Großes Loch für einen neuen Speicher

Lagerkapazität für Flüssigdünger auf der Biovergärungsanlage Neuschöntal wird erweitert – Mehr Methangas wird abgeschöpft

Ein kreisrundes Loch im Boden, über 40 Meter im Durchmesser und teilweise gut drei Meter tief, ist bei der Biovergärungsanlage Neuschöntal entstanden. Die Abfallwirtschaft Rems-Murr (AWRM) will dort einen neuen Speicher für Flüssigdünger errichten. Zudem wird die Anlage mit einem neuen Gasspeicher und leistungsfähigeren Blockheizkraftwerken ausgestattet. Das innovative Vorhaben kostet rund 5,8 Millionen Euro.

Großes Loch für einen neuen Speicher

Bei der Biovergärungsanlage Neuschöntal haben die Erdarbeiten für einen großen neuen Flüssigdüngerspeicher begonnen (links). Der Behälter wird größer als die beiden bestehenden Speicher. Das Vergärungswerk selbst wird mit neuen leistungsstärkeren Blockheizkraftwerken ausgestattet, die eine flexible Stromerzeugung ermöglichen und Wärme fürs städtische Klärwerk liefern. Fotos: A. Becher

Von Armin Fechter

BACKNANG. Das Projekt in Neuschöntal hat Modellcharakter. Es schöpft praktisch das gesamte bei der Vergärung entstehende klimaschädliche Methangas ab und wird deshalb vom Land Baden-Württemberg, genauer: vom Umweltministerium, finanziell gefördert.

Auslöser der Millioneninvestition war allerdings nicht das Land, sondern der Bund mit seiner neuen Düngeverordnung. Danach darf der nährstoffreiche Flüssigdünger, der in der Biovergärungsanlage entsteht und zu 100 Prozent an die Landwirtschaft abgegeben wird, ab 2020 nur noch innerhalb eines eingeschränkten Zeitraums auf den Feldern ausgebracht werden.

Für den Betrieb der Vergärungsanlage bedeutet dies, wie Lutz Bühle, Leiter der Abteilung Technik bei der AWRM, erläutert, dass die Lagerkapazitäten kräftig ausgeweitet müssen. Die Speicher sollen künftig die gesamten flüssigen Gärreste fassen, die in der Zeit entstehen, in der die Ausbringung in der Landwirtschaft gesperrt ist – das sind neun Monate vom Sommer bis zum folgenden Frühjahr.

Diese Anforderung ist mit den beiden vorhanden Behältern, die zusammen 7000 Kubikmeter fassen, nicht zu bewältigen. Der dritte Speicher, der deshalb auf einer an das bisherige Betriebsgelände angrenzenden Fläche – bislang Ackerland – gebaut wird, bietet eine Kapazität von 10500 Kubikmetern.

In den vergangenen Tagen wurden die Vorbereitungen getroffen und die Baugrube ausgehoben, weil der Behälter zum Teil unter dem Bodenniveau liegen soll. Während dieser Arbeiten herrschte Hochbetrieb auf der Baustelle: Zeitweise fuhren, so Bühle, Lastwagen mit der Erde im Dreiminutentakt nach Steinbach. Dort wird das Material auf der Erddeponie zwischengelagert. Es soll bei der derzeit laufenden Oberflächenabdichtung des Deponie-Altteils als Rekultivierungsboden eingebaut werden. Zurzeit steht allerdings noch die Tauglichkeitsprüfung für die Erde aus.

