Für ihn sind die Kleinsten die Größten

Jürgen Frank sammelt Käfer für wissenschaftliche Zwecke – Manche sind nach ihm benannt – Aaskäfer sind sein Spezialgebiet

Etwa sechs Käfer tragen seinen Namen, zwischen 20000 und 30000 hat er bei sich zu Hause: Der Aspacher Jürgen Frank ist Insektenkundler und beschäftigt sich seit 53 Jahren mit Käfern. Sein Leben ist geprägt von den kleinen Insekten, die ihn nicht nur in fast alle Teile der Welt, sondern ab und an auch unter die Erde geführt haben. Wir haben ihn besucht.

Für ihn sind die Kleinsten die Größten

Der 78-jährige Jürgen Frank beschäftigt sich schon seit 53 Jahren mit Käfern.

Von Silke Latzel

ASPACH. Jürgen Frank sammelt Käfer. Und zwar nicht die legendären Autos, sondern die Lebewesen. Mit vielen von ihnen teilt der Aspacher sich seine Wohnung. Und bis auf die, die sich in der warmen Jahreszeit manchmal in seine vier Wände verirren, sind alle Exemplare nicht mehr am Leben, sondern in Käferkästen untergebracht. Fein säuberlich aufgereiht, mit Nadeln aus V2A-Stahl fixiert. Das ist wichtig, denn „die rosten nicht“, erklärt Frank. Wird die Nadel durch den Insektenkörper gebohrt, ist dieser nämlich noch voller Körperflüssigkeit. Und diese würde der Nadel mit der Zeit zusetzen und sie durchbrechen lassen.

Frank ist Koleopterologe, also ein Wissenschaftler „im Bereich der Lehre von Käfern“. Was vor 53 Jahren als Hobby begonnen hat, wuchs in den folgenden Jahren immer weiter. Heute ist Frank Fachmann auf seinem Gebiet, hat nicht nur unzählige Publikationen veröffentlicht, sondern arbeitet auch im Naturwissenschaftlichen Museum in Berlin. Einmal im Monat ist er für eine Woche in der Hauptstadt und stellt dort die Aaskäfer-Sammlung neu auf.

„Früher habe ich abends eine selbst gebastelte Käferschachtel mit ins Bett genommen und während meine Frau gelesen hat, habe ich mit einer Leuchtlupe die Käfer angeschaut“, erzählt er. „Da war ich noch ganz grün hinter den Ohren.“ Heute ist sein Equipment natürlich viel professioneller, er benutzt Geräte mit kompliziert klingenden Namen wie Exhaustor oder Binokular.

Käfer begleiten den gelernten Grafikdesigner schon sein ganzes Leben lang. „Während des Studiums sind wir beispielsweise ins Naturkundemuseum gegangen und haben dort Insekten gezeichnet.“ Durch Zufall trifft er dann einen Käfersammler, der ihn zum Sammeln mit in den Stuttgarter Rosensteinpark nimmt. Von ihm lernt Frank die Grundlagen. „Er hat mir auch seine Sammlung, all seine Utensilien und Käferbestimmungsbücher hinterlassen.“

Franks Standardwerk liegt in jedem Forstamt in Baden-Württemberg

Frank hat quasi „direkt vor der Haustür“ mit der Käfersuche und -bestimmung angefangen. Der Radius vergrößerte sich danach auf Baden-Württemberg und Deutschland. Seinen wissenschaftlichen Schwerpunkt hat er dann auf die Käfer Mitteleuropas gelegt, unterwegs war er aber weltweit – vom Tschad bis in die Mongolei, wo er in einer Jurte lebte und Käfer auf Aas beobachtete.

Apropos Aas: Spezialisiert hat Frank sich auf die sogenannten Aaskäfer. „Da hatte ich auch relativ schnell alle beisammen, die es in Mitteleuropa gibt, das sind so etwa zwischen 1200 und 1600 verschiedene.“ Manche leben an der Oberfläche, andere in Höhlen – diese allerdings nicht in Deutschland, sondern nur südlich vom Hauptkamm der Alpen, erzählt Frank. Seit knapp 25 Jahren zieht es ihn deshalb auch immer wieder in die Tiefe – wortwörtlich. Dann kann es sein, dass es an einer Strickleiter und einem Seil 40 Meter nach unten geht, um in einer Höhle nach Käfern zu suchen. „Meine letzte Exkursion war im vergangenen Jahr. Und ich denke, damit belasse ich es auch, ich bin jetzt 78 Jahre alt, dafür bin ich mittlerweile einfach nicht mehr gemacht“, sagt er lachend. Gemeinsam mit einem Freund hat Frank ein Buch veröffentlich, das mittlerweile als Standardwerk in jedem Forstamt im Ländle steht. Es heißt „Käfer Baden-Württembergs“. Verarbeitet sind darin zwischen 130000 und 140000 Datensätze.

