchterung breit, denn die Defizite sind offensichtlich. Es mangelt nicht nur an der überlebenswichtigen Luftverteidigung, sondern auch an Kapazitäten für gezielte Schläge weit hinter der Front. Es gibt zu wenige Transportfahrzeuge für Menschen und Maschinen – ja es gibt nicht einmal genügend Munition. Und es stellt sich die Frage, was mit Blick auf die rasante Entwicklung im Bereich der Technik und der Künstlichen Intelligenz an Drohnen und anderen unbemannten Waffensystemen in Zukunft gebraucht wird.

Diese Lücken zu schließen, wird sehr viel Geld kosten, das selbst bei einer brummenden ökonomischen Entwicklung nicht erwirtschaftet werden kann. Das heißt: Es muss umverteilt und gespart werden in den Haushalten aller Länder der EU. Politik und Gesellschaft werden sich deshalb nervenaufreibenden Diskussionen stellen müssen. Das wird die Spaltung vorantreiben. Doch die Bedrohung des Friedens und der Freiheit ist existenziell, und es ist höchste Zeit, dass sich die Menschen der zentralen Frage stellen, um deren Antwort sie sich über viele Jahrzehnte gedrückt haben: Was ist uns Europas Sicherheit wert?