Fast leere Kneipen beim Deutschlandauftakt in Backnang

Das Spiel der deutschen Kicker heute Nachmittag haben kaum 20 Fans in Lokalen mitverfolgt. Die wenigen im „Merlin“ und in „Sofi’s Plan B“ lassen sich aber den Spaß am Spiel nicht vermiesen. Andere Lokale sind geschlossen. Ob das WM-Fieber nach der Niederlage noch ausbricht?

Fast leere Kneipen beim Deutschlandauftakt in Backnang

In der ersten Halbzeit spielt Deutschland erstklassig. Gabi Eisele (links) und Ingrid Feyl fiebern in „Sofi’s Plan B“ mit. Fotos: Alexander Becher

Von Florian Muhl

Backnang. „Elfer, Elfer!“, rufen aufgeregt zwei Frauen, die wie gefesselt vor dem Fernseher sitzen. Knapp 4500 Kilometer entfernt in südöstlicher Richtung hat soeben der japanische Keeper Shuichi Gonda den deutschen Kicker David Raum im Strafraum gefoult. Ingrid Feyl und Gabi Eisele sitzen gemütlich in der Backnanger Bar „Sofi’s Plan B“. Die beiden Schwestern haben sich extra für den Nachmittag verabredet, um gemeinsam den Start der deutschen Mannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft in Katar live mitzuerleben.

İlkay Gündoğan tritt an, schießt... und trifft. „Tor, Tor!“, schreien jubelnd Ingrid Feyl und Gabi Eisele und umarmen sich. Und dann singen sie: „Deutschland, Deutschland...“ Die beiden sorgen für etwas Stimmung im „Plan B“. Insgesamt zehn Frauen und Männer haben sich im Lokal versammelt, in dem vier TV-Monitore das Spiel zeigen. „Geht so, könnte besser sein“, sagt Fabio Marino, zum Fußballinteresse der Gäste befragt. Der Sohn des Backnanger Gastronoms Filippo zapft hin und wieder ein Bier. „Heute Vormittag beim Spiel Marokko gegen Kroatien war hier viel mehr los“, meint Uwe Glassl. „Da sind viele Männer von Baustellen in Arbeitsklamotten gekommen“, so der Mann der „Plan B“-Inhaberin Sofi Glassl weiter. Er hofft auf mehr Besuch am Sonntag. Das deutsche Team tritt um 20 Uhr, wenn der Backnanger Weihnachtsmarkt endet, gegen Spanien an. „...und wenn sie in die Vorrunde kommen“, ergänzt Glassl noch.

„Man könnte sich’s ja daheim angucken, aber in der Wirtschaft ist’s viel schöner“

Für Ingrid Feyl und Gabi Eisele steht das Weiterkommen außer Frage. Gegen Japan gewinnen die Deutschen 2:0, sagt Feyl, die in Backnang wohnt. Ihre Schwester aus Schwaikheim tippt auf ein 3:1. „Und am Ende werden wir Weltmeister“, sind sie sich einig. Ob sie sonst auch Fußballfans sind? „Jaaaa, 1000-prozentig“, sagt Feyl. „VfB, früher Dauerkarte, Haupttribüne, jetzt nur noch Fußballkneipe“, ergänzt die 66-Jährige. Ihre vier Jahre jüngere Schwester hat extra Gleitzeit genommen, damit sie zum Fernsehschauen kommen kann. „Man könnte sich’s ja auch daheim angucken, aber in der Wirtschaft ist’s einfach viel schöner“, sagt sie.

Auch Holger und Daniel – ihre Nachnamen wollen sie nicht nennen – haben sich freigenommen. Nur wenige Schritte waren es von der Firma Tesat hierher ins Restaurant Merlin. Jetzt sitzen sie vor ihrem Weizenbier und warten auf den Anpfiff. Vor ihnen haben fünf Fußballfans von der Firma Conti Platz genommen. Mit ihnen sind sie die Einzigen, die den Auftakt der Deutschen im „Merlin“ live miterleben wollen.

„Die Leute haben noch kein Interesse an der WM.“ Dass sich die Fußballbegeisterung insgesamt so sehr in Grenzen hält, ist für Christos Kiroglou, Inhaber des „Merlin“ und besser bekannt unter seinem Spitznamen „Taki“, keine große Überraschung. Im Vorfeld war nur ein Tisch reserviert worden. Kein Vergleich zu zurückliegenden Europa- und Weltmeisterschaften, wo die Bude voll war und jeder auf einen freien Platz auf einem Bänkle gehofft hat. „Wenn die Deutschen weiterkommen, dann kann das Interesse noch steigen“, sagt Taki.

Die erste Hürde fürs Weiterkommen nehmen die Kicker um Manuel Neuer bei ihrem ersten Spiel. Darin sind sich die beiden Tesat-Mitarbeiter sicher. Holger, der auf einen 2:0-Sieg tippt, lässt sich die Freude am Fußballschauen nicht nehmen. „Die Vergabe wurde vor vielen Jahren entschieden und war auch nicht mehr aufzuhalten. Wenn Boykott, dann hätte man das vor zehn Jahren machen müssen. Ich werde trotzdem für die Mannschaft da sein, wie immer.“ Sein Kollege, der weniger konkret ganz allgemein auf einen Sieg der Deutschen getippt hat, meint: „Wir wollen Fußball gucken und sonst nix.“

Auf die One-Love-Binde angesprochen sagt Holger, der sich ein Deutschland-Trikot übergestreift hat: „Das finde ich feige von der Fifa, dass man die nicht zulässt.“ – „Und was Rewe gemacht hat: super Aktion. Da hätte ich niemals damit gerechnet, dass eine Stunde später so eine Aktion kommt. Ein gutes Zeichen“, sagt Daniel. Nach den Aussagen des Fifa-Präsidenten Giovanni Infantino und der Entscheidung über die One-Love-Binde hatte der Lebensmitteleinzelhändler Rewe die Kooperation mit dem DFB beendet. „Ich ändere nix, indem ich mir jetzt die deutsche Mannschaft angucke“, meint Daniel.

„Die Japaner sind nicht schlecht.Das hat mein Bruder gesagt“

Vor den beiden Tesat-Mitarbeitern der Conti-Tisch. Zwei Frauen und drei Männer aus einem Büro in Backnang, die alle ihre Namen in der Zeitung nicht lesen wollen. Alle fußballbegeistert? Sie lachen. „Klar, sonst wären wir ja nicht hier.“ Sie sind Ende 30 bis Ende 50 und freuen sich auf ein gutes Essen und ein ebenso gutes Spiel. Ihre Tipps sind eindeutig: „2:1“, „3:0“. Da meint eine der beiden Frauen: „Die Japaner sind nicht schlecht.“ Die anderen schauen sie verdutzt an. Rasch fügt sie hinzu: „Das hat mein Bruder gesagt.“

Dass der Bruder am Ende gar nicht so unrecht haben soll, davon ahnen sie zu diesem Zeitpunkt noch nichts. Nachdem es in der ersten Halbzeit genügend Anlässe gibt, jubelnd vom Sitz zu springen, wenigstens für kurze Momente, kommt die Ernüchterung in der zweiten Halbzeit. Zwar gibt es immer wieder Funken der Hoffnung, aber...

Vielleicht war es eine Vorahnung oder es hat andere Gründe gehabt: Die Bierstuben „Vis à vis“ in der Sulzbacher Straße und „Kick&Rush“ in der Wilhelmstraße haben erst gar nicht geöffnet. Auch „Das Wohnzimmer“ nicht. „Wegen Krankheit“, wie auf einem Schild am Eingang zu lesen war.