Erste Hilfe für Schutzsuchende

Wir schaffen das! Tatsächlich? (1): Die immense Zahl an Flüchtlingen, die im Jahr 2015 nach Deutschland kamen, hat den Rems-Murr-Kreis vor riesige Herausforderungen gestellt. Die dringendste Frage war: Wo sollen die Menschen unterkommen?

Erste Hilfe für Schutzsuchende

Buntes Bild der Völkerverständigung: Beim Freedom-Soccer-Cup traten mehrere Mannschaften von Geflüchteten in der Backnanger Karl-Euerle-Halle gegen einheimische Teams an. Das Turnier im Januar 2016 war eine von vielen Aktionen, um die Integration der Schutzsuchenden zu fördern. Archivfoto: E. Layher

Von Armin Fechter

BACKNANG/WAIBLINGEN. „Wir hätten es nie geschafft ohne die Kommunen, die ehrenamtlichen Helfer, die freien Träger“, sagt Stefanie Böhm rückblickend. Die heutige Sozialdezernentin im Landratsamt war 2015 mit dabei, als die Zahl der Neuankömmlinge im Kreis durch die Decke ging. Sie gehörte ebenso wie ihr Kollege Melih Göksu vom Ausländeramt dem Koordinierungsstab an, den der neu gewählte Landrat Richard Sigel als Taskforce aus dem Boden gestampft hatte. Ihm war klar: Aus den bestehenden Strukturen der Verwaltung heraus würde man die Aufgaben nicht bewältigen, gefragt war eine neue, flexiblere, aber auch pragmatische Herangehensweise.

„Wir waren ein bunt gemischter Haufen“, erinnert sich Göksu, der mit seinen interkulturellen Kompetenzen ein willkommener Mitstreiter war – „wir waren die jungen Wilden“, unter ihnen viele Quereinsteiger aus verschiedensten Bereichen. Unter der Leitung des damaligen Ersten Landesbeamten Bernd Friedrich sollte das Team konzentriert an der Beschaffung von Wohnraum arbeiten. Denn klar war: Das Land würde Woche für Woche und Monat für Monat weitere Geflüchtete zur Unterbringung zuweisen. Bis zu 24 Monate würden sie in den Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises, die sich bald über alle Städte und Gemeinden verteilten, bleiben können, danach würden sie zur Anschlussunterbringung in die Verantwortung der Kommunen übergeben.

Von Landkreisseite aus sollten provisorische Massenquartiere in Sporthallen und Zelten so lange wie möglich vermieden werden, erinnern sich Göksu und Böhm. Doch schon bald ging es nur noch darum, den Menschen ein Dach über dem Kopf zu bieten – „wir wurden überrollt von den Zahlen“. Da half auch der Hilferuf des Landrats an die Kommunen vom August 2015 nicht viel, auch wenn es positive Reaktionen, etwa aus Fellbach, gab. Aber die schieren Mengen und der Mangel an Wohnraum zwangen den Landkreis bereits im September 2015, erneut die Sporthalle beim beruflichen Schulzentrum in Backnang für Flüchtlinge zu aktivieren. In Althütte wurde das Haus Lutzenberg belegt, in Allmersbach im Tal der ehemalige Penny-Markt, in Unterweissach ein früheres Druckereigebäude und in Großaspach die alte Schulturnhalle – zumeist übergangsweise, bis andere Lösungen zur Verfügung stehen würden. Das waren dann vielfach Container, die anfangs noch geleast werden konnten, später aber – als der Markt leer gefegt war – gekauft werden mussten. So legte sich der Landkreis dann eine ganze Ladung dieser flexibel einsetzbaren Behälter zu, von denen viele in der Kalkwerkstraße in Kirchberg an der Murr zwischengelagert wurden. Am Ende benötigte man dann doch nicht alle: Nachdem die Balkanroute geschlossen war, gingen die Flüchtlingszahlen rasch wieder zurück.

Davor wurde aber in Kirchberg noch eine Zeltsiedlung errichtet und eine weitere in Backnang beim Berufsschulzentrum. Letztere wurde aber nicht belegt. Dafür füllten sich die Unterkünfte in der Hohenheimer Straße, im früheren Volkshochschulgebäude am Etzwiesenberg und an anderen Orten in der Stadt. Sogar kleine und kleinste Ortschaften kamen bei der Suche nach Quartieren in den Blick, beispielsweise Oberneustetten bei Murrhardt mit einem früheren Pflegeheim. In zahlreichen Informationsveranstaltungen ist Böhm den Bürgern Rede und Antwort gestanden. Eine davon, die sie als extrem schwierig in Erinnerung hat, war Anfang August 2015 in Unterweissach: „Das war die erste Veranstaltung, bei der klar war, dass es um ganz große Zahlen ging.“

Später gab es an neuen Unterkünften Tage der offenen Tür, bei denen sich jeder ein Bild machen konnte, wie die Behausungen aussahen – dies auch, um Gerüchten von Hotelluxus zu begegnen.

Sehr früh entstanden aber auch Initiativen, um den Geflüchteten das Dasein zu erleichtern: Dem Zustrom an Asylsuchenden folgte eine Welle der Hilfsbereitschaft mit oft spontanen Aktionen.

Erste Hilfe für Schutzsuchende

Mit Bussen wurden die Geflüchteten zu ihren vorläufigen Unterkünften gebracht, unter anderem im Januar 2016 nach Oberneustetten bei Murrhardt. Archivfoto: J. Fiedler