EU-Länder einig über Aussetzung der Schuldenregeln

dpa Brüssel. Höchstens 3,0 Prozent Haushaltsdefizit und 60 Prozent Staatsverschuldung: Die Corona-Krise wirft auch die Regeln des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts über den Haufen. Und schon werden weitere Kriseninstrumente angedacht.

EU-Länder einig über Aussetzung der Schuldenregeln

Im Kampf gegen die Coronavirus-Krise werden erstmals überhaupt die europäischen Schulden- und Defizitregeln vorübergehend ausgesetzt. Foto: Michael Kappeler/dpa

Für die beispiellosen Rettungspakete der EU-Staaten gegen die Folgen der Corona-Krise werden erstmals die europäischen Schulden- und Defizitregeln vorübergehend ausgesetzt.

Dem stimmten die EU-Wirtschafts- und Finanzminister in einer Schaltkonferenz zu. Sie billigten den Vorschlag der EU-Kommission, die sogenannte Allgemeine Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu ziehen.

„Die Nutzung der Klausel wird die nötige Flexibilität erlauben, alle nötigen Maßnahmen zur Unterstützung unserer Gesundheits- und Zivischutzsysteme und zum Schutz unserer Volkswirtschaften zu ergreifen“, hieß es in einer in Brüssel veröffentlichten Erklärung. Möglich seien auch weitere koordinierte Konjunkturmaßnahmen, sollten sie nötig werden. Darin zeige sich die Entschlossenheit, die gegenwärtigen Herausforderungen anzupacken, Vertrauen wiederherzustellen und eine schnelle Erholung zu erlauben.

In Erwartung eines „schwerwiegenden Konjunkturabschwungs“ wegen der Coronavirus-Pandemie hatte die Kommission die Aktivierung der Klausel am Freitag vorgeschlagen. So sollen Mitgliedsstaaten alle „für eine angemessene Bewältigung der Krise erforderlichen Maßnahmen“ ergreifen können, ohne gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu verstoßen, wie die Behörde dazu erklärte.

Der Pakt von 1997 legt fest, dass das Haushaltsdefizit höchstens 3,0 Prozent und der Schuldenstand höchstens 60 Prozent der jeweiligen Wirtschaftskraft betragen dürfen. Die „allgemeine Ausgleichsklausel“ wurde 2011 nach der Wirtschafts- und Finanzkrise eingefügt, um in akuten Krisen mehr Spielräume zu erlauben. Sie wurde noch nie angewendet.

Aus Sicht der EU-Kommission könnte der Konjunktureinbruch 2020 vergleichbar mit dem Abschwung im Jahr der Wirtschaftskrise 2009 werden. Damals war die Wirtschaft in der EU um 4,3 Prozent geschrumpft und in der Eurozone um 4,5 Prozent. Das Münchner Ifo-Institut erwartet derzeit für Deutschland wegen Corona ein Schrumpfen des Wirtschaftswachstums um 7,2 bis 20,6 Prozentpunkte.

EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis machte deutlich, dass die Aussetzung der Schuldenregeln noch nicht das letzte Wort im Kampf gegen die Krise ist. Es gehe noch um „weitere Schritte, die wir unternehmen können, um Unternehmen und Arbeitnehmer in Europa zu dieser kritischen Zeit unterstützen zu können“. Welche Maßnahmen noch hinzu kommen könnten, sagte Dombrovskis nicht.

Im Gespräch waren zuletzt Kreditlinien des Euro-Rettungsschirms ESM und sogenannte Corona-Bonds, also von EU-Institutionen begebene gemeinsame Anleihen. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte sich offen für solche Bonds gezeigt. Auch mehrere EU-Länder setzen sich dafür ein, ebenso wie die Sozialdemokraten im Europaparlament.

„Beispiellose Zeiten erfordern beispiellose Maßnahmen“, erklärte die sozialdemokratische Fraktionschefin Iratxe García. „Wir fordern die europäischen Staats- und Regierungschefs auf, Corona-Bonds herauszugeben und den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu aktivieren.“

Der CSU-Europapolitiker Markus Ferber wandte sich strikt gegen beides: „Weder Corona-Bonds noch ESM-Kreditlinien werden die Ausbreitung des Coronavirus zurückdrängen“, warnte Ferber. „Die Krise rund um die Auswirkungen des Coronavirus ist kein Grund, jegliche finanzpolitische Vernunft über Bord zu werfen.“

Auch die Bundesregierung hatte sich in der Vergangenheit stets gegen Eurobonds gewandt mit dem Argument, so käme es zu einer Vergemeinschaftung von Schulden und Risiken. Die Debatte über zusätzliche Maßnahmen wird am Dienstagabend in der Eurogruppe und am Donnerstag in einem Videogipfel der EU-Staats- und Regierungschefs weiter geführt.