Engelbergtunnel – immer unter Druck

650-Millionen-Euro-Bauwerk muss 20 Jahre nach der Eröffnung aufwendig saniert werden – Baubeginn verzögert sich um ein Jahr

Von Alexander Ikrat

Baustelle - Er ist einer der größten Autobahntunnel Europas: der Engelbergbasistunnel. 20 Jahre nach seiner Eröffnung muss er für 130 Millionen Euro saniert werden. Für die Menschen in der Umgebung gilt das Bauwerk als Glücksfall – warum?

Leonberg Alexander Kühnel will sich sein Leben ohne den Engelbergtunnel gar nicht vorstellen. Der Maschinenbauingenieur wohnt in Leonberg-Höfingen, Luftlinie kaum zwei Kilometer vom Nordportal entfernt. Als selbstständiger Händler von Maschinenbauteilen ist er Jahr für Jahr rund 40 000 Kilometer unterwegs. Weil sein Geschäftspartner in Salzburg sitzt, vorzugsweise auf der A 8. Trotzdem nimmt er fast nie den kurzen Weg durch Leonberg auf die Autobahn, sondern fährt erst gen Osten nach Ditzingen, um dann über die A 81 durch den Engelberg auf die A 8 zu kommen. Das sind mehr als vier Kilometer Umweg, doch der 50-Jährige schwört auf diese Strecke: „Ich fahr immer so, das ist ganz sicher der schnellste Weg.“

Kühnels Verhalten ist im Sinne des Erfinders. Der Engelbergbasistunnel wurde in den 90er Jahren gebaut, weil die Strecke zum alten Engelbergtunnel ein paar Stockwerke höher mit sechs Prozent Steigung und vielen hochzuckelnden Lastwagen chronisch verstopft war. Das führte auch zu Dauerstau auf der B 295 durch Leonberg. Die notorische Staustrecke A 81 führte zudem mitten durch Wohngebiete nur wenige Meter an den Häusern vorbei. Der Gestank und vor allem der Lärm sind kaum mehr vorstellbar, wenn man heute über die ­renaturierte alte Autobahntrasse spaziert.

Der frühere Oberbürgermeister Bernhard Schuler, 1993 ins Amt gewählt, als noch über Alternativen diskutiert wurde, und der seit einem Jahr im Ruhestand ist, hält den Tunnel für „ein großes Glück für die Stadt: Ohne ihn würde sie – und auch die Umgebung – im Verkehr ersticken“. Mit der Eröffnung der Oströhre im September 1998, der Weströhre im August 1999 und ein paar Jahre später im September 2008 mit dem A-8-Anschluss Leonberg-West ist der Engelbergtunnel zu einer Umfahrung für die Stadt geworden.

Damit hat sich für Ex-OB Schuler auch das in Zeiten knapper Kassen umstrittene Finanzierungsmodell gelohnt. Weil die Baukosten in Höhe von 467 Millionen Euro von den Baufirmen und später von Banken vorgestreckt wurden, zahlte der Bund für die Tilgung bis August 2014 noch 183 Millionen an Zins und Zinseszins. Macht 650 Millionen Euro. Die jährlichen Betriebskosten belaufen sich auf rund 1,3 Millionen Euro. „Die Investition in den Engelbergbasistunnel war notwendig und folgerichtig“, heißt es aus dem Bundesverkehrsministerium, wo man nur dem Hamburger Elbtunnel (A 7) und dem Tunnel Allach bei München (A 99) eine ähnliche große Bedeutung beimisst.

Dass es auch in der Gegenwart Staus rund um das Dreieck gibt, liegt zum einen daran, dass der Verkehr auf der einzigen Nord-Süd-Autobahn im Raum Stuttgart seit Mitte der 90er Jahre weiter zugenommen hat. Fuhren durch den alten Engelbergtunnel 1995 noch 85 000 Fahrzeuge täglich, so sind es in der Basisvariante aktuell mehr als 120 000 Pkw und Lkw. Diese Verkehrslawine wird immer wieder an Baustellen ausgebremst, die auch im Tunnel liegen – zweiter Grund für die Staus.

Der Basistunnel führt durch eine Problemzone des Engelbergs mit dem Namen Anhydrit. Auf rund 450 von 2520 Metern Länge liegt hinter den Wänden der sogenannteGipskeuperan. Wenn dieser in Kontakt mit Wasser gerät, quillt er auf und dehnt sein Volumen um bis zu 50 Prozent aus. Das Thema war schon früher bekannt und wurde bei der Planung berücksichtigt. Dennoch gab es während der Bauzeit Probleme, der Bauleiter sagte unserer Zeitung damals: „Wir haben nicht damit gerechnet, dass es so stark drückt.“

Die Wände wurden im kritischen Bereich anstatt der vorgesehenen 70 Zentimeter bis zu drei Meter dick gegossen. Die Baukosten stiegen um mehr als die Hälfte von geplanten 300 Millionen auf letztlich 467 Millionen Euro an. Gereicht hat das nicht.

