Eintauchen in den Balsam der Natur

Mit Astrid Szelest beim Waldbaden – Abschlussveranstaltung des Jahresprogramms der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald

Die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) hat ihr Jahresprogramm mit einer „Waldbaden“-Aktion im Tannwald bei Welzheim abgeschlossen. Das Baden in Waldluft geht auf das japanische Shinrin Yoku zurück. Der Wald habe eine positive Wirkung auf die Gesundheit, unterstreicht die SDW. Das Motto könnte auch lauten: Dr. Wald weiß, wo’s fehlt.

Eintauchen in den Balsam der Natur

Laub riechen: Astrid Szelest (Zweite von rechts) leitet das Waldbaden an. Der Aufenthalt in der Natur hat eine entspannende und wohltuende Wirkung. Foto: T. Sellmaier

Von Ute Gruber

WELZHEIM. Fest und aufrecht stehen wir auf dem weichen Waldboden. Die Augen geschlossen, atmen wir tief die feuchte Waldluft ein, dass sich der Bauch unter unseren Händen wölbt. Voller Terpene sei sie, diese „Champagnerluft hier in Welzheim“, gerade nach so einem kurzen Regenschauer wie heute Morgen.

Diese harzig-herben Botenstoffe der Bäume regen in unserem Organismus anscheinend die Produktion von Killerzellen an und schützen uns so vor Infekten und Krebs. Wir lauschen den Geräuschen: Das Rauschen der Autos auf der Straße wird leiser, je weiter wir in den Tannwald hineinlaufen. Nun wird das Rascheln der Blätter deutlicher, in der Ferne plätschert ein Bächlein, der Wind streichelt unsere Haare, das Gesicht.

Schweigend schreiten wir den Pfad entlang, lassen uns treiben. Wir halten inne, unsere Augen trinken das satte Grün des Mooses, der Fichten und Tannen. Der Puls wird ruhiger, der Blutdruck sinkt, all die schwarzen, sorgenvollen Gedanken werden unbedeutend neben dem gelassenen, ewigen Werden und Vergehen um uns herum.

„Es gibt eine Kraft aus der Ewigkeit, und diese ist grün“, wusste schon Klosterfrau Hildegard von Bingen vor fast tausend Jahren. Damals war man der Natur respektive dem Wald noch bedeutend näher, wie Wildnispädagogin Astrid Szelest erklärt: „Wenn mein Arm die Zeit darstellt, seit der es Menschen gibt“, sagt sie und streckt den rechten Arm aus, „wie viel davon lebt der Mensch in festen Häusern?“ Grade mal das Weiße vom Fingernagel, man stelle sich vor. Kein Wunder ist unser Organismus eigentlich noch ganz auf ein Leben als Waldläufer eingestellt.

Zwei solche traben jetzt flott an uns vorbei. „Morgen!“, schallt es fröhlich – man kennt sich. In der Betonhülle moderner Städte dagegen wird der Mensch krank: Bewegungsmangel fördert Fettleibigkeit, Diabetes, Darmträgheit. Lichtmangel führt zu Depressionen und Knochenschwund. „Naturdefizit-Syndrom“ nennt das Richard Louv in seinem Buch „Last Child in the Woods“ – das letzte Kind im Wald.

Heilsam für Körper,

Geist und Seele

Dass dem Menschen ohne Wald etwas fehlt und der Kontakt mit der Atmosphäre des Waldes heilsam wirkt für Körper, Geist und Seele, wurde nun auch wissenschaftlich belegt: Schon zehn Minuten Naturbetrachtung – das Eintauchen in den Seelenbalsam der Natur – lassen den Blutdruck sinken, und das Stressempfinden sinkt, messbar auch an Puls, Muskelanspannung und Hautleitfähigkeit. Selbst unspektakuläre Naturszenen wirken stimmungsaufhellend und haben einen nachweislich positiven Effekt auf die Konzentrationsfähigkeit.

