„Es bleibt immer ein natürliches Restrisiko“

Das Interview: Erst Anfang Juli fegte ein starkes Unwetter über den Rems-Murr-Kreis, 2011 sorgte anhaltender Dauerregen für Überflutungen. Durch den Klimawandel werden sich solche Ereignisse wohl häufen. Baudezernent Stefan Setzer spricht darüber, wie Backnang damit umgeht.

„Es bleibt immer ein natürliches Restrisiko“

Im Mai 2016 versank die Gemeinde Braunsbach durch schwere Überschwemmungen infolge eines Unwetters im Chaos. Foto: Imago/7aktuell

Backnang. Die Überflutungen im Westen Deutschlands dominieren momentan die Nachrichten. Klassisches Hochwasser hat es auch im Kreis des Öfteren gegeben. Doch nun rücken Starkregenereignisse immer mehr in den Fokus. Backnangs Baudezernent Stefan Setzer, der zugleich Vorstand des Murrtalwasserverbands ist, klärt über die Gefahren auf und erklärt, wie die Stadt und ihre Bewohner sich schützen können.

Herr Setzer, viele Menschen schauen zurzeit besorgt auf die Situation in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Sind solche Überflutungen auch im Rems-Murr-Kreis möglich?

Ja, natürlich, das ist auch in Backnang und in der Umgebung möglich. Das ist ja schlussendlich eine Naturkatastrophe. Und solche extremen Wetterereignisse, die wir 2016 auch in Braunsbach erlebt haben, kriegt man selbst durch die allerbesten technischen Vorsorgemaßnahmen nicht abschließend in den Griff. Es bleibt immer ein natürliches Restrisiko.

Wie gehen die Stadt Backnang und der Wasserverband Murrtal damit um?

Wir gehen das Thema Starkregen-Risikomanagement ganz aktiv an. Das bedeutet: Anders als bei einem Hochwasser geht es hier nicht um die Frage, wie kann man verhindern, dass die Murr überläuft? Sondern es geht darum, das Schadenspotenzial bei Starkregenereignissen – wenn es extrem starke Regenmengen gibt, die zu lokalen, eng begrenzten Überflutungen führen – auf ein absolutes Minimum zu reduzieren.

Wie gehen Sie das konkret an?

Ein Ingenieurbüro hat die letzten Monate in unserem Auftrag damit zugebracht, 3-D-Modelle Backnangs – also der Landschaft, der Stadt und der Einzugsgebiete der kleinen Flüsse – anzufertigen. Mit einer Software kann man sehen, wo im Starkregenfall mit heftigen Überflutungen zu rechnen ist. Sobald uns die Karten vorliegen, werden wir überprüfen, ob das, was die Software ermittelt hat, mit der Örtlichkeit übereinstimmt. Man nennt das Plausibilisieren. Das wird in der zweiten Jahreshälfte dieses Jahres geschehen. Sobald die Ergebnisse feststehen, möchten wir mit dem Gemeinderat schon 2022 die ersten Maßnahmen umsetzen.

Welche Maßnahmen wären das?

Das kann zum Beispiel die Erhöhung der Bordrandsteine sein, wenn wir sehen, dass es in einer Straße an einer ausreichenden Wasserführung fehlt. Oder bestimmte bauliche Maßnahmen wie eine Mauer, die etwa eine Schule am Ende einer Gefällestrecke schützt. Klar ist natürlich: Wenn wir es mit solchen Wassermassen zu tun haben, wie wir sie jetzt in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz erlebt haben, helfen auch solche Schutzmaßnahmen nicht.

Gilt dasselbe auch für private Gebäude?

Ähnliche Maßnahmen sind angebracht. Bei Privatgebäuden gilt aber zunächst das Prinzip der Eigenvorsorge. Das heißt, es ist nicht in erster Linie die öffentliche Hand, sondern der Hausbesitzer verpflichtet, sein Objekt zu schützen. Das gilt für Starkregenereignisse, aber auch für Rückstau aus dem Kanal. Wir würden uns wünschen, dass sich die Menschen da noch stärker informieren und bei Bedarf auch auf uns zukommen. Die Kollegen vom Tiefbauamt beraten gerne.

Haben Sie Beispiele, wie die Bürger ihr Haus schützen können?

Ein klassisches Instrument sind zum Beispiel mobile Schutzanlagen wie Dammbalken gegen eindringendes Oberflächenwasser. Oft sind Treppen, die etwa zu einer Einliegerwohnung im Keller führen, nicht gesichert. Da kann sehr schnell Wasser eindringen und dann wird es gefährlich, wenn sich im Untergeschoss Menschen aufhalten und keine Fluchtmöglichkeit besteht. Bei Grundstücken, die in Hanglage an landwirtschaftliche Flächen grenzen und dadurch eventuell von Schlammlawinen bedroht sind, könnte man durch das Ziehen von Gräben oder auch durch entsprechende Bewirtschaftung schon sehr früh vorsorgen.

