Eine Beschäftigtenbefragung durch die Gewerkschaft Verdi beleuchtet eine vornehmlich negative Einschätzung der Arbeitsbedingungen – ein Alarmsignal für Arbeitgeber.
Die große Mehrheit der Beschäftigten im Einzelhandel sieht sich bei der Arbeit oft gehetzt.
Von Matthias Schiermeyer
Der Einzelhandel leidet schon heute – noch vor dem Abgang der Babyboomer – unter akutem Personalmangel: 122 000 offene Stellen kann er momentan nicht besetzen, wie eine jüngst vom Handelsverband Deutschland (HDE) veröffentlichte Erhebung aufzeigte. Insgesamt werden 3,1 Millionen Menschen beschäftigt.
Vor diesem Hintergrund ist eine aktuelle Umfrage der Gewerkschaft Verdi unter den Beschäftigten zur Bewertung ihrer Arbeitsbedingungen besonders zu beachten. Demnach halten von bundesweit befragten rund 11 700 Beschäftigten 79 Prozent ihren Lohn angesichts der Arbeitsleistung für ein „in geringem Maße“ (53 Prozent) oder „gar nicht“ (26) angemessen. Bei 52 Prozent reicht der Monatslohn „gerade so“ aus, und bei 19 Prozent reicht er nicht mehr aus, um die Lebenshaltungskosten zu decken. 68 Prozent glauben auch, dass ihre Rente später zum guten Leben nicht ausreichen wird.
Durchschnittlich 3628 brutto im Monat
Die Antworten stammen zu 80 Prozent aus dem Einzelhandel sowie zu 20 Prozent aus dem Groß- und Außenhandel. Jede zweite Kraft arbeitet in Vollzeit – vornehmlich im Verkauf, teils in Logistik, Büro und Vertrieb.
Laut dem Statistischen Bundesamt erhält eine Vollzeitkraft im Einzelhandel durchschnittlich 3628 brutto im Monat. Der Bruttostundenverdienst liegt bei 22,26 Euro. Die Effektiventgelte, die unabhängig von der Tarifbindung gezahlt werden, sind von 2022 bis 2024 um 13,4 Prozent gestiegen, so der HDE.
Vielfach wird eine Arbeitsverdichtung beklagt: 76 Prozent müssen „sehr häufig“ (37) oder „oft“ (39) unter Zeitdruck hetzen. Und 70 Prozent geben an, sie müssten seit zwölf Monaten in gleicher Zeit deutlich mehr leisten als früher. 67 Prozent stellen fest, durch die Arbeit in hohem (30) und sehr hohem Maße (37) gesundheitlich belastet zu sein. Und 78 Prozent der an der Befragung Teilnehmenden können sich letztlich nicht vorstellen, ihren Job ohne Einschränkungen bis zur Rente durchzuhalten.
Zu schaffen macht jeder zweiten Kraft ferner eine respektlose Behandlung durch Kunden beziehungsweise Vorgesetzte. Besonders alarmieren muss Arbeitgeber angesichts der Personalnöte, dass 62 Prozent den Job am liebsten wechseln würden, wenn sie die Möglichkeit hätten.
62 Prozent würden am liebsten den Job wechseln
Die Befragungsergebnisse in Baden-Württemberg deckten sich weitestgehend mit den bundesweiten Zahlen, sagt der Landesfachbereichsleiter Wolfgang Krüger. Er will die Ergebnisse bald mit den Beschäftigten bei Betriebsversammlungen diskutieren. Eine Forderung an die Arbeitgeberseite sei es, „die Beschäftigten frühzeitig und umfassend in die Gestaltung einer sich wandelnden Arbeitswelt einzubeziehen“.