Gefährliches Spiel mitdem Millionen-Feuer

Die „Irrweg“-Debatte über die Sanierung der Opernhauses in Stuttgart wird zum Sprengsatz

Von Nikolai B. Forstbauer

Ob Kostüme, Häppchen für die Pausen bei Vorstellungen der Oper Stuttgart und des Stuttgarter Balletts oder auch schlicht Material für die nächste von zahllosen „kleinen“ Reparaturen – auf den Gängen im Opernhaus Stuttgart türmt sich alles. Und während in anderen Theatern ganze Kulissen auf Knopfdruck und auf Schienen in großräumige Hinter- und Seitenbühnen verschwinden, ist in Stuttgart, im wohlgemerkt größten Dreispartenhaus der Welt, Handarbeit erste Pflicht der 1400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Dies macht deutlich: Generalsanierung ist für das mehr als 100 Jahre alte Opernhaus in Stuttgart nicht nur ein Wort, ist keineswegs ein Etikett, das auf ein bisschen mehr Besucherbequemlichkeit zielt. Nein – im Opernhaus wird unter Bestandsschutz gearbeitet, und wer hier mit Werkzeug anrückt, kratzt nicht an der Oberfläche.

Auch deshalb ist die dringend notwendige Generalsanierung eine Hängepartie. Nicht erst seit Jahren, nicht erst seit einem Jahrzehnt. Umso weniger, als früh klar war: Es kann nicht nur um Sanierung gehen, mindestens ebenso wichtig ist die Erweiterung des Staatstheater-Areals. 10 500 Quadratmeter Nutzfläche müssen hinzukommen – zuvorderst, um die völlig unzureichenden Arbeitsbedingungen zu verbessern und gegenwärtigen Standards zu genügen.

Und so ist auch der Begriff Großprojekt längst abgelöst – für Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist die Sanierung des Opernhauses und die Erweiterung des Staatstheater-Areals ein „Jahrhundertprojekt“. Eine Mammutaufgabe, die einen „Jahrhundertbeschluss“ verlangt. Diesen hat Kretschmann seiner Koalition aus Grünen und CDU 2018 abgerungen.

Fragen nach den Kosten? Weist man zurück. Man fürchtet den Fluch der ersten Zahl. Für diesen aber sorgen nun andere – in Höchst­geschwindigkeit und mit rüdem Tonfall. Seit Monaten trommelt der Verein Aufbruch Stuttgart für einen Stopp der Planungen, spricht von einem „Irrweg“ und ruft eine offiziell nie genannte Zahl auf: 800 Millionen Euro. Dafür, so rechnet der Verein vor, baue man lieber neu und lasse das Opernhaus innen wie außen in allen baulichen wie architektonischen Strukturen unangetastet. Das Credo: Man müsse jetzt groß denken.

An diesem Montag lädt der Verein Aufbruch Stuttgart zur Diskussion in den ­Hospitalhof in Stuttgart. Das ist an sich verdienstvoll. Irritierend aber bleibt die Schärfe des Tons, das Selbstbewusstsein von Engagierten, der Tenor, allein sie könnten Stuttgart retten.

Wichtiger aber: Wer das gefährliche Spiel mit dem Millionen-Feuer betreibt, riskiert nicht nur die endlich erreichte politische Rückendeckung für Sanierung und Erweiterung, er riskiert die Zukunft des Staatstheaters an sich. Längst laufen die Vorbereitungen für die nächsten Wettbewerb-Schritte – es geht um Städtebau, um Gestaltung, um Architektur. Vor allem aber doch und immer wieder um dies: die Betriebslogistik eines nahezu rund um die Uhr auf Sekundentakt laufenden Unternehmens.

Die „Irrweg“-Debatte kann zum ­Sprengsatz werden. Umso mehr, als sie eine unheilige Allianz mit den Wirren um einen mehrjährigen Ausweichstandort für Oper, Ballett und Werkstätten einhergeht. Glaube niemand, all dies habe keine Auswirkungen auf die künstlerische Qualität, auf das Ringen um die Besten ihres Fachs. Den Fluch der ersten Zahl? Gibt es längst. Land und Stadt sind als Träger des Staatstheaters aufgefordert, endlich einen verlässlichen Rahmen für das „Jahrhundertprojekt“ zu stecken.

nikolai.forstbauer@stuttgarter-nachrichten.de