Studie: Lehrer werden immer häufiger Opfer von Gewalt

dpa/lsw Stuttgart. Gewalt im Klassenzimmer trifft nicht nur Schüler, sondern auch Lehrer. Und das Problem wird größer, wie eine Umfrage zeigt. Ein Betroffener versucht zu erklären, warum das so ist.

Studie: Lehrer werden immer häufiger Opfer von Gewalt

Ein Mann betritt ein Lehrerzimmer. Foto: Maurizio Gambarini/dpa/Symbolbild

Nach Einschätzung von Schulleitern in Baden-Württemberg nimmt die Zahl körperlicher Angriffe und Beleidigungen gegen Lehrer zu. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Landesverbands Bildung und Erziehung (VBE), die vor den Corona-Einschränkungen erhoben wurde. Der Anteil der Berichte über Angriffe auf Lehrer und auch Mobbing im Internet ist nach Angaben der Studie im Südwesten aber niedriger als im Bundesgebiet insgesamt.

Knapp jede vierte Schulleitung berichtet über Fälle von körperlichen Angriffen gegen Lehrer in den vergangenen fünf Jahren; 2018 waren es noch 16 Prozent. Auch bundesweit nahmen die Attacken zu. Im Vergleich zum Jahr 2018 wuchs in Baden-Württemberg außerdem die Zahl der Fälle, in denen Pädagogen beschimpft, bedroht oder gemobbt wurden. Die Beleidigungen und Bedrohungen gingen aber nicht ausschließlich von Schülern aus - auch Eltern beleidigten Lehrer, wie der Landesverbandsvorsitzende Gerhard Brand am Donnerstag in Stuttgart mitteilte.

Für die Umfrage wurden bundesweit 1302 Schulleiter befragt, darunter 251 in Baden-Württemberg. Schulleitungen teilten vermehrt mit, es falle schwerer, Lehrkräfte nach Gewaltfällen zu unterstützen. Vor zwei Jahren hatten noch 85 Prozent der Schulleiter angegeben, dass dies kein Problem sei; bei der aktuellen Umfrage war es die Hälfte der Befragten. „Wir beobachten einen doppelten Negativtrend: Während Gewaltvorfälle stark steigen, kann zugleich die dringend benötigte Unterstützung nach einem Gewaltvorfall immer seltener geleistet werden“, sagte Brand.

Zudem stieg die Zahl der Fälle von Cyber-Mobbing. Kinder trauten sich im Internet eher, anonym Lehrer zu beleidigen, erklärte Brand. „Die Schüler sind nicht per se böse, sondern steigern sich häufig da rein. Wenn man die Aussagen liest, können sie sehr bedrohlich wirken.“

Efthymios Vlahos ist Schulleiter an einer Grund und Werkrealschule in Remchingen, zwischen Karlsruhe und Pforzheim. Er hat selbst Gewalt erlebt: Ein betrunkener Zehntklässler bedrohte und verfolgte den 35-Jährigen vor einigen Jahren, nachdem Vlahos ihn gebeten hatte, das Schulgelände zu verlassen. „Ihm sind die Sicherungen durchgebrannt, mit einer Wodka-Flasche wollte er auf mich los“, erinnert er sich. Im Endeffekt ließ der Schüler von dem Rektor ab.

Da der Zehntklässler vor dem Abschluss stand, habe er nur noch das Zeugnis zugeschickt bekommen. Beide haben sich nie wieder gesehen. „Direkte Gewalt ist die Ausnahme im Schulbetrieb“, sagte Vlahos. Die Konfrontation habe ihn gelehrt, in manchen Situation besser aufzupassen.

Die aktuellen Zahlen überraschen den Schulleiter nicht. „Ich kann es teilweise beobachten, dass gewisse Tugenden wie Höflichkeit und Respekt bei einigen Schülern in Vergessenheit geraten.“ Bei manchen Schülern sei die Gewaltschwelle niedriger. Eltern spielten ebenfalls eine Rolle, wenn sie Gewalt und Beleidigungen abwiegelten.

Auch die Kriminalstatistik der Polizei in Baden-Württemberg wies 2019 eine Zunahme an Bedrohungen und Körperverletzungen gegen Lehrer und Pädagogen auf. Die Anzahl der Straftaten stieg auf 79; ein Jahr zuvor waren es 61, 2017 noch 47, wie ein Sprecher des Innenministeriums angab.

Der VBE fordert vom Kultusministerium mehr Medienbildung an den Schulen. Diese seien deswegen sowohl finanziell als auch zeitlich zu entlasten. Zudem sind Fachkräfte wie Sozialarbeiter und Psychologen aus Sicht von Verbandschef Brand dringend notwendig. Lehrer müssten mehr psychologische Hilfe bekommen. Dies sieht auch Rektor Vlahos so: „Die Schule allein kann das nicht bewältigen.“

Gewaltvorfälle müssen laut Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) thematisiert und aufgearbeitet werden. Den Betroffenen stünden 28 psychologische Beratungsstellen und unter anderem ein Kompetenzzentrum Schulpsychologie der Universität Tübingen zur Seite. „Die Ergebnisse werden wir analysieren und überprüfen, inwiefern die bestehenden Angebote modifiziert oder ausgebaut werden können“, sagte Eisenmann am Donnerstag.