Rüstung

Europas schwieriger Weg zum wehrhaften Kontinent

Die EU will wegen der Bedrohung durch Russland aufrüsten. Bisher gibt es viele Pläne, wenige konkrete Schritte und viele Fragen bei der Finanzierung.

Europas schwieriger Weg zum wehrhaften Kontinent

Die Grundausbildung bei der Bundeswehr ist kein Zuckerschlecken. Doch will Europa wirklich wehrhaft werden, gehört auch das Trainieren mit Waffen dazu.

Von Knut Krohn

An Warnungen fehlt es nicht: Russland wird sehr bald in der Lage und womöglich auch Willens sein, einen Nato-Staat anzugreifen. Politiker, Wissenschaftler und Militärexperten halten ein solches Schreckensszenario für nicht mehr ausgeschlossen. „Europa muss endlich aufwachen“, drängt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und fordert eine „europäische Sicherheitsarchitektur“. Nicht nur der Überfall Moskaus auf die Ukraine ist für sie Grund zu größter Sorge, auch die Unterstützung der USA im Kriegsfall scheint nicht mehr gesichert.

Die USA sind kein sicherer Partner mehr

Die EU-Kommission hat deshalb einen sogenannten „Fahrplan für Verteidigungsbereitschaft 2030“ vorgelegt, die genaue Umsetzung ist allerdings noch im Unklaren. Die Idee, die verteidigungs- und rüstungspolitischen Anstrengungen in Europa hochzufahren, ist nicht neu. Bereits im Jahr 2016 sorgte der damals gerade gewählte US-Präsident Donald Trump für Schockwellen, als er die US-Sicherheitsgarantien für Europa offen in Frage stellte. Tatsächlich passiert ist danach wenig. Im Gegenteil: Über Jahre dominierten weiter unkoordinierte Einsparungen die Verteidigungsausgaben in den EU-Ländern. Der Druck Trumps sorgte nun allerdings auch dafür, dass die Nato-Staaten jüngst beschlossen haben, bis 2035 fünf Prozent ihrer Wirtschaftskraft für Verteidigung auszugeben – 3,5 Prozent für militärische Verteidigung und 1,5 Prozent für Infrastruktur.

Dennoch stockt das Hochfahren der Rüstungsproduktion weiter – auch weil die Unternehmen der Politik misstrauen. Aus diesem Grund mahnte Nato-Generalsekretär Mark Rutte in diesen Tagen die Vertreter der Rüstungsindustrie auf dem Nato-Industry Forum in Bukarest: „Gefährliche Zeiten verlangen mutiges Handeln.“ Er wisse, dass Unternehmen auf ihre Aktionäre schauten und darauf warteten, dass Regierungen langfristige Verträge unterzeichneten, redete ihnen Rutte ins Gewissen. Er könne aber versichern, dass beim Thema Verteidigungsinvestitionen der politische Wille, das Geld und die Nachfrage da seien. Deutlicher formuliert: Alles, was produziert wird, wird auch gekauft.

Experten fordern neue Methoden der Beschaffung

Die Militärexpertin Ulrike Franke fordert ein grundsätzliches Umdenken von Politik, Militär und Industrie bei der Finanzierung und macht dies am Beispiel der Beschaffung von Drohnen fest. Wie wichtig die auf den Schlachtfeldern der Zukunft sein werden, zeige der Krieg in der Ukraine, betonte sie bei einer Diskussionsrunde in Brüssel. Ebenso deutlich werde auch die rasante Entwicklung in diesem Bereich. Es sei also sinnlos, dass die Bundeswehr Unmengen von Drohnen bestelle und diese einlagere, denn die seien nach ein oder zwei Jahren schon wieder veraltet. Ulrike Franke plädiert dafür, eine gewisse Anzahl dieser Fluggeräte zu kaufen und den einmal angelegten Fundus ständig zu modernisieren. Die Verteidigungsindustrie bekommt nach ihrem Vorschlag eine Abnahmegarantie und müsse gleichzeitig in die Lage versetzt werden, im Kriegsfall die Produktion von Drohnen sofort schnell hochfahren zu können.

Auch Flottillenadmiral Jens Beckmann plädierte in Brüssel für eine effiziente und kostengünstige Beschaffung, was oft aber daran scheitere, dass der Kauf und die Entwicklung von Rüstungsgütern noch immer als „zutiefst nationale Aufgabe“ verstanden werde. Der Leiter der Abteilung Militärpolitik bei der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU forderte, dass sich Koalitionen von Mitgliedstaaten zusammenschließen müssten, die dann in der Lage wären, Rüstungsgüter nicht nur in höchster Qualität, sondern auch in der notwendigen Stückzahl zu produzieren. Allerdings zeigen die massiven Schwierigkeiten bei der Entwicklung des deutsch-französischen Kampfjets FCAS, dass trotz Krieg in der Ukraine und Zweifel an den USA die rüstungsindustrielle Kleinstaaterei weiter vorherrscht.

Investitionen in Rüstung sind wieder interessant

Veränderungen gibt es allerdings in einem anderen, für die Rüstung wichtigen Bereich: der Finanzierung von Rüstungsunternehmen durch Banken und Fonds. Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer beim BVI Deutscher Fondsverband, erklärte, vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine seien Investitionen in diesem Bereich kaum möglich und moralisch geradezu verbrämt gewesen. „Fondsgesellschaften mussten um ihren Ruf bangen, wenn sie Geld in diesem Bereich anlegen wollten“, sagte er in Brüssel. Das habe sich aber geändert, inzwischen gebe es sogar Fonds, die auf Rüstung spezialisiert sind. Dennoch, so berichtet Thomas Richter aus seinem Arbeitsalltag, hätten kleinere, innovative Firmen noch immer Schwierigkeiten, sich Geld zu besorgen. Die Politik müsse sich fragen, ob sie diesen sensiblen Bereich etwa den Private-Equity-Fonds überlassen wolle oder auch hier nicht ein strategisches Umdenken stattfinden müsse.

Die Regeln werden großzügig ausgelegt

Dieses Problem wird auch in der EU erkannt, und es wurde bereits reagiert. So verkündete die Europäische Investitionsbank EIB Anfang dieses Jahres, sich stärker im Bereich Verteidigung zu engagieren. Rund eine Milliarde Euro hat die Hausbank der Europäischen Union 2024 dafür ausgegeben, für 2025 ist eine Verdoppelung vorgesehen – Tendenz steigend. Wegen der engen Regeln dürfen allerdings nicht der Bau von Panzern oder die Produktion von Munition finanziert werden. Bei der Entwicklung von Drohnen, der Cybersicherheit oder der Beschaffung von militärischer Ausrüstung werden die Vorgaben inzwischen aber eher großzügig ausgelegt.