Empfindliche Gefängnisstrafen

Backnanger Schöffengericht nimmt bei Verhandlung gegen vier Angeklagte von Vorwurf des Menschenraubs Abstand

Empfindliche Gefängnisstrafen

Drei Angeklagte werden wegen Nötigung, Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Drogenhandel verurteilt. Foto: Fotolia/R. Tavani

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Der zweite Verhandlungstag in Sachen „erpresserischer Menschenraub“ vor dem Backnanger Schöffengericht – es gibt vier Angeklagte (wir berichteten) – wächst sich zu einem Marathon aus. Ein Kriminalbeamter berichtet nochmals über die verschiedenen polizeilichen Untersuchungen. Die Beamten hegten an den Schilderungen des Geschädigten Akono (Name geändert) zunächst keine Zweifel. Ja, der Geschädigte selbst hilft den Ermittlern dabei, die Wohnung in Backnang zu finden, in der er festgehalten wurde.

Den Geschädigten lässt man getrost ziehen

Geplant war eigentlich eine weitere Vernehmung. Aber zu der kommt es nicht. Akono wird zwischenzeitlich von der Bundespolizei in einem Zug kontrolliert, weist ein niederländisches Visum vor, das aber abgelaufen ist. Da er angibt, auf dem Weg in sein Heimatland zu sein, und auch das Flugticket zu bezahlen weiß, lässt man ihn getrost ziehen.

Der vor Gericht aussagende Kriminalbeamte betont, dass dieses Vorgehen nicht mit seiner Stelle abgesprochen war. Viel Zeit nimmt die Begutachtung von Tatortfotos und die Analyse der Mobilfunk-Chats in Anspruch. Da dies alles am Tisch der Richterin abgewickelt wird, die dabei von Angeklagten, Rechtsanwältin und Justizpersonal umringt ist, bekommen die Zuhörer nur Bruchstücke mit. Ein Gutachten des Landeskriminalamts wird verlesen. Gründlichst hat man die Oberbekleidung des Geschädigten sowie den Teppichboden in der Tatwohnung untersucht. Und siehe da: Man kann Faserspuren des einen am anderen nachweisen. Akono muss also, wie er selbst auch angab, während seines Aufenthalts in der Backnanger Wohnung irgendwann rücklings auf dem Boden gelegen haben. Man habe ihn, so sagte er, auf dem Boden liegend festgehalten, Kleider auf sein Gesicht gelegt, sodass er in Atemnot geriet. Der Geschädigte hat weiter im fraglichen Zeitraum 3300 Euro auf ein Bankkonto eingezahlt, was wiederum für das Pass-Geschäft spricht, das der Angeklagte Tayo als Anlass des Treffens am ersten Verhandlungstag geschildert hatte. Dann gibt es noch zwei Briefe, die der damals in Untersuchungshaft sitzende Simba (Name geändert) an seine Verlobte, die angeklagte Yvonne (Name geändert) in Backnang geschrieben hat. Der englische Wortlaut ist umstritten. Sind die Briefe als Absprache für die Verhandlung zu werten?

Die Staatsanwältin beginnt mit dem hehren Grundsatz: in dubio pro reo. Und äußert auch deutlich ihre Zweifel an Aussagen des Hauptbelastungszeugen. Für sie steht fest, dass der Geschädigte in der Wohnung von Yvonne war, dass irgendein Pass-Geschäft heftig verhandelt wurde, dass der Geschädigte zwei Fluchtversuche unternahm und irgendwann während seines Aufenthalts auf dem Boden gelegen sein muss. Ja, sie zeigt sogar Verständnis für die Rückzahlungsforderung des Angeklagten Tayo gegenüber dem geschädigten Akono. Sie rückt vom Vorwurf des erpresserischen Menschenraubs ab. Für sie war’s Nötigung, Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Der Angeklagte Simba (Name geändert) habe sich der gemeinschaftlichen Körperverletzung und des Drogenhandels schuldig gemacht, die Wohnungsbesitzerin Yvonne der Beihilfe zur Nötigung. Die Tatbeteiligung der vierten Angeklagten, Mara (Name geändert), ist nicht zu klären. Sie ist freizusprechen.

Ein Verteidiger ist mit dem ganzen Verfahren unzufrieden

Die Richterin fordert für Tayo ein Jahr, acht Monate, für Simba 3 Jahre und für Yvonne 1 Jahr, fünf Monate Gefängnis. Bei letzterer allerdings auf Bewährung. Die Verteidiger halten dagegen. Für den Rechtsanwalt von Tayo sind die Aussagen des Geschädigten unglaubhaft. Es fanden sich kein Stuhl, an den Akono angeblich gefesselt worden sein soll, und kein Knebel. Die ganze Aktion sei auch von Yvonne nicht mit dem Smartphone gefilmt worden. Zunächst stand im Raum, dass Akono durch kompromittierende und dann bei Facebook zu veröffentlichte Bilder zur Rückzahlung des ausstehenden Geldes gezwungen werden sollte. Fünf Monate Freiheitsstrafe sind durch die Untersuchungshaft abgegolten. Der Rechtsanwalt von Simba ist mit dem ganzen Verfahren unzufrieden. Er kann nicht verstehen, dass nicht alles darangesetzt wurde, den Hauptbelastungszeugen beizubringen. Aus den Vernehmungen der Polizei ergibt sich für ihn eine unglaubwürdige Geschichte. Sein Mandant sei deshalb allein für den Handel mit Marihuana zu verurteilen. Der Verteidiger von Yvonne zielt auf Freispruch ab. Da die Männer in ihrer Muttersprache konferierten, habe sie keine Kenntnis von dem Streitpunkt gehabt. Ja, im Gegenteil, sie habe sogar versucht, mäßigend auf die Männer einzuwirken. Von dem Marihuana unter ihrem Schlafsofa habe sie nichts gewusst, auch wenn sie gelegentlich zusammen mit Simba die Droge konsumierte. Nach 40-minütiger Beratung urteilt das Schöffengericht. Bezüglich der Angeklagten Tayo und Simba macht sich das Gericht die Forderungen der Staatsanwaltschaft zu eigen. Yvonne wird milder behandelt. Ein Jahr und drei Monate Gefängnis werden zur Bewährung ausgesetzt.

Nach dem langen Verhandlungsnachmittag haben es alle Beteiligten eilig, nach Hause zu kommen.