Sie erkennen den Staat nicht an, sind Anhänger von Verschwörungserzählungen und zahlen oft keine Steuern. Die Szene der Reichsbürger war zuletzt gewachsen. Die größte Vereinigung ist jetzt verboten.
Das „Königreich Deutschland“ wurde nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden 2012 in Wittenberg von Peter Fitzek ausgerufen und gilt derzeit als mitgliederstärkste Vereinigung aus dem Spektrum der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter.
Von Markus Brauer/dpa
Wenige Tage nach seinem Amtsantritt hat Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) die aktuell größte Gruppierung sogenannter Reichsbürger und Selbstverwalter verboten. Der Verein nennt sich „Königreich Deutschland“ und soll bundesweit etwa 6000 Anhänger haben.
Die Bundesanwaltschaft hat zudem vier mutmaßliche Rädelsführer der verbotenen „Reichsbürger“-Gruppe „Königreich Deutschland“ festnehmen lassen, darunter Gründer Peter Fitzek. Die Männer im Alter von 37 bis 59 Jahren sollen einem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe vorgeführt werden, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft.
Nach Angaben des Innenministeriums durchsuchen Einsatzkräfte der Polizei seit den frühen Morgenstunden von dem Verein genutzte Gebäude sowie Wohnungen führender Mitglieder in Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Vereinigung schuf einen „Gegenstaat“
„Die Mitglieder dieser Vereinigung haben einen ‚Gegenstaat‘ in unserem Land geschaffen und wirtschaftskriminelle Strukturen aufgebaut“, erklärte Dobrindt. Ihren vermeintlichen Herrschaftsanspruch untermauerten die Mitglieder der Vereinigung durch antisemitische Verschwörungserzählungen. Dieses Verhalten könne ein Rechtsstaat nicht dulden.
„Reichsbürger“ erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an. Viele von ihnen behaupten, das historische Deutsche Reich bestehe bis heute fort. „Reichsbürger“ erkennen demokratische und rechtsstaatliche Strukturen wie Parlament, Gesetze oder Gerichte nicht an. Steuern, Sozialabgaben oder Bußgelder wollen sie nicht zahlen.
Die Szene besteht aus vielen, meist kleineren Gruppierungen. Manche „Reichsbürger“ sehen sich als Staatsoberhäupter ihres eigenen kleinen Reiches.
Gründung 2012
Das „Königreich Deutschland“ wurde nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden 2012 in Wittenberg von Peter Fitzek ausgerufen und gilt derzeit als mitgliederstärkste Vereinigung aus dem Spektrum der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter. Der Verfassungsschutz rechnete der Szene insgesamt im Jahr 2023 rund 25.000 Anhänger zu.
„Wesensprägend für das ‚Königreich Deutschland, ist eine dezidierte profitorientierte Ausrichtung“, teilt das Bundesinnenministerium mit. Über Teilorganisationen würden seit Jahren unerlaubte Bank- und Versicherungsgeschäfte betrieben. Der Gründer der Vereinigung, Peter Fitzek, gebürtig aus Halle, hatte sich selbst zum Staatsoberhaupt erklärt. Er stand bereits mehrfach vor Gericht und wurde verurteilt.
Was umfasst das rechtsextremistische „Personenpotenzial“
Nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz setzt sich das rechtsextremistische Personenpotenzial zusammen aus Parteien, parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen – wie zum Beispiel Kameradschaften, Vereine und Verlage sowie einem weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen.
Das rechtsextremistische „Personenpotenzial“ ist demnach im Jahr 2022 mit 38.000 Personen gegenüber dem Jahr 2021 (33.900) um 4900 Personen angestiegen. Das Personenpotenzial der gewaltorientierten Rechtsextremisten hat sich mit rund 14.000 Personen gegenüber den Vorjahren erneut erhöht.
Was versteht man unter Rechtsextremismus?
Was verbindet die rechtsextremistische Szene?
Dem Bundesamt für Verfassungsschutz zufolge stellt der Rechtsextremismus in Deutschland kein einheitliches Phänomen dar. Rassistische, antisemitische und nationalistische Ideologieelemente treten in verschiedenen Ausprägungen auf. Eine Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit und damit einhergehend die Ablehnung des Gleichheitsprinzips der Menschen sind jedoch bei allen Rechtsextremisten festzustellen.
Nach Angaben des Landesamtes für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg verbindet die rechtsextreme Szene in Deutschland folgende ideologische Merkmale:
Wie ist die rechtsextreme Szene organisiert?
Laut Verfassungsschutz waren 2022 insgesamt 15.500 Rechtsextreme in Parteien organisiert – 3700 mehr als 2021. 8500 gehörten parteiunabhängigen Strukturen an – zum Beispiel der „Identitären Bewegung“, der „Compact Magazin GmbH“ oder dem „Institut für Staatspolitik“. 16.000 Rechtsextreme konnten keiner Organisation zugerechnet werden.
