Entwicklungen und Verwicklungen

Furioser Auftakt der neuen Spielzeit im Backnanger Bürgerhaus mit Pianist Viktor Soos und dem Schwarzwald Kammerorchester

Am Samstagabend eröffnete das Schwarzwald Kammerorchester mit dem Solisten Viktor Soos die neue Spielzeit im Backnanger Bürgerhaus. Der Abend stand ganz im Zeichen zweier Meisterwerke der deutschen Romantik: Schumanns einziges Klavierkonzert und die populäre Zweite Sinfonie von Brahms. Albrecht Dürr gab eine kurzweilige Werkeinführung.

Entwicklungen und Verwicklungen

Gelungene Heimkehr des jungen Backnanger Pianisten Viktor Soos: Die Verschmelzung von Solist und Orchester zu einem großen Ganzen gelingt im Bürgerhaus vorzüglich.Foto: J. Fiedler

Von Christoph Rothfuß

BACKNANG. Noch einmal durchatmen und dann hieß es: Bühne frei für Viktor Soos und die größtenteils noch sehr jungen Instrumentalisten des Orchesters unter der Leitung von Karsten Dönneweg. Schumanns a-moll-Konzert ist für jeden Pianisten eine technische und musikalische Herausforderung, obwohl Schumann auf Virtuosität als Selbstzweck verzichtet und seiner poetischen und auch kontrapunktischen Natur treu bleibt. Gerade diese Kontrapunktik, die ein Ausdruck seiner Verehrung für Johann Sebastian Bach ist, verlangt allen Beteiligten ein Höchstmaß an Wachheit und an Sensibilität ab. Nur als stimmiges Kollektiv ist dieses Werk darstellbar. Soos, seit Jahren der gefeierte Backnanger Klavier-Matador, kommt gerne in seine Heimat zurück, die er für ein Studium bei Professor Konrad Elser in Lübeck verlassen musste.

22 Jahre jung, verkörperte er in Idealform den Dienst des Musikers an seiner Kunst. Bescheiden dienend, ging er dynamisch immer wieder weit zurück – mit katzenweichem Anschlag trug er das Seinige dazu bei, dass Schumanns angestrebte Verschmelzung von Solist und Orchester nicht nur ein Wunschtraum blieb. Soos lässt die Phrasen atmen und hat das Gespür für die schwärmerisch-schweifenden Weitblicke und die, in geschickt aneinandergeflochtenen Episoden gewährten, Charakter-Einblicke in Schumanns fantastische Märchenwelt. Schon der junge Schumann erschuf sich literarisch eine Gemeinschaft künstlerisch Gleichgesinnter, indem er Realität und Fiktion auf anregende Weise ineinanderfließen ließ.

Der dermaßen verspielte und verschmitzte Walzer-Kehraus am Ende des Finales lässt an legendäre „Carnavalsfeiern“ der Davidsbündler denken. Und was war davor nicht alles geboten: Mitten im ersten Satz greift eine Oase der Ruhe Raum, eine wundersam samtige Klarinette schmilzt im Melos; dann wird man urplötzlich durch kraftstrotzende Oktaven-Dynamik herausgerissen und durch weitere emotionale Entwicklungen und Verwicklungen geführt.

Zwischen Triumph
und Grabesahnung

Atemberaubend gelingt Karsten Dönneweg und seinem Orchester der Sog zur Kadenz, in der Soos alleine das Sagen hat. Er gestaltet sie höchst subtil: Eusebius, der melancholische Grübler scheint über Florestan, den impulsiven Hitzkopf, zu obsiegen. Dann der tänzelnde Dialog zwischen Klavier und Orchester im zweiten Satz und die verschachtelten Streichereinsätze, die Dönneweg souverän führt. Und dann markante Freudengesten und eine – durch die teilweise hemiolische Behandlung des Dreiertaktes – schwebende, mit filigranen Arabesken angereicherte Musik des Finales.

Nach der Pause dann die Sinfonie
Nr. 2 D-Dur von Johannes Brahms, der als junger Musiker von Schumann leidenschaftlich protegiert wurde. Sie ist ein wahres Füllhorn symphonischer Mannigfaltigkeit und mitreißender Ex-treme sowie prägnanter, gut fassbarer melodischer Einfälle. Nach innigem Beginn lässt triumphierender Blechbläserglanz nicht lange auf sich warten, prompt darauf schattenschwarze Grabesahnung und eine Cello-Kantilene, die eine raum- und zeitumspannende Weite atmet. Dramatisch hochkomplexe Motivverzahnungen, eine Flöte, die aus einem dichten Streicherteppich geheimnisvoll hervorlugt und imposante Klangballungen seien des Weiteren genannt.

Der zweite Satz gemahnt an einen gravitätisch einherschreitenden Giganten – hier spricht einer, der lang und lang gemeint hat, seine Herzensglut zügeln und verbergen zu müssen. Wohl wissend, dass Brahms der Vertreter der absoluten Musik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war, ziehen dem Hörer dennoch monumentale Gebirgsimpressionen vor dem inneren Auge vorbei: kolossale Gipfelpanoramen, jähe Klüfte und sonnendurchglühte Almen in pastoraler Idylle.

Und dann darf im dritten Satz irrlichternd-rasend getanzt werden. Um mit Hermann Hesse zu schließen: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.“ Der neuen Bürgerhaus-Saison mögen noch viele solcher Sternstunden wie am Samstagabend beschieden sein.