Eine Mischung aus Dorf und Großfamilie

Die Gruppe „Wohnen im Quartier“ hat das Baugesuch für das Mehrgenerationenhaus im ehemaligen Klinikareal Backnang eingereicht

Das Projekt „Wohnen im Quartier“ nimmt immer mehr Konturen an. Die Verantwortlichen der Gruppe haben dieser Tage das Baugesuch eingereicht. Sie wollen auf dem Areal des früheren Kreiskrankenhauses Backnang ein Mehrgenerationenwohnhaus bauen. Das Zusammenleben darin soll eine Mischung aus Dorf und Großfamilie sein.

Eine Mischung aus Dorf und Großfamilie

Im geplanten Mehrgenerationenhaus kann jeder seine Talente und Fähigkeiten einbringen. Zudem sind Kinder besonders willkommen und die Gemeinschaft wird großgeschrieben. Gleichzeitig ist die Privatsphäre aber auch jederzeit gewährleistet. Visualisierung: Wohnen im Quartier

Von Matthias Nothstein

BACKNANG. Sehr zufrieden sind Elke Gassen und Herbert Lohsteller vom Verlauf der jüngsten Informationsveranstaltung im Backnanger Famfutur. Beide gehören als Gesellschafter und Mitglieder zu den Hauptinitiatoren des Projekts. Zwar fehlen immer noch 12 der insgesamt 27 möglichen Gesellschafter. Aber diese Anzahl ist für ein Projekt dieser Art zu dem aktuellen Zeitpunkt nichts Besonderes, beschwichtigen die beiden Vorstandsmitglieder. Wenn jetzt noch drei oder vier Interessenten zusagen, dann existieren laut Gassen Zusagen über 70 Prozent des Projekts, und damit wären die Banken zufrieden und würden die Finanzierung mittragen. Gassen: „Ich bin sehr zuversichtlich, weil die Erfahrung lehrt, je konkreter der Baubeginn ist, umso größer ist das Interesse. Das ist auch ganz selbstverständlich, wer will sich schon für ein Projekt festlegen, dessen Realisierung erst in ferner Zukunft ansteht?“

Inzwischen steht sogar schon der Termin für den Kauf des Grundstücks fest: Im November soll der Kaufvertrag notariell besiegelt werden. Und mit dem Bau des Hauses soll Anfang nächsten Jahres begonnen werden, im Herbst 2019 ist das Richtfest geplant. Das würde bedeuten, dass es bis zum Einzug der ersten Bewohner jetzt nur noch zwei Jahre dauert.

Die Resonanz auf die jüngste Informationsveranstaltung war groß. So haben sechs neue Familien und Einzelpersonen ernsthaftes Interesse an dem Vorhaben gezeigt. Wobei Gassen einräumt, dass junge Familien immer noch dringend gesucht werden. Aber es gibt ihren Worten zufolge jetzt immerhin schon drei Investoren, die 100 Quadratmeter große Wohnungen gekauft haben, die sie an junge Familien vermieten wollen. „Jetzt geht es darum, massiv für das Projekt zu werben und die letzten Details zu klären. Die Entwurfsplanung läuft mit den konkreten Interessenten auf Hochtouren. Ich bin sehr optimistisch, dass wir mit dem Bau zum Jahresbeginn anfangen können. Wir sind im Vergleich zum Vorjahr viel, viel weiter.“

Herbert Lohsteller: „Die kritische Startphase liegt bereits hinter uns“

Herbert Lohsteller ergänzt: „Das kann ich nur bestätigen. Die kritische Phase, in der das Projekt nur als Idee vorhanden war, liegt hinter uns. Ebenso der Prozess der Auseinandersetzung, bei dem es darum geht, wer welche Wohnung bekommt. Da gab es viele Diskussionen, der Prozess hat manchmal auch wehgetan, war aber unheimlich wichtig.“

Die Planungsgruppe stellt sich das künftige Leben in ihrem gemeinsamen Haus sehr lebendig vor. So nennt Gassen etwa das Beispiel einer Alleinerziehenden, deren Tochter in den Kindergarten geht. Beide leben in einer kleinen, aber bezahlbaren Zweizimmerwohnung. Wenn es für die berufstätige Mutter knapp wird mit dem Abholen ihrer Tochter aus dem Kindergarten, weil ihr der Bus mal wieder vor der Nase weggefahren ist, dann soll das im Mehrgenerationenwohnhaus kein Problem sein. Früher hätte die Tochter als Letzte noch im Kindergarten bleiben müssen, bei allmählich genervten Erzieherinnen, die auch Feierabend machen wollen. Künftig jedoch kann die Mutter bei der Hotline des Hauses anrufen. Gassen glaubt, dass immer irgendjemand Zeit haben wird, das Kind vom Kindergarten abzuholen. Und vielleicht könnten Mutter und Kind dann sogar noch bei den abholenden „Wahlgroßeltern des Tages“ zu Mittag essen.

In einem anderen Beispiel bezieht sich Gassen auf einen Mann mittleren Alters, der nach seiner Scheidung alleine lebt. Tagsüber geht er arbeiten, sein Tag ist ausgefüllt. Aber abends fällt er regelmäßig in ein Loch. Im Mehrgenerationenwohnhaus wäre dies nicht der Fall, auf der Dachterrasse oder im Gemeinschaftsraum wird immer was los sein. Der Mitbewohner muss nicht mitmachen, ist aber immer herzlich willkommen. Und am Wochenende, wenn seine Kinder da sind, hält das Haus Spielkameraden und Ersatzgroßeltern bereit, manchmal werden Ausflüge gemacht, gemeinsam im Gruppenraum gekocht oder ein Fest gefeiert. Es könnte sein, dass der Mann manchmal sogar bewusst erklären muss, dass er seine Ruhe haben möchte und sich auch nicht beteiligen will. Die Abende hätten dann eine völlig andere Qualität, und wenn er allein sein will, dann mit Genuss. Die Gemeinschaft würde das akzeptieren.

Herbert Lohsteller beschreibt die Möglichkeit, wie es einem älteren Ehepaar im Mehrgenerationenhaus ergehen könnte. Beide sind fit und reisen viel. Wenn sie nach einer Reise heimkommen, hat fast immer jemand für sie das Nötigste eingekauft. Und ein Begrüßungskaffee oder ein Abendessen sind an der Tagesordnung. Die beiden haben aber auch kein Problem damit, in ihrer Abwesenheit ihre Wohnung für Gäste anderer Hausbewohner zur Verfügung zu stellen. Das ist vor allem in der Weihnachtszeit so, wenn sie bei ihren Kindern sind. Dann ist es eine glückliche Fügung für die Mittdreißiger Anna und Jens, deren Eltern zu Weihnachten gerne kommen, um die Enkel zu sehen.

So oder so ähnlich stellen sich Gassen und Lohsteller das künftige Leben in „ihrem“ gemeinsamen Haus vor. „Das Zusammenleben kommt dem einer Großfamilie nahe, nur dass man entspannterweise nicht miteinander verwandt ist.“