Gegen Echokammern von Hetze und Hass

Der Landkreis reagiert mit einem neuen Projekt zur Demokratieförderung auf die zunehmende Gewalt und Intoleranz im politischen Diskurs. Im Jugendhilfeausschuss wurden jetzt die Grundzüge des Programms vorgestellt.

Gegen Echokammern von Hetze und Hass

Von Armin Fechter

WAIBLINGEN. Der Landkreis will das Internet als Anknüpfungspunkt nutzen, um ein Projekt zur Demokratieförderung und gegen Hass und Hetze aufzusetzen. Anlass ist die zunehmende Zahl an Übergriffen auf politisch Aktive und Mandatsträger. Gleichzeitig ist das Internet als Diskussionsraum stark von Hetze betroffen. Das Projekt, dessen Grundzüge Jugendamtsleiter Holger Gläss jetzt vorstellte, soll sich sowohl an Jugendliche direkt wenden als auch an ihr Umfeld. Betrieben wird es von der Fachstelle für Demokratieförderung und Rechtsextremismusprävention (Derex).

Wüste Beleidigungen, Gewaltbereitschaft, Bedrohungen und Aggressionen, die sich in Sachbeschädigungen äußern, nehmen zu – und da muss man nicht nur an die Krawalle von Stuttgart denken. Die Polizeistatistiken sprechen hier eine eindeutige Sprache. Intoleranz und Übergriffe auf Menschen wegen ihrer politischen Position oder ihrer Erscheinung nehmen zu, Menschen werden aufgrund ihrer (vermeintlichen) Herkunft, Sprache, Religion, Sexualität oder sonstiger empfundenen Andersartigkeit angegangen und bedroht. Attacken richten sich aber häufig auch gegen Ordnungskräfte und sogar Rettungsdienste.

Kommunalpolitiker dürfen nicht Fußabtreter der Frustrierten sein.

„Das möchten wir nicht hinnehmen“, sagte Landrat Richard Sigel im Kreis-Jugendhilfeausschuss und verwies auf eine Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der festgestellt hat: „Es gibt keinen Zweifel mehr: Deutschland hat ein massives Problem mit Hass und Gewalt.“ Er rief daher eindringlich auf, das Fundament, auf dem das Gebäude der Demokratie ruht, zu verteidigen. Kommunalpolitiker dürften nicht zu Fußabtretern der Frustrierten werden: „Wir müssen Zivilität verteidigen, Anstand und Vernunft zurückgewinnen; ohne beides kann Demokratie nicht gelingen.“

Dass sich die Situation derart verschärft hat, geht, wie Gläss ausführte, zu einem großen Teil auf Diskursräume im Internet zurück – das Netz präge die politische Auseinandersetzung und Meinungsbildung. Gläss sprach das Phänomen Echokammer an: Der verstärkte virtuelle Umgang mit Gleichgesinnten in sozialen Netzwerken bestätigt wie ein Echo immer wieder die eigene Weltsicht, die Blickweise verengt sich bis hin zur Entstehung einer Parallelwirklichkeit. Hass, Hetze und Beleidigungen werden in so einem Zirkel zunehmend „normal“, Falschnachrichten und einseitige Informationen können ungehindert kursieren. Eine gemeinsame Gesprächsbasis, etwa in Form des Grundgesetzes, fehlt, ebenso die Bereitschaft zum Perspektivwechsel. Kritik und Gegenrede werden nicht akzeptiert, die Gewaltbereitschaft wächst.

Solchen Verhältnissen soll das Projekt zur Demokratieförderung entgegenwirken. Um etwa der Echokammerbildung vorzubeugen, sollen Gesprächs- und Begegnungsräume geschaffen und auch Zugänge zu anderen Erlebniswelten ermöglicht werden. Medienpädagogik soll vermitteln, dass Quellen zu überprüfen sind. Dazu gehört auch der Blick auf den guten Journalismus, der weite Bevölkerungsteile erreicht. Zugleich soll die Kritikfähigkeit gestärkt und die sachliche Ebene im Diskurs von der persönlichen getrennt werden. Als zentrale Ziele formulierte Gläss, demokratische und gewaltfreie Diskussionsformen zu lernen und zu praktizieren und auch sprachlich einen gewaltfreien Umgang mit dem anderen/dem Andersdenkenden zu üben.

