Es rapunzelt in der Märlistadt

In Stein am Rhein lernt man auf einem Rundweg nicht nur viel über das Märchen Rapunzel, sondern auch die Stadt kennen

Von Annette Frühauf

Wenn anderenorts die Weihnachtsmärkte öffnen, verwandelt sich Stein am Rhein in eine Märchenstadt. Auf dem Märliweg (Märchenweg) wird die Geschichte von Rapunzel erzählt.

Es rapunzelt in der Märlistadt

stein am Rhein Egal durch welches Tor man das mittelalterliche Städtchen betritt, der Blick bleibt an den hellgrauen Stelen hängen – verziert mit hellem Haarzopf und Schere. Dahinter – in den Schaufenstern – wird in 20 Szenen das Märchen der Gebrüder Grimm dargestellt. „Rapunzel, Rapunzel lass dein Haar herunter …“ Diesen Satz aus dem gleichnamigen Märchen der Gebrüder Grimm kennt fast jeder. Dabei taucht ein Turm in der Erinnerung auf, an dem langsam ein dicker, geflochtener Haarzopf hinuntergelassen wird. Doch warum landet das schöne Mädchen so hoch oben?

Wer das genauer wissen möchte, folgt dem Märliweg (Märchenweg), vorbei an den abwechslungsreich dekorierten Szenen, der zum 18. Mal vom Gewerbeverein Stein am Rhein organisiert wird. Los geht es auf dem Rathausplatz im Zentrum. Gleich neben dem Gebäude der Stadtverwaltung steht die graue Holzsäule, an der der rund 40-minütige Spaziergang beginnt. Zwischen lauter Uhren steht im Schaufenster des Goldhuuses geschrieben: „Es war einmal ein Mann und eine Frau, die wünschen sich schon so lange vergeblich ein Kind.“ Auf dem bunten Bild daneben sind zwei Filzfiguren. Die Frau im blauen Kleid sitzt auf einem Schaukelstuhl und hält ihre Hände schützend vor den Bauch. Nicht weit entfernt, an der Ecke des Platzes, weist das Märlischild über die Straße in Richtung der nächsten Szene. Sie liegt beim Benediktinerkloster St. Georgen.

Das Kloster hatte seinen Ursprung auf dem Berg Hohentwiel bei Singen und zog 1007 nach Stein am Rhein. Das Museum im Kloster ist über den Winter geschlossen. Allerdings findet im Klosterhof vom 14. bis 16. Dezember ein Handwerkermarkt statt.

Die kleinen Märchenbesucher drängen weiter zum Chirchhofplatz – von Weitem ist hier schon die graue Stele zu erkennen. Die Betrachter blicken gemeinsam mit den werdenden Eltern in den Zaubergarten, der hinter dem Haus des Paares liegt. Der Geschäftsinhaber hat kleine Holzkistchen mit Äpfeln und Zwiebeln, umrankt von Efeu, um den Geschichtsausschnitt dekoriert. In der Fußgängerzone sind die nächsten Bilder zu finden. Sie erzählen von der Lust der Schwangeren auf die Rapunzeln des Zaubergartens und davon, wie der Mann sie heimlich stibitzt. Die Geschichte nimmt ihren Lauf und die Zauberin stellt den Dieb eines Abends beim Pflücken ihres Feldsalats. Aus Angst verspricht der Ertappte der Zauberin das Ungeborene.

Im Fenster gegenüber kommt ein kleines Mädchen zur Welt, das bereits in der benachbarten Auslage des Hofladens zur Zauberin gebracht wird. Das Geschäft mit den Naturprodukten befindet sich im Weissen Adler. Wer seinen Blick über das Schaufenster schweifen lässt, sieht die prächtige Fassadenmalerei. Die moralisierenden Szenen sind die frühesten erhaltenen Fassadenmalereien der Renaissance in der Schweiz. Da die Kinder drängeln, bleibt nicht viel Zeit zum Betrachten. Am großen Weihnachtsbaum, der Krippe und den Ständen mit Glühwein und Schweizer Leckereien vorbei, geht es weiter. Niemand möchte eine Kalbsbratwurst oder einen Punsch, denn alle wollen wissen, wie es weitergeht. Das kleine Kind ist zu einem wunderhübschen Mädchen herangewachsen. Wegen ihrer Schönheit versteckt die Zauberin Rapunzel hoch oben im Turm, wohin keine Treppe führt.

Durch lieblichen Gesang angelockt, kommt eines Tages der Prinz ins Spiel, der im Delikatessen-Geschäft erstmals das bekannte Sprüchlein „Rapunzel, Rapunzel lass dein Haar herunter“ aufsagt. In der Brodlaubegass sieht man, wie der Prinz allabendlich nun am Zopf in den Turm gezogen wird, um Rapunzel Rollen voller Seide zu bringen. Rapunzel, die sich längst in den Prinzen verliebt hat, braucht sie für eine Leiter, um ihrem Gefängnis zu entfliehen.

Die Altstadt ist fast durchquert und das Untertor nicht mehr weit, als die Zauberin den beiden Verliebten auf die Schliche kommt. Kurzerhand schneidet sie Rapunzel den Zopf ab und verstößt sie. Inzwischen ist das Haupttor der Stadt durchschritten und es geht zum Rhein hinunter.

Dank des Plans vom Märliweg gelangen die Märchenfreunde zur Steiner Liliputbahn, die an den Adventswochenenden ein Stück entlang des Rheins fährt. Am kleinen Bahnhof des Bähnles hebt sich ein Fenster mit rotem Vorhang ab. Darin ist Rapunzel zu sehen, die Zwillinge aufzieht und dabei singt. Der Plan dirigiert die kleine Gruppe nun zurück in die Unterstadt. In der Ferne ist die Rheinbrücke zu sehen, die auf die gegenüberliegende Flussseite in den Ortsteil Vor der Brugg führt. Doch bevor es dorthin geht, hört der Prinz im Fenster eines Hotels den vertrauten Gesang seiner Geliebten. Der Königssohn schließt seine Familie in die Arme und bringt sie auf sein Schloss, wo sie noch lange glücklich miteinander lebten.