„Habe diese Herausforderung gesucht“

Das Interview: Kurz vor dem Wechsel nach Stuttgart blickt Oberbürgermeister Frank Nopper auf seine Zeit in Backnang zurück und erklärt, warum er sich mit knapp 60 Jahren den stressigen Job in der Landeshauptstadt antut.

„Habe diese Herausforderung gesucht“

Seit April 2002 ist Frank Nopper Hausherr im historischen Rathaus, Ende Januar wird er sein Büro räumen. Fotos: A. Becher

Von Kornelius Fritz

Herr Nopper, nach knapp 19 Jahren werden Sie Ihre Zelte in Backnang abbrechen. Haben Sie den Mietvertrag für Ihr Haus in Maubach schon gekündigt?

Nein, das mache ich erst dann, wenn ich weiß, wohin wir in Stuttgart ziehen werden. Wir peilen den Umzug so bald wie möglich im Jahr 2021 an. Mal sehen, wann das klappt.

Wissen Sie denn schon, wann Sie Ihr Amt in Stuttgart antreten werden? Gegen das Ergebnis der OB-Wahl gibt es ja noch eine ganze Reihe von Einsprüchen.

Nach meiner Kenntnis gibt es sieben Einsprüche, aber ich gehe davon aus, dass der Amtsantritt am 4. Februar sein wird. Sollte es überdies noch eine Klage geben, wäre ich zunächst nur Amtsverweser. Das würde bedeuten, dass ich zwar den Titel Oberbürgermeister tragen dürfte, aber im Gemeinderat nicht stimmberechtigt wäre.

Eine große Verabschiedung in Backnang wird wegen Corona wohl nicht möglich sein. Auch Ihren Wahlsieg mussten Sie ohne Party feiern und ein letzter großer Auftritt beim Jubiläums-Straßenfest blieb Ihnen ebenfalls versagt. Hadern Sie damit, dass Ihr Wechsel mitten in die Pandemie fällt?

Nein, ich hadere nicht und nehme es so, wie’s kommt. Vielleicht haben wir ja Glück und können die Verabschiedung etwas später nachholen. Ich hätte auch keine Bedenken, eine Verabschiedung erst dann zu machen, wenn ich in Stuttgart schon im Amt bin.

In den vergangenen Monaten hat man in Backnang immer wieder den Satz gehört: „Warum tut er sich das an?“ Sie werden im Mai 60. Wären Sie hiergeblieben, hätten Sie in fünf Jahren als ungekrönter König von Backnang abtreten und dann das Leben genießen können. Stattdessen mindestens acht weitere Jahre mit noch mehr Stress und einem Gemeinderat, der Ihnen das Leben schwer machen wird. Haben Sie keine Angst, dass Sie Ihre Entscheidung bereuen werden?

Ich selbst habe diesen Satz auch unzählige Male gehört, aber ich bin zuversichtlich, dass alles gut laufen wird. Ich habe diese Herausforderung gesucht und bin im Leben noch nie den Weg des geringsten Widerstands gegangen. Unabhängig davon, dass Stuttgart meine Geburts- und Heimatstadt ist, ist dies das höchste kommunale Amt, das man in Baden-Württemberg erreichen kann. Und es bietet auch ganz besondere Gestaltungsmöglichkeiten. Das hat einen sehr großen Reiz, bei allen Hürden, die mir durchaus bewusst sind.

2020 war nicht nur wegen Ihres Wahlsiegs in Stuttgart ein besonderes Jahr für Sie. Im April wurden Sie positiv auf Covid-19 getestet, hatten zum Glück einen milden Verlauf. Denken Sie manchmal darüber nach, dass es auch ganz anders hätte ausgehen können – für Sie selbst, aber auch für andere, die Sie hätten anstecken können?

Nein, mit solchen Dingen halte ich mich nicht auf. Bei mir gab es fast keine Symptome, aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht war es eine glückliche Fügung. Ich gehe auch davon aus, dass sich niemand bei mir angesteckt hat.

Sie haben als Oberbürgermeister immer die Nähe zu den Bürgern gesucht, waren als leidenschaftlicher Händeschüttler bekannt. Nun mussten Sie plötzlich Distanz halten, auch im Wahlkampf. Glauben Sie, dass es die Nähe, wie Sie es früher praktiziert haben, künftig wieder geben wird?

Ja, sicher. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir die nächsten Jahre unter Coronabedingungen leben müssen. Wir bauen ja jetzt Impfzentren auf und treffen Vorkehrungen, um wieder zur Normalität zurückkehren zu können. Ich habe übrigens auch in diesem Wahlkampf die Nähe zu den Bürgern gesucht. Das war durch Corona etwas eingeschränkt, aber die Nähe war trotzdem da. An meinem Stil der Bürgernähe will ich jedenfalls nichts ändern. Ich habe auch den Eindruck, dass die Erwartung an die Bürgernähe des Oberbürgermeisters in Stuttgart sehr ähnlich ist wie in Backnang.

