Grand Prix lockte Billardstars an die Murr

Serie: Bewegende Sportmomente Dreiband-Weltelite spielte zwischen 1988 und 1996 bei den German Open in Backnang

Der damalige Oberbürgermeister Hannes Rieckhoff bezeichnete Backnang als „Mekka des Billardsports“, eine deutsche Hochburg war es auf alle Fälle. Das lag an den German Open mit dem Grand Prix, der zwischen 1988 und 1996 die Dreiband-Weltspitze in die Stadt lockte. Rekordsieger Torbjörn Blomdahl wurde hier sogar heimisch, mit Raymond Ceulemans hoffte der Beste aller Zeiten vergeblich auf einen Sieg an der Murr.

Grand Prix lockte Billardstars an die Murr

Traf die Kugeln bei den German Open oft wie gewollt: Torbjörn Blomdahl, für den Backnang zur Wahlheimat wurde.Archivfotos: J. Fiedler/M. Melchert

Von Steffen Grün

Paris, Las Vegas, Berlin, Backnang: Das beschauliche Städtchen an der Murr in einer Reihe mit der Metropole an der Seine, dem Zockerparadies in der Wüste Nevadas und der damals noch durch die Mauer geteilten, heutigen deutschen Hauptstadt – in Sachen Dreiband-Billard wurde dies 1988 zur Realität. Backnang bekam zwar keinen Weltcup, aber einen Grand Prix, zu dem auch alle Topspieler kamen. Die Premiere fand am 2. und 3. April im Bürgerhaus statt, der Initiator der Veranstaltung war Hans Mayer: Der in der Gastronomie und im Automatengeschäft tätige Unternehmer hatte zwei Jahre zuvor seine Leidenschaft fürs Spiel mit Queue und Kugeln entwickelt, als das deutsche Ass Dieter Müller bei der Eröffnung des Billard-Cafés in Backnang sein Können zeigte.

Fortan wollte Mayer Billard vom Ruch des Kneipensports befreien, der in Filmen suggeriert wurde. Die Stars der Dreiband- Szene hatten keine Kippe im Mundwinkel und hielten kein Bier in der einen Hand, während sie mit der anderen zu den Stößen ausholten. Vielmehr präsentierten sie sich dort, wo sonst die Kulturfreunde auf ihre Kosten kommen, im feinen Zwirn sowie mit eleganter Fliege um den Hals. Das Problem: Die Zuschauerzahlen im Bürgerhaus blieben in den ersten zwei Jahren, vor allem 1989, hinter den Erwartungen zurück. Vom Etat von 95000 Mark legte Mayer jeweils über die Hälfte selbst drauf.

Hadernde Legende: Zwischen Backnang und Raymond Ceulemans entwickelte sich von Anfang an eine Art Hassliebe. Das begann bereits, ehe der Belgier 1988 zur ersten Partie antrat. Der damals 50-Jährige, der die Disziplin in den Sechzigern, Siebzigern und frühen Achtzigern dominiert und WM- und EM-Titel wie andere Leute Briefmarken gesammelt hatte, parkte seinen Daimler in der Oberen Bahnhofstraße und ging zur Pressekonferenz. Diese Zeit nutzte ein Dieb, um die rechte hintere Seitenscheibe einzuschlagen und eine Lederjacke im Wert von etwa 500 Mark zu stehlen. Die Pechsträhne der Billardlegende, die im Juni letzten Jahres mit 80 die „Trophy of Legends“ gewann, setzte sich beim ersten Dreiband-Grand-Prix in Backnang fort. Als es im Endspiel der German Open zum Duell der Generationen mit dem damals 25-jährigen, aufstrebenden Torbjörn Blomdahl kam, vergab der Altmeister einen Matchball. Sein schwedischer Rivale machte den Sack mit der ersten Möglichkeit zu. Für Ceulemans blieb die Stadt an der Murr sportlich ein heikles Pflaster. Er war dem Sieg ein paar Mal nahe, mehr als ein weiterer zweiter Platz (1989) und zwei dritte Ränge (1991, 1996) sprangen jedoch nicht heraus. Dennoch reiste der Belgier immer wieder gerne an, nannte Backnang „eine typische Kleinstadt, richtig gemütlich. Hier herrscht Ruhe, trotzdem ist Bewegung drin. Ich fühle mich hier wohl.“ Er versprach 1996, so lange zu kommen, bis es mit dem Sieg geklappt hat – nicht wissend, dass es das letzte Turnier sein sollte.

Die Auszeit und der Durchbruch: 1990 gab es keinen Grand Prix in Backnang, stattdessen in Landau in der Pfalz. Die Defizite der Vorjahre waren der Hauptgrund. Die Bemühungen, Backnang zur Billardhochburg zu machen, stellte Mayer trotzdem nicht ein. Er veranstaltete die offenen Stadtmeisterschaften im Poolbillard und wagte 1991 einen breiter angelegten Anlauf. Nun waren die German Open nur der Höhepunkt der einwöchigen Backnanger Billardtage, die verschiedene Turniere – unter anderem für Jugendliche und für behinderte Menschen – beinhalteten. Der Etat wuchs auf 150000 Mark, nun kamen auch die Zuschauer auf den Geschmack. „Der Durchbruch ist geschafft“, jubelten der damalige Backnanger Oberbürgermeister Hannes Rieckhoff und Werner Bayer als Präsident der Billiards-World-Cup-Association.

