Erfolgreich bewerben mit Kopftuch

Der Lebenslauf – mit oder ohne Foto? Und das Foto – mit oder ohne Kopftuch? Bei einem Online-Seminar der Arbeitsagentur hat die Trainerin Anna Basse Muslimas Tipps für ihre schriftliche Bewerbung gegeben. Damit es mit dem Traumjob klappt.

Erfolgreich bewerben mit Kopftuch

Der Workshop „Bewerben mit Kopftuch“ mit Anna Basse (im Bildschirm zu sehen) fand online statt. Foto: A. Palmizi

Von Melanie Maier

und Pia Eckstein

Rems-Murr. Wo genau fängt es eigentlich an zu knirschen, wenn Unternehmen eine Stelle besetzen möchten und es bewerben sich Frauen, die Kopftuch tragen? Frauen, die offensiv zeigen, dass sie Muslimas sind? Daran, dass gläubige Muslimas täglich mehrmals beten, könne es nicht liegen, sagt Alija, die – wie die anderen Frauen in diesem Text – ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte. Denn das Beten, sagt sie, dauere nur wenige Minuten. Und wenn es partout nicht in den Arbeitstag passe, dann bete die Muslima halt, wenn sie wieder zu Hause sei.

Alija, 38 Jahre alt, kommt aus Algerien. Sie hat in Frankreich Architektur studiert und sucht seit mittlerweile elf Jahren in Deutschland eine Stelle. Es klappt einfach nicht. Warum nur? Ist ihr Kopftuch schuld? Kommt sie deshalb nicht in die engere Auswahl? Alija nimmt teil an einem Online-Kurs der Agentur für Arbeit in Waiblingen: „Bewerben mit Kopftuch“ – ein Seminar, bei dem es um „mögliche Vorurteile und Klischees von potenziellen Arbeitgebern“ gehen soll. Darum, wie Muslimas damit selbstbewusst umgehen. Aber auch ums Betrachten der eigenen Situation.

Was ist überhaupt eine Einschränkung? Und wie gehe ich damit um?

Kursleiterin Anna Basse trägt zwar selbst kein Kopftuch. Aber die Österreicherin, die im Frankfurter Raum wohnt, kennt sich aus mit dem Thema Bewerbung. Basse ist zertifizierter systemischer Coach und arbeitet vor allem mit Frauen. Im Lenkungskreis des Freundeskreises Asyl Königstein ist sie zudem als Trainerin für Integration aktiv. Seit Jahren begleitet sie Migranten und Geflüchtete auf ihrem Weg in die Arbeitswelt.

Das Online-Seminar hat Basse in drei Komponenten aufgegliedert. Zum einen soll es darum gehen, wie die Frauen selbst – unabhängig von Nationalität oder Religion – mit Einschränkungen umgehen. Denn auch ein junger Mann, der Erzieher werden möchte, oder eine blinde Frau habe Nachteile gegenüber anderen Bewerbern, sagt Basse. „Im ersten Teil geht es um die Wahrnehmung: Was ist überhaupt eine Einschränkung? Und wie gehe ich damit um? Es geht um meine persönliche Haltung zu dem Thema“, führt die Trainerin aus.

Alija befragt sich selbst sehr kritisch: Vielleicht ist das Kopftuch das Problem, vielleicht sind’s auch ihre vier Kinder, für die sie natürlich da sein muss? Vielleicht auch beides? Die Architektur hat sie inzwischen abgeschrieben, auch wenn das Herz blutet. Die 38-Jährige bewirbt sich jetzt auf Ausbildungsstellen als Erzieherin. Und will erfolgreich sein – egal, was bislang der Ablehnungsgrund war. „Ich hätte nie gedacht, dass andere über mein Kopftuch nachdenken, denn ich mache das nicht“, sagt sie. Aber sie hat jetzt entschieden, dass sie das Kopftuch dann eben nicht trägt.

Das ist auch eine Frage, die im zweiten Teil des Kurses aufkommt, in dem es um die praktische Entscheidung geht: Bewerbe ich mich mit oder ohne Kopftuch? „Wenn ich sage: ‚Mich gibt es nur mit Kopftuch‘, dann gehört auch ein entsprechendes Foto in den Lebenslauf“, sagt Anna Basse. „Aber man muss sich dann auch bewusst sein, dass das Reaktionen auslösen wird.“

Denn trotz gleicher Qualifikation werden Frauen mit Kopftuch von Firmen seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Das hat eine Studie mit fiktiven Bewerbungen 2016 gezeigt. Bewerberinnen mit einem türkischen Namen werden ebenfalls benachteiligt, wie der umfangreiche Feldversuch der Ökonomin Doris Weichselbaumer von der österreichischen Universität Linz ergab. Bewerberinnen mit Kopftuch und türkischem Namen müssen sich 4,5-mal so oft bewerben wie etwa eine Sandra Bauer ohne Kopftuch, um zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Ob diese Diskriminierung bewusst oder unbewusst geschieht, lässt die Studie jedoch offen. Rechtmäßig wäre sie nicht: Seit 2006 besagt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), dass niemand im Arbeitsleben für Herkunft, Geschlecht, Alter, sexuelle Ausrichtung, Religion oder eine Behinderung benachteiligt werden darf.

