Freude an Ameisenlöwen und Wildbienen

In der Coronaquarantäne muss Sybille Stefan Überstunden abfeiern und entdeckt in dieser unerwarteten Freizeit ihr Herz für ungebetene Gäste. Zahlreiche Insekten fühlen sich in dem Gewächshaus pudelwohl, sehr zum Amüsement der Sulzbacherin.

Freude an Ameisenlöwen und Wildbienen

Dank der Kontaktbeschränkung hat Sybille Stefan nun Kontakt zu ihren sechsbeinigen Mitgeschöpfen. Mittlerweile beobachtet sie gerne das Treiben an den Treibsandtrichtern der Ameisenlöwen und der sonstigen Mitbewohner. Foto: U. Gruber

Von Ute Gruber

SULZBACH AN DER MURR. Wohl dem, der in diesen Zeiten einen eigenen Garten ums Haus hat. So wie Sybille Stefan, die wegen einer Kollegin in Coronaquarantäne Überstunden abfeiern musste. In der unerwarteten Freizeit entdeckte die Stationssekretärin ihr Herz für ungebetene Gäste in ihrem Gewächshaus – Wildbienen. Man fand einen Kompromiss.

Gemüseanbau im eigenen Garten war für Sybille Stefan von klein auf selbstverständlich. „Unsere Familie hatte nicht viel Geld, wir haben fast alles selber angebaut.“ Als Älteste von vier Kindern übernahm sie früh Verantwortung, denn ihre Mutter musste arbeiten gehen. Gerne hat sie die Dode ins Stückle am Ortsrand begleitet, zu Fuß mit dem Leiterwägele. Dort hat besagte Hausfrau mit Sachverstand Obst und Gemüse für die ganze Familie angebaut. Beete anlegen, säen, gießen, jäten und zur Krönung zuletzt ernten, erfüllte das Kind mit Stolz. „Ich hatte trotz aller kritischen Umstände eine schöne Kindheit“, stellt die gelernte Arzthelferin heute fest.

Immer hat sie daher mit Freude nebenher einen Nutzgarten bewirtschaftet, selbst als sie in einer Etagenwohnung mitten in Murrhardt wohnte. Da war das Stückle dann eben außerhalb. Anfang der 1980er-Jahre kaufte sie mit ihrem Mann ein baufälliges Ausdinghaus von Siebzehnhundertnochwas an einem steilen Südhang. „Da lagen sogar noch die Skelette der letzten Hennen im alten Hühnerstall“, erinnert sie sich schmunzelnd. Viel Arbeit – aber der Traum vom eigenen Häuschen mit Garten wurde wahr.

Ganz im Geiste jener Zeit kehrte sie sich ab von Blaukorn und blankem Boden und legte stattdessen ihren ersten Biogarten an. In erster Linie ging es ihr in den 20 Jahren dort darum, natürliche Zusammenhänge für den Anbau zu nutzen, um auf dem engen Raum dennoch reichlich rückstandfreie Lebensmittel für die bald fünfköpfige Familie zu ernten und die Umwelt nicht unnötig zu belasten. „Heute sehe ich viel mehr auch die wilden Lebewesen um mich herum.“

Nach einer anschließenden 15 Jahre währenden Odyssee mit fünf Umzügen, stets mit einem Fahrzeug voller Pflanzen und einem neu angelegten Garten – „andere Frauen haben einen Schrank voller Schuhe, ich hab halt meine Pflanzen...“ – ist die inzwischen verwitwete 59-Jährige seit anderthalb Jahren wieder im Ausdinghaus.

Die 59-Jährige möchte den Garten nach langer Zeit wieder aus seinem Dornröschenschlaf erwecken.

Das war in der Zwischenzeit sehr verwahrlost, ebenso wie der Garten. Der allerdings musste hinter wurmzerfressenen Fachwerkbalken, schimmelnden Wänden, morschen Wasserleitungen und fehlender Heizung erst mal zurückstehen. Mit den geschickten Händen ihrer hilfsbereiten, inzwischen erwachsenen Kinder und Verwandten hat sich das alte Häuschen wieder zu einem wohnlichen Ort gemausert und nun wird auch der Garten aus seinem Dornröschenschlaf erweckt. „Im Moment weiß man ja nicht: Ist dies nun ein verwilderter Hausgarten oder eher eine gezähmte Wildnis?“

In der spätwinterlichen Coronazwangspause war draußen freilich noch nicht viel möglich. Aber im instandgesetzten Gewächshäuschen ließe sich ja schon mal Salat anpflanzen. „Als es dann so unerwartet warm und sonnig war, wurde es um mich herum mit einem Mal richtig geschäftig.“ Was da summt und schwirrt, sind jedoch nicht Nachbars Honigbienen. „Das sind wilde Bienen, in allen möglichen Formen. Die wollen hier ihre Nester anlegen.“ In der wunderbar lockeren, trockenen Gartenerde im heimelig warmen Luxusgewächshaus. „Halloo, so war das ja nicht gedacht, das hat mal ne Menge Geld gekostet“, schüttelt die Hobbygärtnerin den Kopf. „Aber was soll’s, ich leb ja jetzt allein, da brauch ich nicht mehr so viel Platz.“ Überhaupt ist Sybille Stefan im Lauf der Zeit viel toleranter geworden: Unkraut, das nicht direkt hindert, darf bleiben, auch so manches Wespennest; der Windschutz aus den vermoderten Fachwerkbalken bietet Insekten und Reptilien eine Wohnstätte.

Und so trifft sie mit den ungebetenen Gästen ein Gentlemen-Agreement oder eher: ein Abkommen unter Damen. Denn bei den nestbauenden Insekten handelt es sich schließlich auch um weibliche Wesen. „Ein Quadratmeter für euch, der Rest für mich.“ Dieser Kompromiss stellt sich auch für die Naturfreundin als Gewinn heraus, denn nun sitzt sie gern mal auf der Treppenstufe und schaut dem emsigen Treiben zu: „Da sind diese dicken, dunklen Brummer, die graben Gänge wie ein Kaninchen und werfen mit den Hinterbeinen die Erde nach hinten.“ Dann kommt ein Ei hinein und eine Portion gesammelter Pollen als Proviant für den Nachwuchs. Manchmal sei in einem Gang schon eine andere Biene zugange. „Die summt dann richtig laut und zornig“, amüsiert sich Sybille Stefan. Dann zeigt sie auf die vielen kleinen Sandtrichter daneben: „Unten sitzt immer ein Ameisenlöwe, den sieht man jetzt nicht. Aber wenn ein kleines Insekt in den Treibsand fällt, schnappt er zu!“ Und tatsächlich: Bei genauem Hinsehen sieht man ab und zu eine kleine Bewegung im Trichter.

Auch das Insektenhotel, das eigentlich hier nur zwischengelagert wurde, werde in der geschützten Wärme des Glashauses deutlich mehr frequentiert: „Da kommen jetzt viel mehr verschiedene Arten, als das draußen der Fall war.“ Für die fliegenden Gäste lässt sie nun immer einen Spalt offen, stellt Wasserschälchen auf, und sie beschließt, den nächsten – hoffentlich dann regulären – Urlaub zu nutzen, um die neuen Gäste besser kennenzulernen. „Dann kauf ich mir ein Bestimmungsbuch“, meint sie fröhlich mit einem Augenzwinkern, „damit ich die neuen Mitbewohner auch mit Namen ansprechen kann.“