SPD-Chef Andreas Stoch im Sommerinterview

„Es besteht kein Grund zur Panik“

Baden-Württemberg soll den Bürgern bei der Wartung der Heizung mit Zuschüssen unter die Arme greifen. Dazu fordert der SPD-Chef Andreas Stoch die Landesregierung auf.

„Es besteht kein Grund zur Panik“

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Andreas Stoch hofft, dass es nicht zu einem gravierenden Energiemangel in Deutschland kommt.

Von Bärbel Krauß

Andreas Stoch, SPD-Fraktionschef im Landtag, hofft, dass es trotz Ukraine-Krieg nicht zu einem schweren Energiemangel kommen wird. Die Corona- und Förderpolitik der Landesregierung findet er zu abwartend.

Herr Stoch, Gas- und Stromversorgung im Winter sicherzustellen wird für die Bundesrepublik per se nicht einfach. Es möglichst klimaschonend zu schaffen, ist erst recht schwer. Sind Sie für eine Laufzeitverlängerung der drei Kernkraftwerke, die noch in Betrieb sind?

Erst mal muss man den Menschen im Land sagen, dass kein Grund zur Panik besteht. Die Bundesregierung führt uns Schritt für Schritt aus den Abhängigkeiten von fossilen Energielieferungen heraus, vor allem von russischer Kohle, Öl und Gas. Noch ist nicht sicher, ob es überhaupt zu einem schweren Energiemangel kommt. Die Debatte um Laufzeitverlängerungen wird von manchen geführt, um den Ausstieg aus der Atomkraft grundsätzlich infrage zu stellen. Dazu sage ich klar Nein. Das wäre nur eine Scheinlösung, weil diese Energieform gefährlich und unwirtschaftlich ist und weil es noch immer kein Endlager gibt. Dennoch gibt es jetzt einen Stresstest, um herauszufinden, ob uns die drei restlichen Meiler über ein paar Wochen oder Monate mehr überhaupt nützen.

Klimaneutral erst in 200 Jahren

Mehr als Streckbetrieb ist mit Ihnen nicht zu machen?

Nein, und einen Streckbetrieb will ich auch nur dann, wenn es gar keine anderen Möglichkeiten gibt. Vor allem müssen wir beim Ausbau der Erneuerbaren Tempo zulegen. Wenn Grün-Schwarz im Land weitermacht wie bisher, werden wir laut Schätzungen nicht 2035 klimaneutral sein, sondern erst in 200 Jahren.

Strom, Gas und Öl werden auf jeden Fall teurer. Braucht es neue Hilfspakete?

Ja, wir müssen den Haushalten helfen, die schon vor der Ukraine-Krise am Monatsende kaum Geld übrig hatten. Die Bundesregierung wird deshalb etwas tun. Aber auch das Land Baden-Württemberg darf nicht nur mit dem Finger auf den Bund zeigen, sondern muss den Leuten unter die Arme greifen.

Zum Beispiel wie?

Die Landesregierung sollte ein Energiegeld schaffen für alle Haushalte, die wohngeld- oder Bafög-berechtigt sind. Sie sollten 50 Euro monatlich zusätzlich für Heizung und 20 Euro für Strom bekommen – das wären 440 Euro in der Heizperiode pro Haushalt. Das Land muss sich solidarisch zeigen, damit Menschen nicht in die Armut gedrängt werden. Darüber hinaus fordern wir, dass diesen Winter niemand eine Gas- oder Stromsperre bekommt, wenn er seine Rechnungen nicht bezahlen kann. Und niemand darf deswegen aus seiner Wohnung fliegen.

Kann das Land Anreize zum Energiesparen setzen?

Wenn die Heizkosten sich um das Zwei- oder Dreifache verteuern, spürt das jeder. Schon jetzt wird gespart. Ich finde, wir sollten Menschen, die nicht Transferempfänger sind, Finanzhilfen geben, wenn sie ihre Heizung warten lassen. Denken wir an einen Energiescheck, einen Zuschuss von 50 bis 100 Euro. Allein durch die Wartung von Heizungen können zehn bis 15 Prozent Energie eingespart werden.

