Eine Unterkunft für bedrohte Schnecken

Der Bierschnegel – eine sehr seltene Nacktschneckenart – wurde bei Bauarbeiten in Sachsenheim gefunden. Damit die Tiere der Sanierung nicht zum Opfer fallen, hat die Backnanger Biologin Anette Rosenbauer die Schnecken bei sich aufgenommen.

Eine Unterkunft für bedrohte Schnecken

Die jungen Bierschnegel sind an der grünlichen Farbe zu erkennen. Im Alter verblasst diese. Fotos: A. Becher

Von Lorena Greppo

BACKNANG. Mehr als 30000 Tier- und Pflanzenarten gelten laut der Weltnaturschutzunion IUCN weltweit als bedroht. Dazu zählen beispielsweise Berggorillas, Spitzmaulnashörner und Schneeleoparden. Aber nicht alle bedrohten Tierarten sind so bekannt – oder so schön. Kaum einer wird schon einmal vom Bierschnegel gehört haben. Dabei steht diese Art der Nacktschnecken auf der Roten Liste unter der Kategorie eins. Das heißt, sie gilt hierzulande als vom Aussterben bedroht. Damit es so weit nicht kommt, setzt sich Anette Rosenbauer für die Bierschnegel ein. „Dass ich Nacktschnecken züchte, mag anderen Menschen seltsam vorkommen“, weiß sie. „Aber die Bierschnegel sind genauso eine bedrohte Art wie Auerhuhn und Edelweiß.“ Warum also sollten sie daher weniger schützenswert sein?

In puncto Schnecken kennt sich Anette Rosenbauer aus. Zwar ist der Brotberuf der Biologin in der Botanik angesiedelt, schon im Studium habe sie sich jedoch als zweites Standbein die Schnecken ausgesucht. „Vögel haben damals alle anderen gewählt, das fand ich langweilig“, erklärt die gebürtige Münchnerin. An Schnecken habe sie faszinierend gefunden, dass man sie für gewöhnlich gut anhand ihrer Häuschen bestimmen kann – wenn es sich nicht gerade um Nacktschnecken handelt. Mit dem Bierschnegel kam sie dann vor etwa drei Jahren in Berührung. Ihrem Mann Stefan – ebenfalls Biologe – gelang es, diese Art erstmals wieder in Baden-Württemberg nachzuweisen. Zuvor galten die Bierschnegel (lateinisch: Limacus flavus) hierzulande für etwa 50 Jahre als verschwunden. Im vergangenen Jahr wurden die seltenen Nacktschnecken dann bei der Sanierung des Wasserschlosses in Sachsenheim ganz zufällig entdeckt. Die Biologen vor Ort hatten nämlich eigentlich nach Feuersalamandern Ausschau gehalten. Weil die nachtaktiven Bierschnegel von den tagsüber stattfindenden Bauarbeiten massiv bedroht waren – „die würden einfach eingemauert werden und sterben“, erklärt Rosenbauer –, nahmen die Biologen die 28 Exemplare, die sie finden konnten, unter Zustimmung des zuständigen Büros für Landschaftsökologie kurzerhand mit.

Die Population soll später am Fundort wieder ausgesetzt werden.

Seitdem wohnen die Bierschnegel im Hause Rosenbauer – im Keller, denn die Tiere mögen es kühl, dunkel und feucht. Wenig verwundernd rührt ihr Name daher, dass sie früher gern in Bierkellern gelebt haben, erklärt die Backnangerin. „Aber Bier mögen sie nicht, ich hab’s ausprobiert“, sagt sie lachend. Stattdessen werden die Schnegel mit Haferflocken, Pilzen und Hefetabletten gefüttert. Einmal die Woche machen die Rosenbauers zudem die Kisten, in denen sie die Tiere halten, sauber. „Ansonsten können darin Krankheiten ausbrechen“, erklärt Anette Rosenbauer. Die Kisten werden mit Küchenpapier und Moos ausgelegt. Die Bierschnegel, bei denen es sich um Zwitter handelt, können sich darin paaren und Eier legen. Zwischen 20 und 80 Eier sind es pro Gelege, hat die Biologin festgestellt. Nach etwa drei oder vier Wochen schlüpfen die Jungschnecken. Die jungen Bierschnegel haben eine grünliche Färbung, im Alter werden sie eher beige, das besondere Muster auf ihrem Rücken verblasst. Bis zu zweieinhalb Jahre können die Tiere alt werden.

Die Fürsorge der Rosenbauers zeigt bereits Erfolge: Inzwischen ist die Population der Bierschnegel im Keller auf etwa 250 Exemplare angewachsen. Wenn die Bauarbeiten in Sachsenheim abgeschlossen sind und die Mauern sich wieder ein wenig begrünt haben, wollen die Biologen die Tiere dort wieder aussetzen. „Wir haben sie nur als Erhaltungskultur dieser Population hier“, erklärt Anette Rosenbauer. Sie künstlich andernorts anzusiedeln, das mache man nicht. Die Backnangerin hofft, dass es bis zum Sommer so weit ist. Schließlich wolle sie auch irgendwann in den Urlaub fahren – und Freunden neun Kisten voller Nacktschnecken zur Pflege zu überlassen, das gehe schlecht. Von ihrer Rettungsmission in Privatinitiative erzähle sie Freunden selten, sagt Rosenbauer. Man ernte oft wenig Verständnis dafür. „Unter Biologen dagegen ist so etwas nichts Besonderes“, weiß sie. Da habe jeder sein Projekt.

Für die Zeit, wenn die Bierschnegel wieder zurück an ihrem angestammten Platz sind, hat Anette Rosenbauer schon diverse andere Projekte angedacht. Unter anderem habe sie vor, zu kartieren, welche Schneckenarten es in der Region gibt. Ein derartiges Werk existiert von David Geyer (1855 bis 1932), dem Schneckenpapst, wie Anette Rosenbauer ihn nennt. Der Lehrer, der auch in Backnang aktiv war, veröffentlichte um die Jahrhundertwende ein Bestimmungsbuch für Land- und Süßwassermollusken (also Weichtiere). Bezüglich des Bierschnegels heißt es darin: „Im ganzen Gebiete, aber wenig bekannt; lebt verborgen in feuchten, dunklen Räumen, gerne in Kellern, in welchen Gemüse und Oele aufbewahrt werden.“ Diese Kartierung, findet Anette Rosenbauer, könnte eine Aktualisierung gebrauchen.