Es schlägt die Stunde der Stellvertreter

Wenn der Chef (urlaubs)abwesend ist, kommt der Vize zum Zug: Vertreter berichten von ihrer Erfahrung als Nummer eins auf Zeit

In der Ferienzeit macht schon mal der Chef Urlaub. Es schlägt die Stunde der Stellvertreter. Auch wenn die Arbeitsbelastung in Vertretungszeiten höher sein kann, nehmen sie es durchweg gelassen, auf Zeit die Nummer eins zu sein – dank Routinen, klaren Aufgabenverteilungen und guter Organisation.

Es schlägt die Stunde der Stellvertreter

Haben den Ball in der Murrelektronik-Marketingabteilung am Laufen gehalten, als Abteilungsleiter Manuel Senk sich für vier Wochen in die Elternzeit verabschiedet hat: Die beiden Teamleiterinnen Jutta Jurrat (links) und Silke Krüger-Schubert (rechts). Foto: A. Becher

Von Nicola Scharpf

BACKNANG. Backnangs Oberbürgermeister Frank Nopper: im Urlaub. Der Kommandant der Feuerwehr, Marcus Reichenecker: im Urlaub. Kreisbrandmeister René Wauro: im Urlaub. Der behandelnde Hausarzt: im Urlaub. Der Marketingleiter: in Elternzeit. Die Sommerzeit bringt es mit sich, dass viele Amtsinhaber, Führungskräfte oder Hauptverantwortliche urlaubsbedingt nicht greifbar sind. Das Alltagsgeschäft geht trotzdem weiter – für diejenigen, die vorübergehend den Chefsessel einnehmen, kein Schreckgespenst. Schließlich haben die meisten von ihnen Routine im Vertreten beziehungsweise übernehmen auch in Zeiten, in denen die Nummer eins anwesend ist, Führungsaufgaben.

Als sich Manuel Senk, Leiter des Corporate Marketing bei Murrelektronik in Oppenweiler, für vier Wochen in die Elternzeit verabschiedete, haben die beiden Teamleiterinnen Silke Krüger-Schubert und Jutta Jurrat „den Ball am Laufen gehalten“, wie die beiden langjährigen Murrelektronik-Mitarbeiterinnen sagen. „Wir wollen die Aufgaben zufriedenstellend bewältigen“, sagen die Frauen über ihren Anspruch an ihre Stellvertreterrolle. Die Elternzeit war frühzeitig angekündigt, die Vertretung dementsprechend gut planbar – mit Übergabegespräch und -dokumentation seitens des Chefs. Aus Rücksicht auf das saisonal unterschiedlich stark ausgeprägte Arbeitsaufkommen hat Senk seine Elternzeit in die „Nebensaison“ für die Marketingabteilung gelegt. Dennoch: Die Teamleiterinnen wussten, „es kommt moderat mehr auf uns zu“. Dank niedrigerer Hierarchien und klar geregelter Kompetenzen fühle sich eine Vertretung aber nicht schlecht an. „Es tut nicht weh“, sind sich Krüger-Schubert und Jurrat einig. „Wir haben da keine Schweißperlen.“

„Man bekommt Mitgefühl für die Entscheidungen des Chefs“

Rückblickend sind sowohl der Chef als auch die Stellvertreterinnen zufrieden, wie die vier Wochen abgelaufen sind. „Man bekommt Mitgefühl für die Entscheidungen des Chefs und was er tagtäglich mit sich herumträgt“, sagen die Frauen. „Bei uns Teamleiterinnen kommt oft nur noch das Lüftchen an, nicht mehr der Sturm.“ Senk dagegen findet, durch seine Abwesenheit habe er das Signal setzen können: Ich vertraue euch. „Das tut mir auch gut.“ Er resümiert: Auf jeden Fall stärkt eine Vertretungsphase das gegenseitige Verständnis, die Kommunikation untereinander, das partnerschaftliche Miteinander. „Kommunikation und Vertrauen, das ist das A und O.“

„Der OB ist fast immer da“, sagt Frank Noppers Stellvertreter, Backnangs Erster Bürgermeister Siegfried Janocha. Das komme ihm, der während der Abwesenheit des Oberbürgermeisters eine höhere, aber vertretbar höhere Arbeitsbelastung verspürt, entgegen. Im August finden keine Sitzungen von Gremien wie dem Gemeinderat statt und die Repräsentationstermine seien deutlich reduziert. Dadurch, dass der Besuch von Veranstaltungen wie etwa Festen an Wochenenden oder diamantenen Hochzeiten oder runden Geburtstagen ohnehin das ganze Jahr über aufgeteilt werde zwischen dem OB, Baudezernent Stefan Setzer und ihm, sei es „völlig unkritisch“, wenn der OB im August mal eine Woche nicht da ist. Es findet vorher keine Übergabe statt. „Die Routine ist da, es werden nur Aufgaben verteilt.“ Die Aufteilung in Dezernate bringt mit sich, dass die Zuständigkeiten klar sind und jeder Dezernent in seinem Bereich selbstständig agiert. Eine gelingende Vertretungsphase begünstigt das „kollegiale, partnerschaftliche Verhältnis“ zwischen den Dezernenten, so Siegfried Janocha.