Die Japaner, ausgesprochene Städter, haben diese Zusammenhänge wissenschaftlich untersucht und daraus eine ganzheitliche Gesundheitstherapie entwickelt: Shinrin Yoku – Baden in Waldluft. Auch in den hiesigen Medien taucht der Wellnesstrend des Waldbadens neuerdings vermehrt auf – der hiesige Kreisverband der SDW hatte das Ohr am Puls der Zeit und schon vor einem Jahr den heutigen Badetermin angesetzt.

Was die Japaner jetzt entdeckt haben, war den Deutschen ohnehin schon immer heilig: der Wald. In unzähligen Volksweisen besungen, von Waldkindergärten und modernen Überlebenskünstlern wieder entdeckt. Astrid Szelest bekam den Waldbezug in pragmatischer Weise noch von ihrer bäuerlichen Großmutter vermittelt, sozusagen „in die Wiege gelegt“. Die Waldläuferin, die mit Ehegatte Rüdiger mehrere Wochen im Jahr Wölfe und Bären in der Wildnis Russlands beobachtet (auch bei minus 35 Grad Celsius), gibt den heutigen Waldbadegästen Tipps: „Wichtig ist, dass man absichtslos rausgeht“, am besten solle man einen Lieblingsplatz finden, wo man wenigstens einmal die Woche ein, zwei Stunden einfach ruhig sitzt. „Bei mir muss da ein Bächlein dabei sein.“

Dann müsse man den „Plappermann im Ohr“ abstellen und sich entspannen. Wenn der anfängliche Tumult von warnend kreischenden Eichelhähern sich gelegt habe, könne sein, dass dann tatsächlich ein Mäuslein oder Eichhörnchen zutraulich auftauche und einen anknabbere. „Da fühle ich mich daheim.“

Während die beiden Welzheimer Marathonläufer unter gegenseitigem Gefrotzel zum dritten Mal vorbeijoggen, sucht jeder Teilnehmer einen Baum seines Vertrauens, tritt in dessen Aura und lässt sich nieder. Die Rinde der Mammutbäume ist erstaunlich weich und warm.

Immer wieder lässt Astrid Szelest Waldwissen einfließen: Wie unterscheidet man Tanne und Fichte? Wieso findet man auf dem Boden keine Tannenzapfen, sondern die von der Fichte? Vom Fichtengeist „Klabautermann“ ist die Rede, von den Schätzen des Waldes, von nahrhaften Brennnessel-Smoothies und erfrischendem Fichtennadeltee.

„Der Wald ist zu jeder Jahreszeit schön. Zurzeit rufen abends die Käuzchen.“ Allerdings empfiehlt sich für ein Waldbad nicht die Holzerntezeit. Denn ab jetzt rücken die Waldeigentümer mit Motorsägen und Harvester an – von Stille kann keine Rede mehr sein. Viele Funktionen muss der deutsche Wald erfüllen: Energie- und Baustoffproduzent, CO2-Speicher und Klimaschutz, Erholungsort. Alles zu seiner Zeit.

Wildkräuterrezepte

und heißer Hagebuttentee

Zum Abschluss gibt es heißen Hagebuttentee aus selbst gesammelten Schalen und zermörserten Kernchen. Wildkräuterrezepte werden ausgetauscht, derweil traben keuchend Frieder und Hans zum fünften Mal an der Wellness-Gruppe vorbei: „Aha, das ist das, was man unter einem Running Gag versteht“, stellt da SDW-Vorstand Gerhard Strobel grinsend fest.

Zuletzt werden Eindrücke ausgetauscht: „Ich hatte richtig Herzklopfen, als ich auf den Baum zu gegangen bin“, bekennt eine Teilnehmerin, „wie bei einem fremden Menschen.“ – „Die Fichte sticht, die Tanne nicht“, wiederholt eine andere das neu Gelernte. Wieder eine andere hat gute Anregungen für ihre eigene pädagogische Arbeit bekommen. Also denn: „Auf bald im Wald!“