Emotionen aus Verfolgungsjagd kochen hoch

Ludwigsburger Schöffengericht spricht eine Bewährungsstrafe und ein Fahrverbot gegen eine junge Frau aus Backnang aus.

Emotionen aus Verfolgungsjagd kochen hoch

Symbolfoto: Fotolia / Romolo Tavani

Von Heike Rommel

BACKNANG/PLEIDELSHEIM. In einem Strafprozess gegen eine 24-Jährige aus Backnang sind vor dem Ludwigsburger Schöffengericht die ganzen Emotionen aus einer spektakulären Verfolgungsjagd mit der Polizei wieder hochgekocht. Vom Hubschrauber gesichtet, durchbrach die Autofahrerin mehrere Polizeisperren und konnte selbst mit Schüssen nicht gestoppt werden. Das Gericht hat sie wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr sowie Widerstands und tätlichen Angriffs auf die Polizei zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt, einem Polizisten 500 Euro Schmerzensgeld zugesprochen und drei Monate Fahrverbot verhängt.

Die Backnangerin hatte am Vorabend des 3. Dezembers 2018 einen Abschiedsbrief geschrieben und an ihrer Arbeitsstätte unter der Türe durchgeschoben. Ihren Kollegen schrieb sie am Morgen per WhatsApp, man müsse wissen, wann man den Kampf verloren hat, sie hoffe, dass ihr verziehen wird, was sie jetzt macht. Zu diesem Zeitpunkt galt die junge Frau schon als vermisst. Gegen 13 Uhr konnte ihr Handy geortet werden. Als die Autofahrerin merkte, dass der Polizeihubschrauber sie sichtete, fuhr sie in Richtung Ortsmitte Pleidelsheim davon.

Etliche Polizeiautos setzten ihr auf der L1129 nach Freiberg am Neckar hinterher, aber es gelang den Polizisten nicht, die Gesuchte anzuhalten. Die 24-Jährige durchbrach mehrere Straßensperren. An der letzten Sperre standen zwei Polizeibeamte mit gezogenen Schusswaffen. Einer musste zur Seite springen, als die junge Frau ungebremst auf den Streifenwagen zufuhr, und der zweite Polizist schoss ihr in die Beifahrertüre. Die Angeklagte fuhr weiter und stellte ihren Wagen auf einem Feldweg in Ingersheim ab, um zu Fuß weiterzuflüchten. Dort wurde sie von der Polizei festgenommen und in die Psychiatrie gebracht.

Die immer noch in psychotherapeutischer Behandlung befindliche Beschuldigte gab vor Gericht alles zu. Als Beweggrund gab sie an, sie habe von ihrem Chef einen höheren Posten angeboten bekommen, diesen aber nicht annehmen wollen, weil sie Angst vor Neuem habe. Außerdem habe es bei ihr zu Hause familiäre Probleme gegeben. Ernsthafte Selbstmordabsichten, führte die 24-Jährige weiter aus, habe sie keine gehabt.

Bei der Beweisaufnahme rief das Gericht acht Polizeibeamte in den Zeugenstand, die an der Verfolgungsjagd beteiligt waren. Derjenige, der in die Beifahrertüre geschossen hat, erklärte, auf die Autoreifen gezielt zu haben, weil er gedacht habe, die Frau überfahre seinen Kollegen. Für den Kollegen, der angab, schon viele Gerichtsverhandlungen erlebt zu haben, war die mit der Verfolgungsjagd „die emotionalste“. Der Polizist hatte eine Woche Schmerzen, nachdem er mit gezogener Waffe über die Leitplanke gesprungen war, um nicht vom Auto der Angeklagten erwischt zu werden. Ihm sprach das Gericht im Urteil 500 Euro Schmerzensgeld zu. Während seiner Zeugenaussage wies dieser Polizeibeamte darauf hin, dass er Angst um sein Leben gehabt habe. Er habe Familie und drei Kinder. Er sei schon lange bei der Polizei, aber noch nie so mit dem Tod konfrontiert worden. Ein weiterer Polizist sagte aus, er habe bei der Festnahme der damals erst 22-Jährigen Alkohol gerochen. Das passte nicht zu dem Wert des Alkoholtests von null Promille.

Die vorsitzende Richterin Ann-Cathrin Koblinger hörte in dem Abschiedsbrief der 24-Jährigen einen „Hilfeschrei“, bevor die Verfolgungsjagd unter Einsatz der Polizei Marbach am Neckar, Bietigheim, Ludwigsburg und Vaihingen an der Enz „wie im Film“ ablief. Das Gericht schaute sich ein Video dazu aus dem Polizeihubschrauber an. Die junge Frau, hieß es dann in der Urteilsbegründung, habe sich in einem psychischen Ausnahmezustand befunden. Anders sei die ganze Sache nicht zu erklären.