Wenn der Briefkasten zum Wahlhelfer wird

Von Von Martin Oversohl, dpa

dpa/lsw Stuttgart. Der Briefkasten wird immer mehr zum wichtigsten Wahlhelfer. Denn bei der Landtagswahl im März wird in einigen Wahlkreisen wohl jeder Zweite per Briefwahl abstimmen und nicht im Wahllokal. Das ist von vielen durchaus so gewollt, weckt aber auch Zweifel am System.

Wenn der Briefkasten zum Wahlhelfer wird

Briefwahlunterlagen liegen auf einem Tisch. Foto: Sebastian Gollnow/dpa/Symbolbild

Der Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg nimmt zwar erst langsam Fahrt auf. Dennoch haben sich Zehntausende bereits entschieden und ihr Kreuzchen auf dem Wahlschein schon gemacht. Denn vor allem wegen der Corona-Pandemie ist die Briefwahl in diesem Jahr so populär wie nie zuvor. In den zahlreichen Wahlkreisen des Landes liegen die Anträge deutlich über der Summe der gesamten Wahl vor fünf Jahren, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergeben hat.

„Wir sind bereits zweieinhalb Wochen vor dem Wahltermin beinahe auf dem doppelten Briefwahlniveau im Vergleich zur Landtagswahl 2016“, sagt unter anderem Meike Wendt von der Stadtverwaltung Mosbach (Neckar-Odenwald-Kreises). Auch in Esslingen, Stuttgart und Offenburg gehen die Wahlleiter von deutlich mehr Briefwählern aus. „Wir rechnen mit mindestens doppelt so vielen Anträgen“, heißt es unter anderem in Waldshut-Tiengen. Und auch in Karlsruhe geht der Trend zum Briefkasten: In der Fächerstadt liegt die Zahl der Anträge bereits um mehr als 40 000 über der Gesamtzahl von 2016 von knapp 34 000 Briefwählern. Nicht nur die Stadt Heidelberg erwartet zudem, dass sich mindestens jeder oder jede Zweite bei der Stimmabgabe für die Briefwahl entscheidet.

Das wäre ein überaus deutlicher Sprung. Im Jahr 2016 hatte landesweit etwa jeder fünfte Wähler (21 Prozent) bei der Landtagswahl seine Stimme auf dem Postweg abgegeben. Vor 25 Jahren war es noch etwa jeder zehnte Wähler (11 Prozent).

Auf die Wahlbeteiligung wird sich die hohe Zahl der Briefwähler aber kaum auswirken, heißt es in den Rathäusern. „In der Regel steigt die Wahlbeteiligung durch die Briefwahl nicht. Es ändert sich nur der Abstimmungsweg“, sagt ein Sprecher der Stadt Offenburg. Und auch in Friedrichshafen winkt man im Rathaus ab: „Die Briefwahl hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, jedoch ist regelmäßig die Wahlbeteiligung nicht im gleichen Umfang gestiegen.“

Die Stadt Konstanz hingegen hat nach eigenen Angaben gute Erfahrungen mit einer neuen Herangehensweise gemacht: Wegen der Corona-Krise setzte sie bei der Wahl des Oberbürgermeisters auf eine möglichst hohe Zahl von Briefwählern und verschickte Briefwahlunterlagen automatisch und ohne Antrag an alle Wahlberechtigten. Auch bat sie ausdrücklich darum, per Brief abzustimmen, weil dies nicht nur die Wähler, sondern auch die Wahlhelfer schütze. „Am Ende wählten 97 Prozent per Brief“, sagt eine Mitarbeiterin im Rathaus. Die Wahlbeteiligung beim zweiten Wahlgang lag bei 61,4 Prozent - das ist die höchste seit 1980.

Die Grünen und die Kommunen hatten im November die Hürden für die Briefwahl noch nach dem Konstanzer Modell senken wollen. Eine entsprechende Änderung des Landtagswahlgesetzes scheiterte aber am Widerstand der CDU-Fraktion. Die hatte verfassungsrechtliche Bedenken: Denn die Wahl muss geheim und frei sein, bei der Stimmabgabe in den eigenen vier Wänden fehle die öffentliche Kontrolle.

Auch der Politikwissenschaftlers Uwe Jun macht auf mögliche Manipulationen aufmerksam: „Der Gesetzgeber kann nicht überprüfen, wer den Stimmzettel ausfüllt“, gibt er zu Bedenken. Dies sieht der Politologe Everhard Holtmann von der Universität Halle-Wittenberg ähnlich. Er betont aber auch, es handele sich um „sehr seltene Ausnahmen vor allem auf lokaler Ebene“, die nicht grundsätzlich gegen eine Briefwahl sprächen.

Pannen sind jedoch auch im System nicht auszuschließen: Wegen eines Problems oder Fehlers beim Drucken haben zum Beispiel mindestens 880 Wählerinnen und Wähler die Unterlagen für die Landtagswahl gleich zweifach erhalten, wie Landeswahlleiterin Cornelia Nesch bestätigt. Das habe sich bei einer Abfrage der meisten Wahlleiter der 70 Wahlkreise mit insgesamt 1101 Gemeinden ergeben. „Für die Fälle, in denen dies festgestellt wurde, werden die doppelt ausgestellten Wahlscheine, die jeweils eine identische Wahlschein-Nummer haben, von den Gemeinden für ungültig erklärt“, sagte Nesch.

Von der deutlich steigenden Zahl der Briefwähler dürften nach Einschätzung Juns vor allem die CDU und die Grünen profitieren. „Viele CDU-Wähler empfinden das Wählen als eine Art Staatsbürgerpflicht“, sagte der Politikwissenschaftler, der an der Universität Trier lehrt. „Die Grünen haben dagegen die größte politikinteressierte Klientel.“ Seine Studien hätten zudem gezeigt, dass es der SPD oft schwerfalle, ihre vergleichsweise älteren Wähler bei der Briefwahl zu mobilisieren. Für die AfD sei diese dagegen am schwierigsten. Denn grundsätzlich machten an Politik besonders interessierte Menschen stärker vom Instrument der Briefwahl Gebrauch. „Viele AfD-Wähler sind aber weniger politikinteressiert und entscheiden sich eher kurzfristig“, sagte Jun der dpa.

Bei der Wahl am 14. März fordert CDU-Kultusministerin Susanne Eisenmann den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann heraus. Insgesamt sind rund 7,7 Millionen Menschen wahlberechtigt, darunter etwa 500 000 Erstwählerinnen und Erstwähler.

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