EU-Kommission: „Coronahilfen nicht zu früh zurückfahren“

dpa Brüssel. Gegen die tiefe Rezession sollen die EU-Staaten alle Instrumente nutzen, sagt die EU-Kommission. Dafür sollen vorübergehend auch Löcher in der Staatskasse in Kauf genommen werden. Allerdings in Maßen.

EU-Kommission: „Coronahilfen nicht zu früh zurückfahren“

EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa Pool/dpa

Wirtschaft stützen, investieren, Jobs schaffen: Wegen der dramatischen Corona-Krise hat die EU-Kommission die Mitgliedsstaaten ausdrücklich aufgefordert, ihre Krisenprogramme keinesfalls zu früh zurückzufahren.

Auch 2021 müsse die Wirtschafts- und Finanzpolitik „unterstützend“ bleiben, sagte Kommissionsvize Valdis Dombrovskis zur Herbst-Wirtschaftsanalyse. Trotzdem müssten die Regierungen die Verschuldung im Blick behalten.

Die EU-Kommission prüft regelmäßig im Herbst die Haushaltsentwürfe der Mitgliedsstaaten und gibt wirtschaftspolitische Empfehlungen. Dieses „Europäisches Semester“ genannte Verfahren soll zu einer einheitlicheren Wirtschaftspolitik vor allem in der Eurozone führen. Wegen Corona ist diesmal vieles anders. Das Wichtigste aus dem dicken Bündel von Ergebnissen im Überblick:

DIE HAUSHALTSLAGE

Wegen der Pandemie-Krise gelten derzeit nicht die üblichen Defizit- und Verschuldungsregeln - höchstens drei Prozent Defizit und höchstens 60 Prozent Verschuldung, jeweils gemessen an der Wirtschaftsleistung. Die meisten der 27 EU-Staaten haben wegen hoher Ausgaben bei gleichzeitigem Wirtschaftseinbruch riesige Defizite. Auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) plant für nächstes Jahr mit 96 Milliarden Euro neuen Schulden.

Dennoch lobt die Kommission die deutsche Haushaltspolitik. Diese entspreche insgesamt den im Sommer gemeinsam formulierten EU-Zielen. Scholz sagte dazu: „Unser Kurs stimmt im Kampf gegen Corona“. Dank der Haushaltspolitik verfüge Deutschland „über die finanzielle Kraft, damit alle, Bürgerinnen und Bürger, Beschäftigte und Unternehmen, gut durch diese schwere Zeit kommen“, betonte der Vizekanzler.

Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) stellte Berlin ein gutes Zeugnis aus: „Deutschland hat die erste Welle der Covid-19-Pandemie relativ gut gemeistert.“ Eine frühzeitige und energische Reaktion der Politik habe dazu beigetragen, die Folgen abzumildern. Nun müsse es darum gehen, die Wirtschaft auf einen nachhaltigen Erholungspfad zu bringen, die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt zu schützen und Unternehmen im Geschäft zu halten, riet der IWF.

Mehr Bedenken hat die EU-Kommission bei den anderen großen Volkswirtschaften Frankreich, Italien und Spanien. In Frankreich und Italien bemängelt die Behörde, dass einige der Krisenmaßnahmen nicht befristet seien. Zudem äußert sie Sorge über die hohe Verschuldung und mahnt, zumindest mittelfristig die öffentlichen Finanzen stabil zu halten.

WIRTSCHAFTLICHE SCHIEFLAGE IN DER UNION

Die Pandemie-Krise hat aus Sicht der Kommission die wirtschaftlichen Unterschiede verschärft. Deutschland - das stets wegen Exportüberschüssen in der EU ermahnt wird und nun wirtschaftlich auch etwas besser durch die Pandemie kommt als andere EU-Staaten - soll gemeinsam mit elf weiteren Ländern auf „makroökonomische Ungleichgewichte“ genauer unter die Lupe genommen werden. Sorge äußert die Kommission zudem wegen steigender Verschuldungsquoten auch bei Unternehmen und privaten Haushalten. Die Dynamik bei Immobilienpreisen könnte sich abschwächen. Banken hätten das Risiko, dass vermehrt Problemen bei der Tilgung von Krediten auftreten könnten.

DER ARBEITSMARKT

Während der Pandemie ging die Zahl der Beschäftigten nach Daten der Kommission von Ende 2019 bis zum zweiten Quartal 2020 um 6,1 Millionen zurück - der schärfste jemals beobachtete Einbruch im Lauf eines halben Jahres. Besonders hart getroffen hat die Krise junge Leute, wie Sozialkommissar Nicolas Schmit sagte. Millionen befristeter Arbeitsverhältnisse seien verloren gegangen. „Diese Zahlen sind dramatisch“, sagte Schmit. Auch die Armut wachse wieder.

DIE GEGENMITTEL

Gegen die befürchtete wachsende Arbeitslosigkeit empfiehlt die Kommission Investitionen in Weiterbildung und Höherqualifizierung. Schmit erwähnte explizit die Renovierung von Häusern, die Jobs schaffen und gleichzeitig den Klimaschutz voranbringen könne.

Zur Finanzierung empfiehlt die Kommission die Nutzung aller nationalen und auf EU-Ebene vorhandenen Geldtöpfe und Programme. Dazu zählen die bereits im Frühjahr vereinbarten Hilfen: das Kurzarbeiterprogramm Sure, Kredite der Investitionsbank und mögliche Milliardenkredite des Eurorettungsschirms ESM. Und vor allem der vereinbarte EU-Haushaltsrahmen einschließlich der Corona-Hilfen im Umfang von 750 Milliarden Euro. Doch sind die Haushaltsbeschlüsse derzeit durch ein Veto Ungarns und Polens blockiert. Dafür mahnte Dombrovskis eine rasche Lösung an. Die insgesamt 1,8 Billionen Euro würden im Kampf gegen die Krise dringend gebraucht.

© dpa-infocom, dpa:201118-99-380122/2