Freude über den Ausgang der Stichwahl in Frankreich

Mitglieder der Partnerschaftskomitees in Annonay und Backnang sind erleichtert: Jetzt kann am Haus Europa weitergebaut werden.

Freude über den Ausgang der Stichwahl in Frankreich

Aufatmen in Backnang und Annonay angesichts des Wahlsiegs von Macron im zweiten Wahlgang am Sonntag: Denn Frankreichs Präsident will ein starkes und unabhängiges Europa. Foto: J. Jungbludt

Von Ingrid Knack

Backnang/Annonay. Das Abstimmungsergebnis der Annonayer bei der Richtungswahl am Sonntag weicht nur wenig von dem Ergebnis in ganz Frankreich ab: Beim zweiten Wahlgang erzielte dort Frankreichs amtierender Staatschef Emmanuel Macron 58,93 Prozent der Stimmen, die rechtspopulistische und euroskeptische Herausforderin Marine Le Pen 41,07 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 62,66 Prozent (frankreichweit erhielt Macron 58,55 Prozent, Marine Le Pen erreichte bei der Stichwahl 41,45 Prozent der Stimmen).

Inge Wagner, Vorsitzende des Vereins Freunde der Städtepartnerschaft Backnang/Annonay, war vorgestern Abend mit ihren Freunden in Annonay über Whats-App in Kontakt. Symbolisch wurde nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen mit Sektgläsern angestoßen. Inge Wagner ist erleichtert darüber, dass die Wahl sozusagen „pro Europa“ ausgegangen ist. Auch die Annonayer, mit denen sie kommunizierte, äußerten sich sinngemäß so: „Nun können wir in unseren Komitees am Haus Europa weiterbauen.“ Daniel Misery sagt auf Anfrage: „Als Vorsitzender des Partnerschaftskomitees in Annonay kann ich mit dem Ergebnis dieses zweiten Wahlgangs nur zufrieden sein. Diese Abstimmung war ein bisschen wie ein Referendum für oder gegen Europa. Die Franzosen in ihrer überwiegenden Mehrheit, und noch mehr die Annonayer, verstanden die Bedeutung dieser Wahl und gaben Emmanuel Macron fast 59 Prozent der Stimmen. Darüber freue ich mich umso mehr, als wir bald das 50-Jahr-Jubiläum des Backnanger Straßenfests feiern.“ Das Straßenfest bezeichnet er als „ein Ereignis, das es mehreren Generationen in unseren Städten ermöglicht hat, sich zu verbrüdern und familiäre Kontakte zu knüpfen“. Aus Backnang hätten ihn am Sonntag sogar Glückwunschbotschaften erreicht. „Ich habe sie nicht unbedingt verdient, weil ich nicht am Wahlkampf teilgenommen habe. Aber ich schätze sie, weil sie von der Freundschaft zeugen, die unsere beiden Städte und unsere beiden Länder verbindet.“ Reaktionen mit dem gleichen Tenor kommen von den ehemaligen Vorsitzenden Patrick Charrier und Alain Dusser. Die Annonayerin Marie Josèphe Nuel, die längere Zeit in Backnang gelebt hat, weist überdies darauf hin, dass Macron auch in der Ardèche die Nase vorn hat. Fabienne Dusser, die sich im Partnerschaftskomitee in Annonay engagiert, hat recherchiert, dass Marine Le Pen jedoch in vielen Dörfern der nördlichen Ardèche an erster Stelle stehe. Michel Thobois, langjähriger Präsident des Partnerschaftskomitees Annonay/Backnang, weiß: „Annonay hat eine lange Tradition der linken Bewegung. Dies ist in der Struktur der lokalen Industrie begründet. Die Automobilindustrie und die dazugehörenden Gewerkschaften haben eine große Rolle gespielt.“ Deshalb sei es nicht erstaunlich, dass beim ersten Wahlgang der Extremlinke Jean-Luc Mélenchon die meisten Stimmen erhalten hatte: 26,08 Prozent, gefolgt von Macron (24,76 Prozent) und Le Pen (21,12 Prozent). Für den zweiten Wahlgang hatte Mélenchon, der beim ersten Wahlgang nationalweit aber nur an die dritte Stelle gekommen war, für die Stichwahl am Sonntag folgende Wahlempfehlung gegeben: „Keine Stimme für Le Pen!“ Doch wollten viele auch nicht, wie sie sagten, zwischen Pest und Cholera wählen. Eine geringere Wahlbeteiligung als erhofft mit vielen leeren beziehungsweise ungültigen Wahlzetteln ist das Ergebnis.

In Annonay sei die Stimmung zwiespältig: Es gebe Genugtuung, dass Le Pen sich nicht durchgesetzt habe, aber auch Frustration, dass die Linke nicht zum Zuge gekommen sei, so Thobois: „Für Annonay wie für ganz Frankreich gilt, dass diese Wahl nicht unbedingt eine Entscheidung für Macron, sondern gegen Le Pen war.“ Die Annonayer fragten sich jetzt: „Was passiert mit unserem Olivier?“ Olivier Dussopt, eine markante Figur der Ardècher sozialistischen Partei und Bürgermeister von Backnangs Partnerstadt in den Jahren 2008 bis 2017, gelte in der Annonayer linken Szene nach seinem Wechsel in die Macron-Regierung als Minister für den öffentlichen Haushalt als Verräter, weiß Thobois. Andererseits seien die Annonayer aber auch allgemein stolz auf „ihren Minister“. Weiter erklärt Thobois: In Frankreich seien zwei große historische Parteien von der Bildfläche verschwunden: die Anhänger Sarkozys = Gaullisten und die Sozialisten. Dafür hätten die Extremen (die Rechte Le Pen und der Linke Mélenchon) Aufwind bekommen. Zusammen könnten sie wahrscheinlich mehr als 50 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen. In der Mitte stehe Macron mit einer „Pseudopartei“ LREM (La République en Marche), so Thobois, in welcher frühere Gaullisten und Sozialisten versuchten, friedlich zusammenzuarbeiten. „Die französischen Grünen befinden sich noch im Stadium der politischen Pubertät und sind noch keine Alternative“, versichert Thobois. Bei der Parlamentswahl Mitte Juni werde sich zeigen, ob Macron für seine Politik eine Mehrheit der Abgeordneten für sich gewinnen könne oder die Extremparteien seine Regierungsarbeit erschweren oder sogar verhindern werden. Am Abend lässt der Informations-Sender LCI (gehört zu FR1) wissen, dass Olivier Dussopt wieder ins neue Kabinett kommt.