Ein mögliches Format stellt dabei die angedachte Debatten-Arena dar. Ähnlich der Aktion „Deutschland spricht“ – der preisgekrönten Plattform für politische Zwiegespräche von Zeit online – soll ein Begegnungsprojekt entstehen, bei dem Jugendliche aus verschiedenen Szenen miteinander in gewaltfreiem Austausch politische Thesen diskutieren. Möglich ist dabei die Kooperation mit dem Kreisjugendring, aber auch die Einbeziehung von Personen aus der Kommunalpolitik.

Anvisiert werden ferner Workshops in Schulen zu Meinungsfreiheit, Gewalt und Streit in der Demokratie. Die Frage nach fairem Diskurs soll dabei bearbeitet werden. Plan- und Rollenspiele sind möglich, ebenso verschiedene Diskussionsformate und Medien. Ein anderer Workshops soll sich an Multiplikatoren in Vereinen und Mitarbeiter in der Kinder- und Jugendarbeit richten. Sie sollen geschult werden, deeskalierend zu wirken und auf gewalthaltige Aussagen zu reagieren. In Anlehnung an die landesweite Informationskampagne „Bitte was?! Kontern gegen Fake und Hass“ wird auch über eine Social-Media-Kampagne nachgedacht.

Mit dem Projekt könne man nun, so der Landrat im Rückblick auf vergangene Debatten, „über Inhalte und Konzepte diskutieren und nicht über die Frage, wie die Fachstelle heißen soll“.

Gegen Echokammern von Hetze und Hass

Die Fachstelle Derex hat eine neue Leiterin

Seit Januar 2020 leitet Clara Berger die Fachstelle Demokratieförderung und Rechtsextremismusprävention (Derex) im Kreisjugendamt. Sie ist die Nachfolgerin von Sonja Eitel-Großhans, die sich in Elternzeit befindet, kommt aus der politischen Bildungsarbeit und war zuletzt als freie Mitarbeiterin der Landeszentrale für politische Bildung tätig.

Sie absolvierte ein Studium der freien Wissenschaften (Liberal Arts and Sciences B.A./B.Sc.) an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, wo sie im Oktober 2019 den Bachelor im Schwerpunkt Kultur- und Geschichtswissenschaften erwarb. Während dieses interdisziplinären Studiums suchte sie immer wieder die Schnittstellen der Geistes- und der Gesellschaftswissenschaften. Den Schwerpunkt des Studiums, akademische Perspektiven zu wechseln, hat sie durch ehrenamtliche Tätigkeiten, ob bei schwäbischer Tafel, im Sportverein oder Theater, sowie im Auslandsstudium vertieft.

Diese Einblicke wurden mit einem sechsmonatigen Freiwilligeneinsatz an der Deutschen Schule Budapest vertieft, wo sie vor allem in der Grundschule tätig war, eine Erfahrung, die ihr nun zum Beispiel in einem Grundschulprojekt zur Demokratieförderung mit der Partnerschaft für Demokratie Weissacher Tal und Althütte zugutekommt.

Bei der Landeszentrale für politische Bildung hat sie im Zuge der Kommunal- und Europawahl 2019 Aktionstage und Diskussionsveranstaltungen geleitet und den ersten „Kommunal-O-Mat“ koordiniert. Andere Aufgaben umfassten Themen wie Digitalisierung, Hate Speech und Bildung für nachhaltige Entwicklung.

Auf die Herausforderungen der Covid-19-Pandemie reagierte die Fachstelle mit digitalen Workshops, zum Beispiel zur Wirkweise von Verschwörungstheorien oder Hetze im Netz und wie man digital reagieren kann. Vor Ostern wurde für die Lehrkräfte im Kreis eine Sammlung digitaler Materialien zugänglich gemacht, um die Themen der Fachstelle trotz des ausfallenden Präsenzunterrichts an Schulen zu platzieren. Während der Hochphase der Pandemie unterstützte Clara Berger die Coronahotline im Kreis.