Die EU-Kommission will Pharmahersteller für die Reinigung des Abwassers von schädlichen Stoffen zur Kasse bitten. Doch am Ende könnte der Verbraucher bezahlen müssen.
Das Hauptklärwerk Stuttgart-Mühlhausen ist mit der neusten Technik für die Zukunft gerüstet.
Von Knut Krohn
Jürgen Schmidtke steigt mit seinen Besuchern gerne auf den Turm für die Schlammfaulung. Aus knapp 30 Metern Höhe lässt sich das Hauptklärwerk im Stuttgarter Stadtteil Mühlhausen bestens überblicken. Mit weit ausholenden Bewegungen beschreibt Schmidtke die verschiedenen Hallen und Becken, in denen das Abwasser als stinkende Brühe ankommt, danach unterschiedliche Stationen durchläuft und am Ende als klares Wasser in den trübe und träge dahinfließenden Neckar geleitet wird.
Am Fuße des Turms wird an diesem Tag in der gleißenden Sonne fleißig gearbeitet, denn dort entsteht eine neue Sandfilteranlage, auf die die meisten Betreiber von Kläranlagen in Deutschland mit großem Neid schielen dürften. Das etwa 50 Meter lange Becken ist Teil der sogenannten vierten Reinigungsstufe, die seit Beginn dieses Jahres für einige Aufregung in Europa sorgt. Denn laut der neuen EU-Abwasserrichtlinie (KARL) müssen in Zukunft auch Mikroverunreinigungen wie Arzneimittelrückstände oder Reste kosmetischer Mittel aus dem Abwasser geholt werden. Dazu zählt etwa der Wirkstoff Diclofenac, ein entzündungshemmender Wirkstoff, der häufig in schmerzlindernden Sportsalben zum Einsatz kommt. Er verursacht bei Fischen Schäden an Kiemen, Leber und Nieren und reichert sich in den Organen an.
Giftstoffe werden aus dem Abwasser gefiltert
Geplant ist, dass die vierte Stufe zunächst für Kläranlagen für mehr als 150 000 Einwohner und kleinere Anlagen in definierten Risikogebieten eingeführt werden soll. Die EU-Vorgabe führt zur Umrüstung von etwa 150 Großanlagen und weiteren 450 bis 600 Anlagen in den benannten Risikoregionen. Bis 2045 soll der Prozess vollständig abgeschlossen sein.
Jürgen Schmidtke, der in Stuttgart den Bereich Strategie Klärwerke und Kanalbetrieb leitet, hat dazu eine klare Meinung: „Der Ausbau der vierten Stufe ist sehr sinnvoll.“ Angesichts der Belastung der Umwelt müsse versucht werden, so viele giftige Stoffe wie technisch möglich und finanziell vertretbar aus dem Abwasser zu holen. Allerdings sind die Betreiber in Stuttgart in einer komfortablen Position. „Wir profitieren jetzt davon, dass die Landesregierung von Baden-Württemberg mit dem grünen Ministerpräsidenten an der Spitze schon früh damit begonnen hat, den Bau von vierten Reinigungsstufen auf Kläranlagen gezielt voranzutreiben“, erklärt Jürgen Schmidtke. Das heißt, dass Stuttgart seit einigen Jahren auf dem neusten Stand der Technik ist. Die aktuellen Arbeiten dienen im Grunde der Optimierung des Ablaufes.
Technisch eine eher einfache Angelegenheit
„Technisch ist der Ausbau der vierten Stufe in den meisten Fällen wahrscheinlich kein Problem, das ist eher eine Frage der Finanzierung“, sagt Jürgen Schmidtke. „Woher das Geld kommt, ist allerdings ein sehr strittiger Punkt, da etwa die Medikamentenhersteller einen Beitrag dazu leisten sollen.“ Die Unternehmen laufen bereits Sturm dagegen, dass in diesem Fall das Verursacherprinzip angewendet wird. „Wir sind mit dem Versuch konfrontiert, bereits getätigte Investitionen in Kläranlagen auf der Grundlage einer Richtlinie, deren wesentliche Umsetzungsparameter noch völlig unklar sind, nachträglich zu refinanzieren”, erklärt Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin von Pharma Deutschland, dem Interessenverband der Hersteller pharmazeutischer Produkte. „Es ist zu befürchten, dass es hier um einen Betrag von möglicherweise einer Milliarde Euro geht, der die Branche und das gesamte Gesundheitssystem massiv belasten würde.“ Dieser Schritt würde nach Angaben des Verbandes vor allem die Hersteller von Generika treffen, das sind preiswerte Nachahmer-Präparate mit identischen Wirkstoffen und geringen Gewinnspannen für die Hersteller. Das könne so weit führen, dass es zu Engpässen in der Versorgung mit Medikamenten kommen könne.
Die Hersteller wehren sich gegen die EU-Verordnung
Kritisiert wird von den Herstellern nicht nur, dass in diesem Fall ausschließlich Hersteller von Humanarzneimitteln und Kosmetika für Mikroverunreinigungen im Abwasser zur Verantwortung gezogen werden sollen. Die Richtlinie müsse alle Verursacher von Spurenstoffen einbeziehen und transparente, europaweite Umsetzungsvorgaben schaffen. In Zweifel gezogen werden auch die Zahlen für die Kostenprognosen des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU). Nach dessen Aussagen würden sich die Umbaumaßnahmen an den Klärwerken bis 2045 auf rund neun Milliarden Euro belaufen. „Das Fehlen verlässlicher Kostenprognosen unterstreicht die Notwendigkeit, die Umsetzung der erweiterten Herstellerverantwortung vorerst auszusetzen, bis die finanziellen Rahmenbedingungen geklärt worden sind und eine seriöse Folgenabschätzung für die Arzneimittelversorgung in Deutschland vorliegt“, betont Jörg Wieczorek, Vorstandsvorsitzender von Pharma Deutschland.
Kommunen bleiben vielleicht auf den Kosten sitzen
Angesichts des Streits über die Finanzierung des Umbaus der Klärwerke, werden viele Städte und Gemeinden in Deutschland unruhig. Denn die Entsorgung des Abwassers liegt in der Verantwortung der Kommunen, doch die wären in vielen Fällen ohne finanzielle Unterstützung nicht in der Lage, die EU-Verordnung umzusetzen und eine vierte Reinigungsstufe in ihren Kläranlagen einzubauen. Die Kommunen warnen nun, dass ohne das geplante Verursacherprinzip die Bürger sowie mittelständische Unternehmen die milliardenschweren Kosten für den Ausbau der Kläranlagen allein tragen müssten. Die Folgen wären unweigerlich höhere Gebühren.