Wer im Auswahlverfahren diskriminiert wird, hat es häufig allerdings schwer, das auch nachzuweisen. Die meisten Firmen verschicken standardisierte Absagen, um sich nicht rechtlich angreifbar zu machen. Experten fordern daher, das Gleichbehandlungsgesetz zu verschärfen – etwa, indem Unternehmen begründen müssen, warum sie einen Bewerber abgelehnt haben. Auch Anschreiben, die standardmäßig ohne Foto eingereicht werden sollen, könnten zu einer faireren Bewerberauswahl beitragen. In Nordamerika beispielsweise ist es längst normal, im Lebenslauf auf ein Passbild zu verzichten.

Im dritten und abschließenden Teil des Online-Seminars geht es sodann darum, die Teilnehmerinnen in ihren Überzeugungen zu stärken. Denn nicht jede der anderen acht Frauen, die an dem Kurs teilnehmen, kommt zu demselben Entschluss wie Alija.

Vorurteile erfahren Frauen mit Kopftuch auch im Alltag immer wieder

Salwa zum Beispiel sagt: „Bei der Arbeit spielt das Kopftuch keine Rolle. Sondern die Fähigkeit!“ Sie fordert: Arbeitgeber sollen ihre Türen auch für Frauen mit Kopftuch öffnen. „Wir sind offen und haben gute Qualifikationen.“ Man müsse sich einfach nur kennenlernen. Sie habe zwar Stoff auf dem Kopf, aber Schätze im Kopf. Salwa lebt seit 2004 in Deutschland. Sie hat hier ihre Dissertation geschrieben. Sie ist Agraringenieurin und kommt aus Syrien.

Ist das Kopftuch ein Zeichen der Unterdrückung der Frau? Nein, sagen die Frauen. Das Kopftuch sei ein Glaubensbekenntnis, Tradition und freie Entscheidung. Dennoch: Vorurteile erfahren sie immer wieder. Ülkü erzählt zum Beispiel von einer Freundin, die Verkäuferin in einer Bäckerei ist. Und es gebe tatsächlich Kunden, die nicht von ihr bedient werden wollen. Der Arbeitgeber kann hier in einem Dilemma stecken. Er braucht die Kunden, damit das Geschäft läuft. Er kann also verlangen, dass dem Kundenwunsch nachgegeben wird. Er kann aber auch ein Zeichen setzen: Diese Frau arbeitet bei mir, und zwar so, wie sie ist.

Noch wichtiger aber als die Frage nach dem Kopftuch, das weiß Ülkü, ist die Frage nach der Sprache. Drei Bewerbungsgespräche hatte sie schon, jetzt hat sie einen Praktikumsplatz ergattert. Erzieherin möchte sie werden. Und damit das auch klappt, macht sie nebenbei einen Sprachkurs, der speziell auf die beruflichen Anforderungen zugeschnitten ist.

Die Frauen im Seminar grollen nicht. Sie haben einfach nur Wünsche. „Sprecht mit uns“, sagen sie. „Lernt uns kennen.“ Was erst ungewohnt ist, kann zum Alltäglichen werden. Und was anfangs noch fremd ist, kann sehr bereichern. Das soll auch die Botschaft des Kurses sein, sagt Anna Basse. „Es lohnt sich für den Arbeitgeber, über die vermeintliche Einschränkung hinauszuschauen und erst dann zu beurteilen: Was ist das für ein Mensch, der dahintersteckt?“ Junge Muslimas tragen das Kopftuch ihr zufolge inzwischen genauso selbstverständlich wie andere ein Tattoo oder Piercings. „Und letztendlich“, meint sie, „ist eine Muslima mit Kopftuch für manch einen Arbeitgeber wahrscheinlich nur so exotisch wie ein Hamburger in einem bayerischen Dorf.“

Im Vorstellungsgespräch würde sich dann zeigen: Passen Arbeitgeber und die Bewerberin zueinander? Denn darum gehe es ja letztlich im Bewerbungsprozess, sagt Basse. Sie rät Frauen mit Kopftuch dazu, sich schon vorab Gedanken zu machen, was sie antworten würden, wenn sie auf ihr Kopftuch angesprochen werden sollten. „Dann haben sie auch eine super Antwort.“ Gleichzeitig sollten sich die Bewerberinnen darüber bewusst sein, dass solche Fragen laut AGG nicht zulässig sind. Sie müssen sie nicht beantworten, da sie bei der Auswahl zu Diskriminierung führen könnten.

Auch deshalb rät Basse dazu, das Kopftuch selbst nicht anzusprechen, wenn das Thema im Gespräch nicht aufkommt. „Sie bewerben sich ja nicht als Repräsentantin der Kopftuchträgerinnen, sondern als eine Erzieherin, Architektin oder Journalistin.“