Schon 2002 mussten die Straßenbauer zur Kenntnis nehmen, dass mehrere der zehn Meter langen Tunnelsegmente um bis zu zwei Zentimeter auseinandergedriftet waren. Es entstanden Risse, und es gab Wassereinbrüche. Jahre später bewegten sie sich an anderer Stelle aufeinander zu, so dass Beton absplitterte und ein fünf Meter langes Stahlnetz gespannt wurde – damit die Bröckel nicht auf die Autos fielen. Immer mal wieder war der Tunnel gesperrt, weil Arbeiter Eiszapfen von der Decke schlagen mussten.

Mal zieht der Berg am Tunnel, mal drückt er dagegen: Die Fachleute mussten nicht nur Hohlräume füllen und Löcher flicken lassen, sondern sich auch den Kopf darüber zerbrechen, wie die Spannung vermindert werden kann. Zwischen 2008 und 2010 schlitzten Fachfirmen nach und nach die rund 16 Meter breiten Fahrbahnen am Rande auf, um Druck aus den Bodenplatten zu nehmen. Da zeigte sich sozusagen deutsche Wertarbeit: Anstatt der geplanten zehn Meter pro Tag schafften die Experten nur die Hälfte.

Der Tunnel wurde immer mehr überwacht, immer genauer untersucht. Betonbauer schnitten Fenster in die Wände, um hinter die Verkleidung zu schauen. Als sich 2011 die Erkenntnis durchsetzte, dass aufwendig saniert werden muss, gab Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) dieses Ziel aus: eine „dauerhafte Stabilisierung“ des bei der Eröffnung als Jahrhundertbauwerk gepriesenen Tunnels.2012 bohrten Expertenan verschiedenen Stellen des Bergs bis zu 100 Meter tiefe Löcher für Sonden, die Bewegungen im Bereich eines ­Tausendstelmillimeters messen – bis heute.

Die Erkundung des Berges und das Austüfteln des Sanierungskonzepts dauerten Jahre. Die Untersuchungen nährten die Hoffnung. Im vergangenen Jahr konnte Enrico Hinz, Projektleiter für die Sanierung, verkünden, dass die Schwellung des Anhydrits nachlasse. Die umfassende Sanierung macht das nicht überflüssig, zumal nicht ausgeschlossen ist, dass sich der Anhydrit auch mal wieder anders verhält.

130 Millionen Euro soll die Sanierung nun kosten, damit der Berg am Tunnel künftig Ruhe gibt. „Wir wollen sicherstellen, dass es auch die letzte wegen des Anhydrits wird“, sagte Projektleiter Enrico Hinz. In den vergangenen 20 Jahren flossen laut Hermanns Sprecher Edgar Neumann rund 20,5 Millionen Euro in Reparaturen, davon 5,5 Millionen in die Technik.

Abseits von Geologie und Zahn der Zeit wurde der Engelbergtunnel seit 2016 sicherheitstechnisch aufgerüstet. 17,5 Millionen Euro flossen unter anderem in einneues Betriebsgebäude, in Tore an den Verbindungen zwischen den Röhren und in neue Verkehrszeichenbrücken im und um das Bauwerk. Letztere wurden dieses Jahr auch deshalb ausgetauscht, damit die ­Brücken mit Symbolen und Text den Verkehr während der mehrjährigen Bauzeit optimal regeln können.

Dass die Sicherheit im Tunnel hoch ist, zeigt dieser Umstand: Bei 19Fahrzeugbrändenseit der Eröffnung gab es nach Auskunft des Leonberger Feuerwehrkommandanten Wolfgang Zimmermann keinen einzigen Verletzten. „Wir hatten aber auch noch keinen heftigen Brand“, sagt Zimmermann, „wir konnten die Pkw und Transporter immer schnell löschen, weil wir jedes Mal ranfahren konnten.“

Die Arbeiten in einem Nadelöhr des Verkehrs im Ballungsraum sollen nicht nur bei der Feuerwehr so gut vorbereitet werden, dass es bis zum geplanten Ende der Sanierung 2024 nicht wieder zuDauerstausam neuen Engelbergtunnel wie einst am alten kommt. Dazu werden etwa die Verkehrsflüsse während der Bauzeit aufwendig am Computer simuliert. Wegen der Vorbereitung verzögern sich die eigentlichen Bauarbeiten jetzt schon. Anstatt Ende dieses Jahres beginnen sie erst im Herbst 2019. Und sollten die sechs Spuren ursprünglich Anfang 2019 verengt und der Standstreifen gesperrt werden, kommt dies nun laut Ministeriumssprecher Neumann erst im April 2020.

Maschinenbauingenieur Kühnel hört es gerne – und trotzdem weiß er, dass er um die Sanierung und die damit verbundenen Verkehrsbehinderungen nicht herumkommt: „Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie das hier wäre, wenn der Tunnel mal für ­länger gesperrt werden müsste.“