Im Gegensatz zu Janocha, der als ständiger Stellvertreter des Oberbürgermeisters fungiert, ist Michael Schladt der sogenannte Verhinderungsstellvertreter des Backnanger Feuerwehrkommandanten Marcus Reichenecker. Laut Feuerwehrgesetz nimmt der Stellvertreter offiziell nur dann die Aufgaben des Kommandanten wahr, wenn dieser verhindert ist. In der Praxis sieht das aber anders aus, sagt Michael Schladt. „Die Aufgaben sind auch unter dem Jahr verteilt.“ Es gebe beispielsweise die Regelung „Einsatzleiter vom Dienst“, bei der Zugführer nach Dienstplänen sich bei der Einsatzführung abwechseln. Doch die Feuerwehr sei über die Einsätze hinaus ein vielschichtiger Apparat. So führen er und Kommandant Reichenecker einmal pro Woche ein Gespräch über Organisatorisches oder „die Dinge, die anstehen“. „Es wäre komisch, als Nummer zwei nicht mitspielen zu dürfen. Es geht doch um die Frage, was wir gemeinsam gestalten können.“ Eine Übergabe, bevor der Kommandant in den Urlaub geht, wäre aus Schladts Sicht von daher nicht nötig. „Aber er schreibt mir trotzdem alles auf.“ Ist Reichenecker abwesend, hat Schladt „die Verantwortung, die ich sonst nicht habe“. „Vielleicht kribbelt es ein bisschen mehr als sonst, das kann schon sein.“ Wenn Reichenecker zurück ist, freue er sich. „Nicht, weil ich zitternd zu Hause sitze und hoffe, dass kein Einsatz ist, sondern weil er mein Freund ist.“

In Praxen bringt eine Vertretung eine höhere Belastung mit sich

Auch Daniel Köngeter, der einer von drei ehrenamtlichen Stellvertretern von Kreisbrandmeister René Wauro ist und ihn als Mitarbeiter selbiger auch in der Stabsstelle Brand- und Katastrophenschutz des Landratsamtes vertritt, schildert ein eher arbeitsteiliges Verhältnis. „Ich muss mich nicht extra einarbeiten, weil ich auch unter dem Jahr Aufgaben des Kreisbrandmeisters übernehme.“ Der Bereitschaftsdienst sei das ganze Jahr über aufgeteilt, Projekte würden übergeben. Während Wauros Abwesenheit im Sommer würden keine Sitzungen oder Ehrungen stattfinden. Aber abgesehen vom Einsatzfall, bringe die Vertretungssituation nicht mehr Arbeit mit sich.

Wolfgang Steinhäußer, Vorsitzender der Backnanger Ärzte, dagegen sagt, wenn eine Praxis eine andere vertritt, bringe das schon eine höhere Belastung für den vertretenden Kollegen. Zwar gibt es auch unter den Ärzten jahrelange Routinen und feste Verbünde, wer wen vertritt. Auch kommt die Vertretungssituation für die Patienten nicht überraschend, weil der Praxisurlaub Wochen im Voraus angekündigt wird und sie beispielsweise Rezepte für Dauermedikamente vorher abholen können. Der vertretende Arzt kennt aber die Patienten, die zu ihm vertretungsweise kommen, nicht. „Man muss sie viel mehr fragen, zum Beispiel bei Schmerzen im Brustkorb oder Rückenschmerzen oder Depressionen, weil man ihre Patientenakte nicht kennt“, schildert Steinhäußer. Die Organisation der Praxis funktioniert in Vertretungszeiten anders: Es wird mehr Zeit gesperrt für Termine, die tagesaktuell vergeben werden. Auf einen Termin für planbare Dinge, wie den Blutdruck einzustellen, müssen Patienten dann länger warten. Dadurch, dass der Vertretungsarzt mehr Patienten „einschieben“ muss, kann die verbrachte Zeit im Wartezimmer schon mal länger werden als gewohnt. „Vor allem habe ich in Vertretungszeiten aber weniger Zeit für das Gespräch mit den Patienten.“