Welche Gebiete in Backnang sind Ihrer Ansicht nach besonders betroffen?

Das kann ich erst abschließend sagen, wenn uns die plausibilisierten Gefahrenkarten vorliegen. Generell sind es alle Bereiche, die in der Nähe von kleinen Gewässern oder am Siedlungsrand in Hanglage liegen. Aber es können auch Bereiche in der Stadt sein, die in irgendeiner Weise ungünstig liegen.

Würden Sie davon abraten, in der Nähe von Bächen oder Flüssen zu bauen?

Generell sollte man bei der Neuausweisung von Flächen natürlich immer schauen – und das ist auch das Ziel der neuen Starkregen-Risikokarte –, dass man außerhalb der Risikobereiche bleibt. Oder, wenn dort schon Baurecht besteht, dass man hochwasserangepasst baut. Dass man also durch entsprechende Stellung der Gebäude, die Sicherung der Untergeschosse oder auch durch die Abgrenzung zum Außenbereich dafür Sorge trägt, dass Schäden weitestgehend vermieden oder minimiert werden.

Das neue IBA-Gelände soll ja explizit die Murr in den Mittelpunkt rücken. Bereitet Ihnen das Bauchweh?

Nein, das macht uns kein Bauchweh. Ganz im Gegenteil, das ist ja die Chance für das Gebiet. Aber wir haben von Anfang an gesagt: Die Murr ist nicht nur ein schönes Gewässer, sie birgt auch Risiken, gerade was das Thema Hochwasser anbelangt. Es ist natürlich jetzt unsere Aufgabe, dort für den Hochwasserschutz zu sorgen – zumindest den, der 100-jährliche Ereignisse abdeckt. Dann kommt jetzt natürlich noch das Thema Starkregen dazu. Da werden wir schon sehr frühzeitig entsprechende Maßnahmen treffen, um das Schadenspotenzial deutlich zu reduzieren.

Was genau ist geplant?

Es soll zum Beispiel siedlungsintegrierte Rückhaltemaßnahmen für Wasser geben – große Plätze, die im Starkregenfall auch als Wasserreservoir dienen können – und Maßnahmen, die die Wasserführung betreffen.

In Westdeutschland hat das Warnsystem nicht gut funktioniert. Wie werden die Bürger hier im Ernstfall informiert?

Wir haben im Moment – wie die allermeisten Städte – noch kein Frühwarnsystem für Hochwasser und Starkregenereignisse, das auf jedes Handy geht und die konkrete lokale Situation abbildet. Aber genau das ist unser Ziel: ein App-basiertes System, das für jeden Nutzer – sowohl die öffentliche Hand als auch Privatleute – zugänglich ist und mit ausreichend Vorwarnzeit erkennen kann: Achtung, da kommt ein Starkregenereignis auf mich zu und ich habe jetzt noch so und so viel Zeit, um Maßnahmen einzuleiten. Wir sind aktuell in einer Kooperation mit dem Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Regierungspräsidium Stuttgart. Dabei geht es um ein Flut-, Informations- und Warnsystem, kurz Fliwas. Dieses möchten wir als Pilotprojekt im Raum Backnang starten. Das haben wir schon vor der Flutkatastrophe vereinbart. Die Fliwas-App soll jeder, der möchte, auf dem Handy installieren können. Unsere Aufgabe ist es zudem, in den nächsten Monaten – auch im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen – mithilfe der neuen Starkregen-Risikokarte die Grundstückseigentümer darüber zu informieren, dass auf ihrem Grundstück möglicherweise eine Gefahrenlage vorliegt.

Viele Kommunen haben mittlerweile einen Starkregenbeauftragten. Soll es diesen Posten auch in Backnang geben?

Ja, darüber denken wir gerade nach. Der wird mit großer Wahrscheinlichkeit beim Tiefbauamt angesiedelt werden.

Das Gespräch führte Melanie Maier.

„Es bleibt immer ein natürliches Restrisiko“

Stefan Setzer

Studium Stefan Setzer studierte Raum- und Umweltplanung an der Technischen Universität Kaiserlautern.

Karriere Vom Jahr 2000 an war er Sachgebietsleiter der Stadtplanung bei der Stadt Eppingen, von 2005 an Fachbereichsleiter Planen und Bauen. 2008 kam Setzer als Leiter des Stadtplanungsamts nach Backnang, wo er seit 2017 Baudezernent ist.

Hochwasserschutz Stefan Setzer ist auch Vorstand des Wasserverbands Murrtal.