Mordprozess: Warum tötete ein Familienvater?

Von Von Susanne Kupke, dpa

dpa/lsw Karlsruhe. Sie war seine Traumfrau, und seine Jungs waren alles für ihn - und doch löscht ein Vater fast seine ganze Familie aus. Waren psychische Probleme die Ursache? Und welche Rolle spielte ein Geistheiler?

Mordprozess: Warum tötete ein Familienvater?

Die Fassade des Landgericht Karlsruhe. Foto: Uli Deck/dpa/Archivbild

Am Morgen des 25. Mai vergangenen Jahres scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Die Haushälterin kommt kurz vorbei. Sie macht Frühstück, schaut nach den Jungs, plaudert mit der müden Mutter auf dem Sofa. Der Vater kommt ihr vor wie immer. „Ich habe gar nichts bemerkt“, sagte die Zeugin vor dem Landgericht Karlsruhe unter Tränen. Kurz nachdem sie weg ist, löscht der Mann fast seine ganze Familie aus. Warum? Wie kam es zu dem schrecklichen Geschehen? Auf diese Fragen versucht ein Prozess Antworten zu finden, der am Freitag begann.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 61-jährigen Angeklagten vor, an jenem Mai-Tag seine 38 Jahre alte Frau und den achtjährigen Sohn umgebracht zu haben. Dessen elfjähriger Bruder wurde bei der Gewalttat in Tiefenbronn (Enzkreis) lebensgefährlich verletzt und entkam dem Tod nur knapp. Beide Opfer hatten schwere Schnitt- oder Stichverletzungen.

Der wegen Mordes angeklagte Familienvater räumte zum Prozessauftakt in einer über seine Anwältin verlesenen Erklärung die Tat ein. Erklären kann er sie nicht. „Meine Frau und die Kinder waren das Wichtigste in meinem Leben.“ Für die Bluttat, die er selbst als „brutale Gräueltat ohne Sinn und Verstand“ bezeichnet, habe es keinen Anlass gegeben. Seine sehr viel jüngere Frau, mit der er in zweiter Ehe verheiratet war, sei seine Traumfrau gewesen, mit der er Traumkinder gehabt habe. Trennungsabsichten habe es nicht gegeben.

Auch wirtschaftlich lief demnach alles rund: Aus zwei Firmen bezog der Medizin-Technik-Ingenieur ein Gehalt von monatlich insgesamt 50 000 Euro, das Wohnhaus und andere Immobilien waren abbezahlt. Man genoss gesellschaftliches Ansehen und als Firmenchef auch die Aufmerksamkeit von Landräten. Geschäftlich und privat seien er und seine Frau ein „Dream-Team“ gewesen.

Doch der sichere Rahmen half offenbar nicht gegen innere Unsicherheit: Der 61-Jährige, der sich bei den Ausführungen seiner Anwältin immer wieder Tränen von den Wangen wischte, räumte psychische Probleme ein: „Bei mir wurde eine bipolare Störung diagnostiziert.“ Das erste Mal sei er vor Jahren in psychiatrischer Behandlung gewesen - nachdem seine Frau merkte, dass er Escort-Damen aufsuchte und sich Porno-Seiten im Internet ansah. Er habe Medikamente bekommen, sei stabilisiert worden. Seine Frau habe ihm verziehen.

In den vergangenen Jahren habe er jedoch um die Sicherheit seiner Familie gefürchtet, die auch in Baden-Baden und im schweizerischen St. Gallen wohnte. Ein Psychiater, der den 61-Jährigen nach der Tat befragte, sagte vor Gericht, dass ihm der Angeklagte von einer Erkrankung wenige Wochen vor der Tat berichtet und Schlafprobleme geschildert habe. Der Mann habe sich damals erschöpft gefühlt.

Nachdem zwei Arztbesuche mit anschließender Medikamenteneinnahme keine Besserung brachten und er auch Selbstmordgedanken hatte, habe er auf Drängen der Familie seiner Frau mit ihr einen Geistheiler aufgesucht. Beim Psychiater nannte er den Besuch eine „bizarre Angelegenheit“ - zumal der Geistheiler ihm bescheinigte, dass „ein schlimmer Fluch“ auf ihm liege. Doch er sei so am Ende gewesen, dass er sich darauf eingelassen habe. Das war wenige Tage vor der Tat.

Am Abend davor, so erzählte der 61-Jährige dem Arzt, wollte er seinem Leben ein Ende bereiten. Er habe Schlaftabletten zerstampft und sie in ein Getränk getan, um sich umzubringen. Tatsächlich bekam am nächsten Morgen zunächst seine Frau Tabletten in den Kaffee, die Jungs „Vitamindrinks“ mit Beruhigungs- beziehungsweise Schlafmitteln.

Als die Haushälterin kam, lag die Ehefrau schon schläfrig auf dem Sofa, war aber ansprechbar. Nachdem die Haushälterin gegangen war, versuchte der Mann, seine Frau zu fesseln. Doch sie schrie. Was genau dann geschah, konnte der Angeklagte dem Psychiater nicht schildern. Doch aus den Erinnerungslücken tauchen Bilder auf: Das von seiner röchelnden Frau, der grausame Anblick des jüngeren Sohnes in einer Blutlache auf der Treppe und der Ruf seines flüchtenden älteren Jungen: „Papa, ich hab Dich doch lieb.“

Dem Elfjährigen gelang die Flucht. Ein Zeuge fand den schwerst verletzten Jungen auf der Straße und rief die Polizei. Das Kind war vor dem Vater in Todesangst geflüchtet, konnte aber noch Hinweise geben. Die Beamten durchsuchten daraufhin das Haus und entdeckten die Leichen der Mutter und des kleinen Bruders, und auch den Vater im Schlafzimmer.

Der hatte versucht, sich nach der Bluttat mit einem Mix aus Medikamenten und Alkohol umzubringen. „Es ist für mich kaum vorstellbar, mit der Tat weiter zu leben“, heißt es in der Erklärung. Er werde jede Entscheidung des Gerichts annehmen. „Er ist entsetzt und verzweifelt über seine Tat“, sagte seine Anwältin. Das einzige was ihm bleibe, sei: Alles zu tun, um finanziell die Folgen für seinen überlebenden Sohn und zwei Kinder aus erster Ehe abzumildern.

Für den Prozess sind drei weitere Verhandlungstage angesetzt. Ein Urteil könnte am 10. März gesprochen werden.