Erstes schwimmendes Atomkraftwerk sticht in See

dpa Murmansk. Russlands neues Atomprojekt steht kurz vor dem Betriebsstart: Mit dem Segen der Kirche wird das erste schwimmende Atomkraftwerk zu seinem Zielhafen im Polarmeer geschickt. Umweltschützer warnen vor einer Gefahr einer Atomkatastrophe in der Arktis.

Erstes schwimmendes Atomkraftwerk sticht in See

Das erste schwimmende Atomkraftwerk liegt im Hafen von Murmansk. Die „Akademik Lomonossow“ soll mit zwei Reaktoren an Bord von Schleppern rund 4700 Kilometer weit in den äußersten Nordosten Russlands gezogen werden. Foto: Claudia Thaler

Es glänzt in den russischen Nationalfarben und ist das neue Prestigeprojekt für die Atommacht Russland: Das erste schwimmende Atomkraftwerk hat sich auf den Weg zu seinem Zielhafen Pewek im äußersten Nordosten des Landes gemacht.

Schlepper zogen das umstrittene Kraftwerk mit dem Namen „Akademik Lomonossow“ aus dem Hafen in Murmansk in Nordrussland. Es soll in den nächsten zwei Monaten rund 4700 Kilometer zurücklegen, wie der russische Atomkonzern Rosatom mitteilte.

Das schwimmende Akw mit zwei Druckwasserreaktoren soll ab Jahresende die schwer zugängliche Region mit Strom und Wärme versorgen. Zudem soll die Anlage mit insgesamt 70 Megawatt Leistung Energie für die Gas- und Ölbohrinseln liefern. Das Kraftwerk, das wie ein Schiff aussieht, kann eine Stadt mit etwa 100.000 Einwohnern versorgen.

„Es ist ein bedeutender Beitrag für die Zukunft der Arktis“, sagte Rosatom-Chef Alexej Lichatschow. Orthodoxe Priester weihten das Kraftwerk, die Reaktoren und den Kontrollraum vor dem Start. Das russische Staatsfernsehen übertrug das Auslaufen in einer Sondersendung.

In der Region Tschukotka, wo die Stadt Pewek liegt, gibt es bereits das Atomkraftwerk Bilibino. Es ist jedoch auf Permafrostboden gebaut, veraltet und somit anfällig für Umwelteinflüsse. Durch den Klimawandel taut auch der bislang dauerhaft feste Untergrund auf. Bilibino soll in den kommenden Jahren stillgelegt werden. Die Region soll dann durch die „Akademik Lomonossow“ mit Energie versorgt werden.

Russland setzt anders als Deutschland verstärkt auf Atomenergie. Moskau investiert im großen Stil in neue Atomkraftwerke, auch in Ex-Sowjetrepubliken. In Deutschland ist der Atomausstieg hingegen seit der Katastrophe im japanischen Fukushima bis 2022 geplant.

Russland will in Zukunft eine ganze Flotte an schwimmenden Atomkraftwerken bauen. In zehn Jahren wolle Rosatom die Konstruktion an andere Länder verkaufen, sagte Konzern-Chef Lichatschow.

Das millionenschwere Projekt ist aber sehr umstritten. Umweltschützer warnen vor einer möglichen Katastrophe im Polarmeer und bezeichnen die Anlage als „schwimmendes Tschernobyl“. Es sei nicht möglich, das Akw vollständig vor äußeren Bedrohungen zu schützen, sagte Wladimir Sliwjak von der Umweltorganisation Ecodefense. „Leider ist das eine sehr riskante Technologie“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Die „Akademik Lomonossow“ wird zwar von Schiffen und Flugzeugen des Militärs begleitet und auch vor Ort bewacht. Dennoch sei nicht garantiert, dass das Schiff vor vielen Gefahren geschützt werden könnte. Besonders Seebeben, Tsunamis und extreme Kälte könnten für das Atomkraftwerk gefährlich werden. „Bei einem Unfall könnte Strahlung im Meer freigesetzt werden“, sagte Sliwjak.

Experten und Sicherheitsleute könnten bei einem Störfall das abgelegene Gebiet nicht schnell genug erreichen, um eine Katastrophe einzudämmen, kritisieren Umweltschützer. Die russischen Behörden würden Sicherheitsregeln nicht genau genug folgen, sagte Sliwjak. „Sie gehen sehr leichtfertig mit Atomenergie und Strahlung um.“

In Russland ist es in diesem Jahr bereits zu zwei Unfällen an atomar getriebenen Anlagen gekommen. Im Juli brannte es in einem atomgetriebenen Spezial-U-Boot nahe Murmansk, dabei starben 14 Menschen. Wenige Wochen später explodierte eine atomgetriebene Rakete in Sewerodwinsk. Daraufhin wurde kurzzeitig radioaktive Strahlung gemessen. Details sind in beiden Fällen nicht bekannt, die Zwischenfälle werden wie Staatsgeheimnisse behandelt.

Auch Rosatom verlor bei dem Raketendesaster fünf Mitarbeiter. Trotzdem weist das Unternehmen die Sicherheitsbedenken für die „Akademik Lomonossow“ als unbegründet zurück. Es sei eine der sichersten Kernanlagen der Welt und auch von der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO geprüft, hieß es.