Wer sind die rechtsextremistischen Skinheads?
Ausgeprägte Gewaltbereitschaft ist ein typisches Merkmal der rechtsextremistischen Skinheadszene, die im Bund wie im Land Baden-Württemberg das Gros der gewaltbereiten Rechtsextremisten stellt.
Obwohl Skinheads in der Regel wenig Interesse an einer theoretischen politischen Auseinandersetzung haben, ist ihre Weltsicht doch von wesentlichen Elementen des Rechtsextremismus, zum Teil sogar des Nationalsozialismus (zum Beispiel Antisemitismus und Rassismus) geprägt.
Was beinhaltet der Begriff Neonazi?
Neonazismus ist nur eine von mehreren Erscheinungsformen des Rechtsextremismus. Als neonazistisch werden Personenzusammenschlüsse und Aktivitäten bezeichnet, die ein Bekenntnis zu Ideologie, Organisationen und/oder Protagonisten des historischen Nationalsozialismus erkennen lassen und in letzter Konsequenz auf die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zugunsten eines totalitären Führerstaates nach dem Vorbild des „Dritten Reiches“ ausgerichtet sind.
Was ist die „Neue Rechte“?
Im Verfassungsschutzbericht 2022 heißt es: „Unter die Bezeichnung Neue Rechte wird ein informelles Netzwerk von Gruppierungen, Einzelpersonen und Organisationen gefasst, in dem nationalkonservative bis rechtsextremistische Kräfte zusammenwirken, um anhand unterschiedlicher Strategien teilweise antiliberale und antidemokratische Positionen in Gesellschaft und Politik durchzusetzen.
Der Begriff ‚Globohomo‘ steht für „Globale Homogenisierung“, durch die ein elitärer Personenkreis die ganze Weltbevölkerung zu unterschiedslosen, perfekten Konsumenten erziehen wolle, für die Kultur und sexuelle Orientierung keine Rolle mehr spielen.“
Rechtsextremistische Gruppierungen: „Identitäre Bewegung“
Der Verfassungsschutz zählte die „Identitäre Bewegung“ 2020 etwa 575 Mitglieder. Sie stammt ursprünglich aus Frankreich und konnte sich 2012 auch in Deutschland etablieren. Nachdem die „Identitäre Bewegung“ zunächst vor allem im Internet aktiv war, organisiert sie inzwischen zahlreiche Aktionen auf der Straße.
Die „Bewegung“ verfolgt die Idee eines „Ethnopluralismus“. Dahinter steht jedoch die Vorstellung, dass jedes „Volk“ eine eigene Kultur oder Identität hätte, die sich nicht mit anderen „mischen“ sollte
Dem Verfassungsschutzbericht zufolge sind die Positionen der „Identitären“ nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie ziele darauf ab, Menschen mit außereuropäischer Herkunft von demokratischer Teilhabe aus-zuschließen und sie in einer ihre Menschenwürde verletzenden Weise zu diskriminieren. Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin darf die „Identitäre Bewegung“ als „gesichert rechtsextrem“ bezeichnet werden.
„Freie Kameradschaften“
Solche Kameradschaften entstanden in den frühen 1990er Jahren, als viele rechtsextremistische Vereine und Organisationen verboten wurden. Im Unterschied zu Vereinen, Parteien oder anderen Organisationen haben sie keine offizielle Rechtsform.
Kameradschaften sind meist regional aktiv, können aber auch bundesweit oder auch in Europa mit ähnlichen Gruppierungen vernetzt sein. Ihre Bedeutung ist laut Verfassungsschutz rückläufig.
„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“
Die Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ ist laut Verfassungsschutz sehr heterogen. Sie setzt sich aus Einzelpersonen ohne strukturelle Einbindung, Kleinst- und Kleingruppierungen, überregional agierenden Personenzusammenschlüssen und virtuellen Netzwerken zusammen.
Zu „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ zählen demnach Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen – unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht – die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen sowie den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen.
„Autonome Nationalisten“
Dieser Sammelbegriff bezeichnet eine Gruppe gewaltbereiter junger Neonazis. Die meisten von ihnen sind in „Kameradschaften“ aktiv. Sie orientieren sich in ihrem Auftreten und in ihrer Kleidung an der linksautonomen Szene, um Jugendliche anzusprechen. Auf Demonstrationen treten sie meist geschlossen in einem „Schwarzen Block“ auf.
„Völkische Siedler“
Dabei handelt es sich um extreme Rechte, die an das rassistisch-antisemitische Weltbild der „völkischen Bewegung“ anknüpfen. Sie behaupten, nur eine „rein“ deutsche Abstammung könne den Erhalt des „Volkes“ sichern und die deutsche „Volksgemeinschaft“ sei allen anderen Menschengruppen überlegen.