Also wurde das Konzept in den Jahren darauf noch verfeinert, zum Beispiel waren 1992 an neun Tagen 1528 Spieler aus aller Welt dabei. Im Hotel Südtor, in dem Hans Mayer ein hochmodernes Billardzentrum etabliert hatte, das später in den Schweizerbau in der Innenstadt umzog, nahmen 1995 an den Schulstadtmeisterschaften 200 Talente in 50 Teams und an 16 Tischen teil. Neben dem Dreiband-Grand-Prix mit den Stars der Szene gab’s auch Snooker- und Poolwettbewerbe, zudem zeigten Trickstoßgrößen ihre Show.

Der Rekordsieger und Wahlbacknanger: 1991 sicherte sich Torbjörn Blomdahl den zweiten Sieg im Bürgerhaus und bekam dafür 8000 des auf 36000 Mark dotierten Preisgelds. Mit seinen Erfolgen 1992 und 1995 gewann der Schwede die Hälfte aller Turniere an der Murr, bei den restlichen vier Grand Prix stand er stets auf dem Podest. In Erinnerung bleibt dem 56-Jährigen, der nach wie vor zur Weltspitze zählt, aber vor allem sein erster Triumph: „Das Finale 1988 kann ich schwer vergessen. Ich gewann sehr knapp und übernahm dadurch zum ersten Mal den ersten Platz in der Weltrangliste.“ Er verteidigte ihn zehn Jahre, doch die German Open haben für den fünfmaligen Weltmeister und elfmaligen Gesamt-Weltcupsieger, der nach Ceulemans als zweitbester Dreiband-Billardspieler aller Zeiten gilt, noch aus einem anderen Grund einen enormen Stellenwert. „Sie haben für immer mein Leben verändert“, sagt der in Backnang heimisch gewordene Star: „Ohne das Turnier würde ich ganz woanders wohnen und meine zwei lieben Söhne nicht haben.“ Wegen der Geburt des älteren Sprösslings fehlte Blomdahl 1996 bei der Eröffnungsfeier, beim Turnier wurde er Zweiter.

Das endgültige Aus: 1997 sah sich Hans Mayer nicht mehr in der Lage, die finanziellen Mittel fürs Turnier selbst aufzubringen. Die Stadt war nicht bereit, ihm entscheidend unter die Arme zu greifen, die Absage war die Folge. Der plötzliche Tod des Unternehmers mit nur 61 Jahren nach kurzer Krankheit im Dezember 1998 traf auch Torbjörn Blomdahl hart. „Hans war immer sehr aktiv und hat Billard durch seine Art immer unterstützt. Er hat mir auch oft beim Training zugeschaut und ab und zu erwähnt: ,Wer übt, fällt den Kollegen in den Rücken.‘ Ohne ihn hätte es das Turnier nicht gegeben. Ich danke ihm sehr für alles, was er für das Billard tat.“

Grand Prix lockte Billardstars an die Murr

Die Siegerehrung 1995 (von links): Der damalige Oberbürgermeister Jürgen Schmidt, Sang Chun Lee, Torbjörn Blomdahl, Semih Sayginer und Raymond Ceulemans, der dem Sieger gratuliert.

Grand Prix lockte Billardstars an die Murr

„Billard ist eine Sportart frei von Doping und Skandalen.“

Hans Mayer, 1998 verstorbener Macher der German Open

Hintergrund
Die Sieger, die Platzierten und die Regeln in Kürze

Der Rekordsieger in Backnang ist Torbjörn Blomdahl mit vier Erfolgen. Zweimal gewann Dick Jaspers, der auch die aktuelle Weltrangliste anführt. Ohnehin zählen viele Stars von damals noch heute zur Weltelite.

Ein Überblick über die Sieger und Platzierten beim Grand Prix in Backnang – 1988: 1. Torbjörn Blomdahl (Schweden), 2. Raymond Ceulemans (Belgien), 3. Nobuaki Kobayashi (Japan). – 1989: 1. Junichi Komori (Japan), 2. Ceulemans , 3. Blomdahl. – 1991: 1. Blomdahl, 2. Ludo Dielis (Belgien), 3. Ceulemans. – 1992: 1. Blomdahl, 2. Marco Zanetti (Italien), 3. Dielis. – 1993: 1. Dick Jaspers (Niederlande), 2. Sang Chun Lee (USA), 3. Blomdahl. – 1994: 1. Eddy Merckx (Belgien), 2. Jaspers, 3. Blomdahl. – 1995: 1. Blomdahl, 2. Lee, 3. Semih Sayginer (Türkei). – 1996: 1. Jaspers, 2. Blomdahl, 3. Ceulemans.

Dreiband ist eine Karambolage-Disziplin. Jeder Akteur spielt über die gesamte Partie auf dem 2,84 mal 1,42 Meter großen Tisch mit dem eigenen Spielball und muss versuchen, ihn so zu stoßen, dass er die beiden anderen Kugeln berührt. Vor der Karambolage mit der dritten Kugel muss der eigene Ball mindestens dreimal eine Bande berühren. Klappt es, gibt es einen Punkt und der Spieler darf seine Serie fortsetzen – wenn nicht, ist der Rivale an der Reihe. Zu Zeiten der German Open in Backnang bestand eine Partie aus zwei oder drei Gewinnsätzen auf jeweils 15 Punkte.