Besonders faszinieren den Experten „die kleinen, detailreichen Käfer, die großen sind für mich gar nicht so interessant“. Zu Hause in Aspach hat er 20000 bis 30000 Exemplare in Kästen – und der kleinste von ihnen ist nur 0,5 Millimeter „groß“. Die für die Wissenschaft interessantesten Tiere hat Frank dem Stuttgarter Naturkundemuseum überlassen.

Sechs oder sieben Käfer sind übrigens nach dem 78-Jährigen benannt, quasi eine Hommage von seinen Kollegen, die noch unbekannte Käferarten gefunden und – so das Fachwort – beschrieben haben, den Fund also wissenschaftlich dokumentiert haben. Diese bekommen dann auch einen selbst gewählten Namen. Sieben oder acht bis dahin unbekannte Käfer hat Frank selbst beschrieben, zum Teil im Himalaja lebende. „Bei uns sind mittlerweile alle Käfer entdeckt und bekannt, da muss man schon weiter weg gehen, um noch welche zu finden, die noch nicht beschrieben sind.“

Mit Keschern und Netzen fängt Frank die Insekten. Das ist manchmal nicht ganz ohne, denn „sie stechen zwar nicht, aber manche beißen. Und andere sind auch giftig, die spritzen dem ,Angreifer‘ dann eine Flüssigkeit entgegen. Einmal hat mich einer damit direkt ins Auge getroffen und eine allergische Reaktion ausgelöst. Mein Gesicht war mit Pusteln übersät.“ Dann werden die Insekten mit Essigäther betäubt, bevor Frank sie unter dem Schultergelenk auf der rechten Körperseite mit einer Nadel durchbohrt. Kleinere Käfer werden aufgeklebt. Danach werden sie sortiert und katalogisiert, die wichtigsten Daten kommen auf einem kleinen Zettel an die Nadel und in eine Datenbank. „Das Verrückteste ist, dass man bei den Käfern auch das männliche Genital präpariert. Das wird dann neben dem jeweiligen Käfer aufbewahrt“, erzählt Frank und ergänzt lachend: „Dabei darf man keine zittrigen Hände haben.“ Sein absoluter Lieblingskäfer ist „gleichzeitig auch der schönste Käfer Baden-Württembergs“ und hat den wohlklingenden Namen Rosalia Alpina. Gleichzeitig ist er auch das Wappentier des Entomologischen Vereins, in dem Frank schon seit Jahrzehnten Ehrenmitglied ist und sich mit anderen Fachleuten über Käfer austauscht.

Für Laien ist es übrigens zwar durchaus möglich, einen gefundenen Käfer zu identifizieren, aber hat man noch keine Erfahrung, begibt man sich eher auf die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen. Denn es bleibt nichts anderes übrig, als die Bestimmungsbücher Bild für Bild anzuschauen und zu hoffen, dass der richtig Käfer bald auftaucht. So beginnt jeder Käfersammler, erzählt Frank. Das Wissen kommt im Laufe der Zeit. Allerdings, wie bei allem anderen auch, natürlich nicht von selbst: „Es ist viel angelesen. Und man spricht viel mit Kollegen. Dann kommt irgendwann die Erfahrung dazu.“

Wer sich mit dem Thema Käfer befassen will, braucht viel Geduld

Die Käfer werden zunächst unterteilt in Gruppen, dann in Familien, in Gattungen und zum Schluss in Arten – alles andere als einfach ist die Bestimmung also. Bei den häufigen Käferarten kann sie anhand eines Fotovergleichs gelingen. „Da gibt es spezielle Webseiten, auf denen man suchen kann, bis man fündig wird. Oder man schickt ein Foto des Käfers dort ein und der Betreiber der Seite hilft dann, das macht den Zugang zu dem Thema natürlich viel leichter.“ Und wer sich gern mit dem Thema Käfer befassen möchte, braucht vor allem eines: viel Geduld. „Wenn man irgendwann einmal mit bloßem Auge und ohne nachzuschlagen die Familie erkennen kann, ist man auf einem guten Weg“, so Frank. Und: Auch Kenntnisse in Pflanzenkunde sind von Vorteil. Denn die verschiedenen Käfer bevorzugen verschiedene Pflanzen. Und wenn man erkennt, welche Pflanzen wo wachsen, ist die Chance, dort bestimmte Käfer zu finden, auch ganz gut.

Für ihn sind die Kleinsten die Größten

Stolze Zahl: Zwischen 20000 und 30000 Käfer hat Jürgen Frank in Kästen in seiner Wohnung in Aspach. Die wissenschaftlich besonders interessanten Tiere hat er dem Naturkundemuseum Stuttgart überlassen. Fotos: J. Fiedler