Gibt der Landeshaushalt ein Energiegeld her. Was würde das kosten?

Etwa 44 Millionen Euro.

„In Wahrheit gibt es viel mehr Reserven“

Im Blick auf die Investitionsmittel von 1,4 Milliarden Euro für zwei Jahre ist das gar nicht so wenig.

Ach, in Wahrheit gibt es viel mehr Reserven, als die Landesregierung zugibt. Die Ausgabenreste – sieben Milliarden Euro – waren nie höher als jetzt. Außerdem gibt es Kreditermächtigungen von 20,8 Milliarden Euro. Ich sage nicht, dass man das jetzt alles raushauen soll. Aber in der Krise muss ein Staat sich handlungsfähig zeigen, damit nicht durch Unterlassung von Investitionen Schäden entstehen, die man später nicht mehr reparieren kann. Bildung gehört eindeutig zu dem Bereich, in dem investiert werden muss. Und der Klimaschutz auch.

Ist die Schuldenbremse nicht mehr so wichtig?

Ich finde die Idee der Schuldenbremse grundsätzlich richtig. Im Moment stellt sich die Frage im Landeshaushalt aber gar nicht. Die Spielräume sind groß genug, darum ist die Frage, welche Investitionen jetzt dringend nötig sind.

In den Umfragen bleibt die Südwest-SPD weit abgeschlagen hinter Grünen und CDU. Nach der Bundestagswahl hatten Sie stark auf einen Kanzlerbonus gehofft, der nicht kam. Was läuft da schief?

Mich machen Umfragen nicht nervös. Im vergangenen Jahr lag die SPD Wochen vor der Bundestagswahl noch bei 15 Prozent – heute stellt sie den Kanzler. In der Landespolitik zieht das Amt des Ministerpräsidenten immer sehr viel Aufmerksamkeit auf sich. Wir als SPD leiden darunter, aber deshalb schmeiße ich doch nicht den Bettel hin, sondern stelle uns gut auf für die Zeit, wenn die Entscheidung wieder ansteht. Das wird im Land wohl 2026 sein. Ich mache mich da nicht verrückt. In der nächsten Landtagswahl wird möglicherweise niemand mit Amtsbonus antreten. Und eines ist sicher: Die SPD spielt auf Sieg.

Ihnen wäre es recht, wenn Kretschmann bis zum nächsten regulären Wahltermin weitermacht?

Na ja, warum sollte ich Winfried Kretschmanns Aussage dazu in Zweifel ziehen?

Muss Kretschmann weichen, bevor Sie zulegen können?

Kretschmann lag 2011 nur um eine Nasenlänge vor der SPD. Damit hatten die Grünen die Chance, den Ministerpräsidenten zu stellen. Bei der nächsten Wahl hatten die Grünen 30 Prozent. Natürlich hat Kretschmanns Ansehen die SPD Stimmen gekostet. Aber die Ausgangsbedingungen sind nächstes Mal anders. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die SPD im Herbst 2025 mit breitem Kreuz in den Bundestagswahlkampf geht. Das ist eine gute Ausgangsbasis für die Landtagswahl 2026.

Was muss bei Corona im nächsten Herbst und Winter anders laufen?

Das Land muss vorausschauend handeln. Mich stört der Satz vom „Auf-Sicht-Fahren“, denn er wird als Entschuldigung für Nichthandeln benutzt. Man muss sich auf unterschiedliche Szenarien einstellen und fragen, was man tun muss, um zum Beispiel Schulen und Kitas offen zu halten. Ich glaube, da wäre mehr möglich als passiert. Es wäre höchste Zeit, dass sich Ministerin Schopper mit den Schulpraktikern kurzschließt. Unklar ist auch, wie im Herbst alle Leute, die die vierte Impfung wollen, innerhalb kurzer Zeit geimpft werden. Ich sehe da keinerlei echte Vorbereitungen der Landesregierung.