Ist das in einer Großstadt überhaupt möglich?

Natürlich können Sie das in einer Stadt mit über 600000 Einwohnern nicht genauso praktizieren wie in einer Stadt mit knapp 40000 Einwohnern. Aber ich will es zumindest versuchen. Dazu gehört für mich, dass man bei Veranstaltungen zu den Leuten geht und dass man in regelmäßigen Abständen Bürgersprechstunden macht, um am Puls der Stadt zu sein. Das muss man in einer Großstadt sicher anders organisieren, aber man sollte es trotzdem tun. Auch der Oberbürgermeister einer Großstadt sollte sich nicht im Rathaus verschanzen.

Lassen Sie uns nach Backnang blicken: In den 18 Jahren, in denen Sie hier waren, hat sich in der Stadt eine ganze Menge verändert. Worauf sind Sie ganz besonders stolz?

Worauf bin ich besonders stolz? Zum Beispiel darauf, dass wir das Sport- und Familienbad umsetzen konnten. Da gab es viele Unkenrufe, auch aus der Verwaltung: „Das schafft niemand. Das haben wir schon so lange probiert.“ Dass wir die S4 verwirklicht haben, war sicher auch ein ganz großer Schritt, oder dass das Industrie- und Gewerbegebiet Lerchenäcker so erfolgreich aufgesiedelt wurde. Stolz bin ich aber auch auf das heutige Backnang-Bewusstsein. Ich kam damals in eine Stadt, in der eine depressive Stimmung vorherrschte. Die lag fast wie Mehltau über der Stadt aufgrund verschiedener Entwicklungen, etwa durch den Niedergang der Traditionsindustrien. Diese Depression ist nach und nach einem angemessenen städtischen Selbstbewusstsein gewichen.

Sie haben dieses Selbstbewusstsein in Ihren Reden oft beschworen und dabei manchmal ganz schön dick aufgetragen. Steckte hinter den vielen Superlativen also eine Strategie?

Ja, natürlich. Um Selbstbewusstsein zu erzeugen, muss man auch manchmal etwas zuspitzen. Es entsprach aber auch meiner Überzeugung.

In Ihrer Abschiedsrede im Kreistag haben Sie die Entscheidung, das Backnanger Krankenhaus zu schließen, als „die schwerste Niederlage in meinem bisherigen politischen Leben“ bezeichnet. Wenn Sie heute kurz vor Ihrem Abschied schon mal die Backnanger OB-Brille abnehmen: War die Entscheidung im Endeffekt nicht trotzdem richtig?

Nein, das glaube ich nicht. Falsch wäre gewesen, alles unverändert zu lassen, das hat aber auch niemand gewollt. Ich hätte mir sehr gute Lösungen vorstellen können, die anders und vielleicht auch wirtschaftlich sinnvoller gewesen wären als das Zentralklinikum in Winnenden. Ich glaube nach wie vor, dass ein denkbarer Ansatz gewesen wäre, die Grund-, Regel- und Notfallversorgung in einer anderen Aufstellung in Backnang zu erhalten. Aber das ist Schnee von gestern. Mehrheitsentscheidungen muss man akzeptieren, selbst wenn ich davon bis heute nicht restlos überzeugt bin.

Die Bürger im Rems-Murr-Kreis nehmen das neue Krankenhaus aber sehr gut an.

Wieso sollten sie es auch nicht annehmen? Es gibt in Winnenden ja hervorragende Ärzte und Pflegekräfte. Ich habe auch niemals gesagt: Geht nicht in dieses Klinikum. Es ging ja nur um die Frage: Was ist der richtige Ansatz? Und da haben mich nicht nur lokalpolitische, sondern auch sachliche Überlegungen zu meinem Standpunkt gebracht. Aber ich hielte es für falsch, die Diskussion jetzt noch einmal neu zu eröffnen.

Im Stuttgarter OB-Wahlkampf wurde Ihnen von Ihren politischen Gegnern eine rückwärtsgewandte Verkehrs- und Klimapolitik vorgeworfen. In Karikaturen wurden Sie als Dinosaurier dargestellt. Alles nur Wahlkampfgetöse oder vielleicht doch berechtigte Kritik?

Ich halte es für rückwärtsgewandt und kontraproduktiv, wenn man eine restriktive Verkehrspolitik betreibt, die auf Verbote und Bevormundung setzt. Ich bin der Meinung, man braucht ein ganzheitliches Verkehrskonzept, und dazu gehören ÖPNV, Fahrrad, Fußgänger und auch das Auto. In einer Innenstadt muss man starke Anreize schaffen für ÖPNV, Fahrrad und Fußgänger. Aber das Automobil wird auch dort eine Bedeutung behalten. Ich weiß nicht, was daran rückwärtsgewandt sein soll. Ist es denn vorwärtsgewandt, in der Autostadt Stuttgart das Automobil zu verbieten?

