Einstiger Lehrer sammelt regelmäßig Müll

Der pensionierte Lehrer Klaus Digel sammelt bei seinen Spaziergängen den achtlos in die Umwelt geworfenen Müll auf. Vom 12. bis 18. April werden sich weitere Sammler anschließen, denn die Flurputzete in Backnang steht an.

Einstiger Lehrer sammelt regelmäßig Müll

Seit vier Jahren sammelt Klaus Digel regelmäßig Müll, inzwischen drei bis sechs Tage pro Woche. Foto: A. Becher

Von Anja La Roche

BACKNANG. Wenn man in Maubach und Umgebung an der frischen Luft unterwegs ist, trifft man früher oder später auf Klaus Digel. Der ehemalige Spitzensportler und Lehrer der Max-Eyth-Realschule (MER) geht seit etwa einem Jahr beinahe täglich seinem neuen Hobby nach, dem Spazierengehen und Müllsammeln. Der 66-Jährige hat dabei stets Eimer und Greifzange dabei, um die achtlos weggeworfenen Glasflaschen, Pappkartons und Kippenstummel aufzusammeln. „Nur bei Schnee und Wind geht es nicht“, sagt Digel. „Und sonntags auch nicht, da hat’s mir meine Frau verboten“, ergänzt er lachend. Diese zunächst unscheinbare Freizeitbeschäftigung birgt eine ideale Kombination verschiedener Vorteile: soziale Kontakte, gesunde Bewegung und Engagement für eine saubere Umwelt.

Was Digel zu seiner täglichen Mission gemacht hat, findet einmal im Jahr als große Aktion der Stadt Backnang statt. Diese veranstaltet um diese Jahreszeit eine sogenannte Flurputzete, bei der gemeinschaftlich Müll gesammelt wird. Nachdem die Aktion vergangenes Jahr pandemiebedingt abgesagt wurde, hat die Stadt sich dieses Jahr für eine coronakonforme Umsetzung entschieden (siehe Infobox). Die Kreisputzete der Abfallwirtschaft Rems-Murr hingegen fällt dieses Jahr wieder aus. Das sei zwar schade, aber Klaus Digel weiß, dass ein Tag sowieso nicht ausreicht, um das Müllproblem einzudämmen. Denn wie viel Müll herumliege, das sei der Wahnsinn, sagt der pensionierte Lehrer.

Digel wünscht sich Baumpatenschaften als Ehrenamt.

Besonders groß ist sein Unverständnis für die zahlreichen Zigarettenstummel, die achtlos auf den Boden geworfen werden — selbst wenn daneben ein Mülleimer steht. Die Bußgelder für solche Umweltsünden wurden 2018 zwar deutlich angehoben, aber das habe nichts verändert, so Digel. „Wie will man das denn kontrollieren?“, fragt er. Um das Müllproblem langfristig anzugehen, brauche es Vorbilder und Aufklärung. Bei seinem Spaziergang mit Eimer und Greifzange wird er oft angesprochen, besonders von Kindern und Jugendlichen. Digel erzählt dann gerne, was es damit auf sich hat. Denn „die Leute müssen achtsamer werden“, sagt er.

Für seine Umwelt und ein schönes Stadtbild setzt sich Digel schon lange ein. Seit 1992 ist er Grünflächenpate in Backnang: Gemeinsam mit seiner Frau pflegt er ehrenamtlich städtische Grünflächen. Und er hat eine weitere Idee, die der Natur im Stadtbild zugutekommen könnte: Baumpatenschaften. Er selbst gießt regelmäßig vier Bäume. Gebe es das als ein weiteres Ehrenamt, würden sich mehr Bewohner dazu berufen fühlen, sagt der 66-Jährige. „Die Leute müssen nur ihren Gartenschlauch benutzen.“

Dass Digel sich auf das Spazierengehen spezialisiert hat, entspringt vermutlich einer lebenslangen Leidenschaft für das Laufen. Als Läufer ist er in Maubach eine bekannte Persönlichkeit gewesen. Während seiner Tätigkeit als Sport- und Mathelehrer an der Max-Eyth-Realschule schaffte er es, viele Schüler für das Laufen zu begeistern. Auch privat gab er zehn Jahre lang jeden Sonntag Lauftraining für Schüler und ihre Eltern. Beim Stuttgartlauf liefen einst rekordverdächtige 150 MER-Schüler mit ihm mit.

Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre zählte Digel zu der Spitze der deutschen Mittelstreckenläufer. Viermal belegte er den sechsten Platz bei der deutschen Meisterschaft. „Mein Toperfolg war 1980“, erinnert er sich. Der Backnanger belegte den dritten Platz im 1000-Meter-Lauf beim internationalen Leichtathletikfest. Nach einer Laufpause packte den Sportler viele Jahre später erneut der Ehrgeiz. Mit 50 Jahren wurde er württembergischer Meister und bei der deutschen Meisterschaft belegte er den dritten Platz.

Durchs Laufen ist Digel in seinem Leben viel herumgekommen und hat viele Bekanntschaften gemacht — das hat sich bis heute nicht verändert. Und nicht nur aus diesem Grund könne er das Müllsammeln jedem ans Herz legen, denn es sei obendrein noch ein gesunder Zeitvertreib. Das hat Klaus Digel am eigenen Leib erfahren: Weil ihm das Laufen altersbedingt nicht mehr möglich ist, erhöhte sich sein Diabeteswert. Mit seinen ausgedehnten Spaziergängen und gesundem Essen habe er das in den Griff bekommen und sechs Kilogramm abgenommen, sagt er. Gerade in der Coronazeit würden viele Leute zunehmen und da sei viel Bewegung wichtig.

Sind die öffentlichen Eimer voll, lagert er den Müll in seiner Garage.

Etwa 13000 Schritte macht er inzwischen täglich. Dabei sucht er sich jedes Mal neue Wege für seinen Spaziergang aus, um weiteren Müll einsammeln zu können. Wenn die öffentlichen Mülleimer bereits voll sind, lagert er die von ihm gefüllten Müllsäcke in seiner eigenen Garage. „Heute Mittag gehe ich noch in Strümpfelbach spazieren“, sagt Klaus Digel. Bei schönem Wetter mache es besonders Spaß, deswegen wolle er heute gleich zwei Gebiete ablaufen. In den vergangen Tagen lag er unter dem Durchschnitt seiner Schrittzahl und das will er jetzt nachholen. „Ich muss gucken, dass ich heute 18000 Schritte schaff“, sagt er. Auch seine Frau möchte ihn bei seinen Spaziergängen mit reinigender Wirkung für die Umwelt zukünftig öfter begleiten. Digel hat sich den Greifarm, den er als Werkzeug für das Müllsammeln dringend empfiehlt, aus der MER ausgeliehen. Für seine Frau wolle er noch einen weiteren organisieren.

Die Flurputzete eignet sich dieses Jahr nicht nur dazu, einen Tag seine Nachbarschaft zu säubern. Sondern sie sollte mit Neugier getestet werden, denn vielleicht ist das Müllsammeln für den einen oder anderen eine bereichernde Beschäftigung, um soziale, ökologische und gesundheitliche Aspekte auf einen Schlag in den Alltag zu integrieren.

Eine Woche sauber machen

Vom Montag, 12. April, bis zum Sonntag, 18. April, ruft die Stadt zum Müllsammeln am Stadtrand sowie in den ländlichen Gegenden Backnangs auf. Dafür können sich die freiwilligen Helfer von Montag bis Freitag der betreffenden Woche mit Müllsäcken ausstatten. Diese gibt es kosten- und kontaktlos bei dem Baubetriebshof Etzwiesenstraße 38.

Statt Treffpunkte und Helferimbisse gilt es dieses Jahr als einsamer Wolf oder kleines Familienrudel durch das Revier zu streifen und es von Unrat zu befreien, um die Kontaktregelungen einzuhalten. Die befüllten Müllsäcke kann man dann einfach vor Ort stehen lassen und den Standort per E-Mail an flurputzete@backnang.de schicken.