Über dem neuen, rund zehn Meter hohen Flüssigdüngerspeicher, der einen Außendurchmesser von 42 Metern hat, soll ein weiterer Behälter errichtet werden: ein zwölf Meter hoher kuppelförmiger Biogasspeicher. Er hat ein Volumen von 4700 Kubikmetern und soll eine zweifache Funktion erfüllen. Zum einen dient er als Sicherung, wenn die Blockheizkraftwerke beispielsweise wegen Wartungsarbeiten einmal stillstehen, um das in den Vergärungsreaktoren weiterhin entstehende Biogas aufzunehmen. Zum anderen ermöglicht er den Einstieg in die flexible Stromerzeugung. Bislang, so Bühle, wird das Vergärungsgas in konstanter Grundlast in den Blockheizkraftwerken verbrannt, um Strom und Wärme zu erzeugen. Mit den beiden neuen BHKWs, die jetzt angeschafft werden sollen und die 2,8 statt der bisherigen 1,6 Megawatt leisten, ist es möglich, bedarfsorientiert mehr Strom zu erzeugen – weil, wie der promovierte Experte für energetische Biomassenutzung erklärt, der Energieträger Biogas gespeichert und abgerufen werden kann, wenn die Nachfrage steigt. So trägt die Anlage in Neuschöntal dazu bei, den künftigen Energiemix zu bestreiten und einen Ausgleich zu schaffen, wenn etwa die Stromerzeugung aus Windkraft oder Solarzellen schwächelt. Das bringt der AWRM zusätzlich zum regulären Stromverkauf noch eine Flexibilitätsprämie ein.

Land gibt Fördergelder

für innovatives Verfahren

Neuland betritt die AWRM noch in einem anderen Punkt: Die Speicherung der Gärreste erlaubt es künftig auch, deren Emissionen zu verwerten. Insbesondere könne mehr Methangas abgeschöpft und als Verbrennungsluft in den Blockheizkraftwerken nutzbar gemacht werden als bisher, erklärt Bühle. Das Gasgemisch, das in den Vergärungsreaktoren entsteht, hat einen Methangehalt von über 50 Prozent. Die Gärreste im Speicher gasen aber weiter aus. Der Methangehalt liegt nun zwar nur noch bei ein bis zwei Prozent. Weil der Stoff aber dem Klima sehr viel stärker schadet als etwa CO2, soll er künftig abgesaugt und verbrannt werden, statt ihn in die Luft entweichen zu lassen. Für diesen innovativen Ansatz, mit dem auch das restliche Potenzial vollständig genutzt wird, erhält die AWRM Fördergelder vom Land.

Die Kosten für das gesamte Bauvorhaben liegen bei 5,8 Millionen Euro und damit um gut 20 Prozent über den Berechnungen. Diese Kröte musste die AWRM aber schlucken, weil sie um die Investition nicht herumkommt. Bühle: „Die Gesetzgebung steht.“

Bis zum Ende des ersten Quartals 2019 soll die Bodenplatte für den neuen Flüssigdüngerspeicher fertig sein, bis zum Sommer der Behälter selbst. Danach muss noch der Gasspeicher aufgesetzt und die verfahrenstechnische Anbindung hergestellt werden. Nach den Planungen rechnet die AWRM mit einer Fertigstellung bis Ende Oktober 2019. Der künftige Behälter soll „eingegrünt“ werden, er überragt aber die anderen Gebäude und ist fast doppelt so hoch wie die bestehenden Speicher. Zum Ausgleich für den Eingriff in die Landschaft sollen auf angrenzenden Flächen bestimmte Wiesentypen eingesät und Bäume und Sträucher gepflanzt werden. Ferner wurde eine Trockenmauer am Ebersberg saniert.

Großes Loch für einen neuen Speicher

Haben die Baustelle in Neuschöntal im Blick (von links): AWRM-Technikleiter Lutz Bühle, Projektleiter Daniel Arana und Anlagenleiter Albrecht Schick.

Info
Multiwertstoff Biomüll

In der Biovergärungsanlage Neuschöntal wird der Biomüll aus dem gesamten Rems-Murr-Kreis verarbeitet – insgesamt 36000 Tonnen im Jahr. Hinzu kommt holziges Strukturmaterial von den Deponien, das den Vergärungsprozess verbessert, und Reste aus der landwirtschaftlichen Produktion als ertragreiche Biomasse (aber keine Gülle) – zusammen weitere 2000 bis 3000 Tonnen.

Mit den in den Vergärungsreaktoren entstehenden Gasen werden zwei Blockheizkraftwerke betrieben. Sie liefern 10,5 Millionen Kilowattstunden Strom, von denen zehn Prozent auf der Anlage selbst verbraucht werden, und ebenso viel Wärme. Ein Teil davon wird in der benachbarten Klärschlammtrocknungsanlage der Stadt Backnang genutzt. Ferner entstehen im Jahr 24000 Tonnen Flüssigdünger, der an die Landwirtschaft abgegeben wird, und 8000 Tonnen Kompost.