Tatsächlich ist der viele Autoverkehr in der Stadt auch aus Sicht der Backnanger ein großes Problem. Das hat die repräsentative Umfrage beim BKZ-Bürgerbarometer gezeigt. Könnte man hier mit neuen Ideen nicht mehr erreichen? In Tübingen ist zum Beispiel das Busfahren am Samstag kostenlos.

Ich glaube, dass in einer Universitätsstadt wie Tübingen etwas andere Regeln gelten. In einer Stadt wie Backnang, die als Mittelzentrum so stark in der Fläche liegt, ist es ganz schwer für den ÖPNV, gegen das Auto anzukommen. Aber natürlich wird man auch hier versuchen müssen, den ÖPNV in den nächsten Jahren weiter zu stärken. Und bitte vergessen Sie nicht: Der „rückwärtsgewandte Nopper“ hat immerhin die S4 maßgebend durchgesetzt und die Busverkehre im Stadtgebiet ausgebaut.

Im Interview vor einem Jahr hatten Sie für das erste Halbjahr 2020 ein städtisches Klimaschutzkonzept angekündigt. Bis heute liegt aber noch keines vor. Das wirkt nicht so, als ob das Thema in der Prioritätenliste der Stadt sehr weit oben rangiert.

Das liegt an Corona, weil dieses Thema in diesem Jahr unglaublich viele Kräfte in allen Teilen der Verwaltung gebunden hat. Aber wir werden dieses Konzept baldmöglichst im Jahr 2021 vorlegen mit dem Ziel, Backnang bis 2035 klimaneutral zu machen.

Im Gemeinderat gab es jüngst wieder Kritik, weil die Anträge der Fraktionen oft in der Schublade verschwinden und nie mehr thematisiert werden. Verfolgt die Verwaltung nur ihre eigene Agenda und hält Vorschläge aus dem Gemeinderat für weniger wichtig?

Nein, wir haben in den vergangenen Jahren auch immer wieder Sitzungen gemacht, in denen wir ausschließlich Anträge behandelt haben. Es gibt Städte, die beraten sämtliche Anträge im Rahmen der Haushaltsberatungen. Das geht aber nur, wenn man die Anträge relativ oberflächlich behandelt. Der andere Weg ist, zu sagen: Wir verteilen das aufs Jahr. Das birgt das Risiko, dass die Anträge dann immer wieder geschoben werden, wenn unaufschiebbare Dinge kommen. Und so ist es leider bei uns häufiger gewesen, insbesondere im Coronajahr 2020. Wir hatten ja zwei Monate lang überhaupt keine Sitzungen und danach war die Sitzungsdauer zeitweise auf zwei Stunden begrenzt.

Obwohl Corona auch ein Loch in den städtischen Haushalt reißt, halten Verwaltung und Gemeinderat an fast allen geplanten Großprojekten fest. Gleichzeitig wird immer wieder betont, für neue Wünsche sei nun kein Spielraum mehr. Bedeutet das, dass Ihr Nachfolger auf Jahre hinaus nur noch Ihr Erbe verwalten und keinerlei eigene Akzente setzen kann?

Mit dem Zukunftsbahnhof und dem IBA-Projekt Backnang-West gibt es durchaus auch künftig große Gestaltungsmöglichkeiten mit städtischer Beteiligung. Dennoch werden die nächsten Jahre aus heutiger Sicht vor allem Jahre der Umsetzung sein und weniger Jahre der Planung von ganz neuen Projekten. Aber Dinge umzusetzen und dann einzuweihen, ist ja auch etwas sehr Schönes. Wir kommen gerade aus einer Zeit der wirtschaftlichen und fiskalischen Prosperität, die ihresgleichen sucht und die man nicht immer erwarten kann.

Vor 18 Jahren sind Sie als Fremder in die Stadt gekommen, heute kennen Sie Backnang und seine Bewohner wie Ihre Westentasche. Welchen Rat würden Sie einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger geben, der oder die jetzt neu nach Backnang kommt?

Da möchte ich nicht mit weisen Ratschlägen glänzen. Wenn mich jemand um meinen Rat fragen sollte, würde ich ihn demjenigen oder derjenigen unter vier Augen geben.

„Habe diese Herausforderung gesucht“

An seinem Stil will Frank Nopper nichts ändern: „Ich habe den Eindruck, dass die Erwartung an die Bürgernähe des Oberbürgermeisters in Stuttgart sehr ähnlich ist wie in Backnang.“