Gutachten sieht Möglichkeit für Kopftuchverbot an Schulen

dpa Berlin. Immer wieder wird in Deutschland über ein mögliches Kopftuchverbot an Schulen diskutiert. Ein Rechtsgutachten kommt jetzt zu dem Schluss: Ein Verbot zumindest für Mädchen bis 14 wäre kein Verstoß gegen das Grundgesetz.

Gutachten sieht Möglichkeit für Kopftuchverbot an Schulen

Die Debatte über ein Kopftuchverbot war in Deutschland neu entbrannt, nachdem Österreichs Parlament Mitte Mai ein solches Verbot an Grundschulen beschlossen hatte. Foto: Wolfram Kastl

Der Tübinger Verfassungsrechtler Martin Nettesheim hält ein Kopftuchverbot für Mädchen an Schulen bis zu einem bestimmten Alter rechtlich für möglich.

Im Auftrag der Frauenrechte-Organisation Terre des Femmes hat der Jurist ein Gutachten erstellt, das in Berlin vorgestellt wurde. Ein Kopftuchverbot würde demnach nicht im Konflikt stehen mit der Religionsfreiheit im Grundgesetz und auch nicht mit dem grundgesetzlich geschützten Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder.

Der Deutsche Lehrerverband begrüßte das Gutachten. Skeptisch zeigte sich dagegen der Verband Bildung und Erziehung.

Ein Kopftuchverbot an Schulen bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres ließe sich rechtfertigen und wäre verhältnismäßig, schreibt der Verfassungsrechtler. Das Kopftuch sei ständig sichtbarer Ausweis der Religionszugehörigkeit. „Derartige Bekleidung“ führe zu Segmentierung und Trennung, lasse gerade bei jungen Menschen Vorstellungen von Unterschiedlichkeit aufkommen und führe gegebenenfalls auch zur sozialen Ausgrenzung und zur Diskriminierung. In der Schule geht es seiner Ansicht nach auch um „Erziehung zur Freiheit“.

Eine Beschneidung der Religionsfreiheit sähe er bei einem Kopftuchverbot für Mädchen bis 14 Jahren nicht. Nettesheim verweist auf die sogenannte religiöse Unmündigkeit. Kinder bis zu einem bestimmten Alter hätten noch nicht die Reife, „in Glaubens- und Weltanschauungsfragen selbstbestimmt entscheiden zu können“. Auch das Recht der Eltern, für ihre Kinder entscheiden zu dürfen, sieht er nicht verletzt. Denn es gehe beim Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder nicht um den Willen von Vater oder Mutter, sondern um die Interessen des Kindes.

Terre des Femmes fühlt sich durch das Gutachten bestätigt. Dadurch werde nun erstmalig festgestellt, dass ein solches Verbot mit dem Grundgesetz vereinbar sei, sagte Bundesgeschäftsführerin Christa Stolle am Donnerstag in Berlin. Die Politik dürfe das Thema nicht den Rechtspopulisten überlassen und müsse endlich Einsatz für den Schutz aller Mädchen zeigen.

Jürgen Dieter Böhm, Vorsitzender des Verbands Deutscher Realschullehrer (VDR) und Vizepräsident des Deutschen Lehrerverbands, sagte am Donnerstag, die Aufgabe von Bildung bestehe darin, junge Menschen zu selbstbestimmten aufgeklärten Persönlichkeiten zu erziehen. Dafür sei ein Verbot oder das Nichttragen eines Kinderkopftuchs ein wichtiges Element. „Bildung zu einem demokratischen Staatsbürger beginnt eben auch damit, dass ich nicht künstliche Unterschiede schaffe“.

Um wie viele Mädchen mit Kopftuch es eigentlich geht, dazu gibt es keine Zahlen. Islamverbände hatten die Diskussion als „Islambashing“ und als „Symboldebatte“ bezeichnet. Es handele sich um Fälle im „Promillebereich“. Zudem wiesen sie daraufhin, dass die religiöse Pflicht für das Tragen eines Kopftuchs erst „ab der religiösen Mündigkeit, also ab der Pubertät“ gelte. Böhm sieht dagegen eine Zunahme des Phänomens in den vergangenen Jahren und „würde es nicht runterreden“. Es gebe immer wieder Ausgrenzung in einzelnen Klassen aufgrund des Kopftuchs. Das zeige sich beim Schwimmen oder auch Klassenfahrten.

Der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, zeigte sich skeptisch. Zwar könne man die Argumente für ein Kopftuchverbot nachvollziehen, aber die Forderung müsse mit allen Konsequenzen zu Ende gedacht werden, „damit Schulen und Lehrkräfte nicht wie so oft im Regen stehen gelassen werden“, mahnte er am Donnerstag. So müsse vorher geklärt werden, welche Konsequenzen Lehrer ziehen sollten, wenn ein Mädchen trotzdem mit Kopftuch erscheint und die Eltern nicht einlenken.

Die Debatte über ein Kopftuchverbot war in Deutschland neu entbrannt, nachdem Österreichs Parlament Mitte Mai ein solches Verbot an Grundschulen beschlossen hatte. Eine Mehrheit der Bevölkerung (57 Prozent) hatte sich in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für ein Verbot an Grundschulen auch in Deutschland ausgesprochen. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), zeigte sich offen dafür, ein Verbot zu prüfen. Mehrere Unionsabgeordnete haben zudem ebenfalls ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das im Herbst vorliegen soll.