Nina Fallier (hinten) und ihr Sohn Paul besuchen Janaina Rauch in der Frauenmilchbank. Foto: RMK, Fuchs
Winnenden. „So klein warst du auch mal, Paul.“ Nina Fallier steht auf der Frühchenstation, ihren Sohn an der Hand, mit respektvollem Abstand zu einem Inkubator und in Gedanken ganz nah bei dem winzigen Wesen, das im Perinatalzentrum des Rems-Murr-Klinikums seine ersten Lebenswochen verschläft. Warm unter dem Mützchen, satt dank Muttermilch. Genau wie ihr Paul, der hier zur Welt kam – drei Monate zu früh, am 15. November 2020.
Zum Glück für Paul und Hunderte anderer Babys war dies auch das Geburtsjahr der Frauenmilchbank am Klinikum Winnenden. Die gibt Frühgeborenen seit 2020 Starthilfe mit Spendermilch, wenn die Mutter nicht selbst stillen kann. Winnenden war damit Vorreiter in der Region, heißt es in einer Pressemitteilung des Klinikums.
Seit 2020 haben mehr als 350 Frauen ihre überschüssige Milch gespendet. Mit rund 2100 Litern Muttermilch konnten bislang 850 Babys versorgt werden, seit 2023 auch in der Rems-Murr-Klinik Schorndorf. Inzwischen bestellen auch die Kliniken in Esslingen am Neckar, Ludwigsburg, Böblingen, Mannheim und Mainz in Winnenden.
Das Ziel: „Jedes Frühchen soll Frauenmilch bekommen, bis es mindestens 1500 Gramm wiegt“, sagt Janaina Rauch, Oberärztin für Kinder- und Jugendmedizin und Ärztliche Leiterin der Frauenmilchbank. Rauch hatte die Idee dazu und engagiert sich seit fünf Jahren gemeinsam mit ihren drei Teamkolleginnen, diesen Service innerhalb des Winnender Perinatalzentrums weiter auszubauen. „Paul war damals einer unserer ersten Spendermilchempfänger.“ Und seine Mama Nina Fallier ist „aus tiefstem Herzen dankbar“ für diese Starthilfe in den ersten Wochen. Seit 2020 ist das Band zwischen der Logopädin aus Waiblingen und dem Frühchenteam in Winnenden eng geknüpft. Einmal im Jahr, am Welt-Frühgeborenentag im November, kommen ehemalige Frühchen mit ihren Eltern auf Einladung des Klinikums zusammen.
Heute ist der bald fünfjährige Paul an der ersten Adresse seines Lebens zu Besuch, darf fürs Geburtstagsfoto einmal in die Milchküche schauen und krabbelt im Spielzimmer der Kinderklinik um ein Parkhaus herum, während seine Mama im Fotoalbum blättert. „Paul Elias, 15.11.2020“ steht in goldener Schrift auf hellgrauen Buchdeckeln, dazwischen Tage und Wochen voller Entwicklung, Hoffen und Bangen. „Am 1. Januar 2021 ist der letzte Eintrag in der Neonatologie“, sagt Janaina Rauch beim Blättern. „Silvester hat er noch bei uns verbracht, an Neujahr konnte er dann auf die Normalstation verlegt werden.“
Bei Nina Fallier überwog in all den Wochen und Jahren stets das Hoffen. Das half ihr schon in der Schwangerschaft. Fünfeinhalb Monate vor dem errechneten Termin kam die damals 39-Jährige ins Rems-Murr-Klinikum. Der Muttermund war fast offen und wurde deshalb zunächst operativ wieder verschlossen. Für Nina Fallier und das Klinikteam hieß es Liegen, Warten, Wehenhemmer, Kontrollieren. „Die Ärzte und ich haben uns alle Mühe gegeben, damit Pauli noch möglichst lang drinbleibt.“ Denn Fallier war erst in der 20. Schwangerschaftswoche, als Grenze der Lebensfähigkeit gilt die 23. Woche. Paul blieb drin, bis zum 15. November 2020. Dann hielt ihn nichts mehr. Beim Kaiserschnitt standen zwei Kinderärzte im OP-Saal. 980 Gramm, aber gesund.
Pauls Mama hatte kaum Milch. Die Mutter war frustriert, das Baby hungrig. Und bekam sofort Spendermilch, zunächst über eine Magensonde, weil den Kleinsten noch der Schluckreflex fehlt. Am ersten Tag alle zwei Stunden einen Milliliter. Am zweiten Tag schon zwei Milliliter. „Der Magen von Frühchen ist so klein, da passt erst mal nur ganz wenig rein“, sagt Kinderärztin Rauch. „Je nach Reife eines Babys benötigt es täglich zwischen 10 und 400 Milliliter.“
Muttermilch lagert bei minus 32 Grad in den Kühlschränken der Winnender Milchküche, in die Paul heute mal einen kurzen Blick werfen darf. Kleine Fläschchen mit rosafarbenen Deckeln und jeweils 100 Millilitern Milch, virologisch und bakteriologisch getestet, beschriftet und gekühlt, sind sofort einsatzfähig. Nur eines steht nicht drauf: der Name der Spenderin. Aus Datenschutzgründen. Paul hat viele anonyme Fläschchen geleert. Vier Wochen alt, am 15. Dezember, konnte er erstmals selbstständig trinken. Wieder ein großer Schritt. Bis heute ist der weißblonde Bub mit den blauen Augen ein zartes Kind, aber gesund. „Pauli ist ein Sonnenschein“, sagt Nina Fallier.
Der Weltfrühchentag wird auch in diesem Jahr wieder mit einem bunten Programm im Rems-Murr-Klinikum Winnenden gefeiert. Eingeladen sind alle Frühchen-Eltern mit ihren Kindern am 17. November 2025 von 15 bis 18 Uhr in der Cafeteria „Auszeit“. pm