Zu viel Essen im Müll: Aktionswoche soll helfen

Von Von Vanessa Reiber, dpa

dpa/lsw Stuttgart. Egal, ob matschige Paprika oder verschimmelter Frischkäse: Jedes Jahr kommen tonnenweise Lebensmittel in den Abfall. Das Land will dem Müllberg an den Kragen, aber kann die Größe des Problems nur erahnen.

Zu viel Essen im Müll: Aktionswoche soll helfen

Ehrenamtliche Helfer sortieren Lebensmittel in einer Foodsharing-Station. Foto: Marijan Murat/dpa

Sieht nicht schön aus - ab in die Tonne damit. Oder: im Kühlschrank vergessen und vergammelt. Auf diese oder ähnliche Weise landen in Deutschland jährlich viele Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Mit einer Aktionswoche „Lebensmittelretter - neue Helden braucht das Land“ soll jetzt in Baden-Württemberg etwas dagegen getan werden. „Wäre die weltweite Verschwendung von Lebensmitteln ein Land, wäre es der drittgrößte Produzent von Treibhausgasen“, sagte Verbraucherschutzminister Peter Hauk (CDU) zum Auftakt am Mittwoch in Stuttgart.

Bis zum 6. Oktober will das Ministerium gemeinsam mit dem Handel und der Dualen Hochschule Baden-Württemberg praktische Tipps geben, damit weniger weggeschmissen wird: Obst kann beispielsweise zum Smoothie gemixt werden. Eine Einkaufsliste hilft, nur das zu kaufen, was man wirklich braucht. Vom Ministerium gibt es dazu im Internet auch Erklärvideos.

Nach einer Studie im Auftrag des Bundesernährungsministeriums für 2015 landen in Deutschland knapp zwölf Millionen Tonnen pro Jahr auf dem Müll. Gut die Hälfte davon werfen private Haushalte weg. Der World Wildlife Fund For Nature (WWF) schätzt die Zahl sogar auf bundesweit 18 Millionen Tonnen. Aktuelle Zahlen zur Lebensmittelverschwendung im Südwesten gibt es nicht.

Eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) von 2017 zeigt aber, dass in einem Jahr in den baden-württembergischen Haushalten 22 Kilogramm pro Kopf in die Tonne flogen. Das Land will die Verschwendung bis 2030 um die Hälfte reduzieren, so steht es im Koalitionsvertrag. Dem Verbraucherschutzministerium liegen aber keine konkreten Zahlen darüber vor, wie viele Lebensmittel entlang der Wertschöpfungskette im Südwesten weggeworfen werden, wie ein Sprecher mitteilte. Grundlage für das Ziel im Koalitionsvertrag sei der Wert aus der Studie für den Bund.

Experten haben Zweifel, dass das gelingen kann. „Das Ziel 2030 können wir im Leben nicht einhalten“, sagte David Jans von der Initiative Foodsharing. „Nur mit Freiwilligkeit kriegen wir das Problem nicht in den Griff. Es braucht einen gesetzlichen Rahmen.“ In Frankreich beispielsweise dürfen große Supermärkte Lebensmittel nicht wegwerfen, sondern müssen sie örtlichen Tafeln oder anderen gemeinnützigen Organisationen spenden. Sonst drohen Geldstrafen.

In Deutschland setzt man hingegen auf Freiwilligkeit. So gibt es Firmen, die fehlerhafte Produkte wie zerbrochene Kekse günstiger in Werksverkäufen anbieten. Auch die Beteiligung am Foodsharing (zu deutsch: Nahrung teilen) ist freiwillig: Ehrenamtliche holen aussortierte Lebensmittel bei Betrieben oder Restaurants ab und verteilen sie kostenlos weiter. In Baden-Württemberg gibt es nach Angaben der Initiative mehr als 16 750 sogenannte Foodsaver - also Menschen, die Lebensmittel „retten“.

Auch in einem aktuellen Bundesratsbeschluss heißt es, dass die auf Freiwilligkeit basierenden Konzepte zur Reduzierung der Lebensmittelabfälle nicht ausreichten. „Das Problem ist, dass zum Beispiel ein Gastronom, der sein Buffet nicht ständig nachfüllt, nichts davon hat“, erklärte Tanja Dräger de Teran vom WWF. Am Ende gebe es zwar weniger Müll, aber die Kundschaft gehe dann anderswo essen. Ähnlich sei es bei einem Bäcker, der am Abend fast nichts mehr in der Auslage habe. „Es braucht finanzielle Anreize für Unternehmen, damit sie weniger wegwerfen.“

Das Bündnis Lebensmittelrettung, zu dem auch die 2012 gegründete Initiative Foodsharing gehört, kritisiert auch das Mindesthaltbarkeitsdatum. „Das Mindesthaltbarkeitsdatum verunsichert die Leute“, sagte Jans. Produkte wie Nudeln, Kaffee oder Honig ließen sich noch lange nach dem aufgedruckten Datum verwenden. Vielen Leuten sei außerdem der Unterschied zwischen Mindesthaltbarkeits- und Verbrauchsdatum nicht klar.

Das Verbrauchsdatum gilt für sehr leicht verderbliche Lebensmittel wie Fleisch. Nach Ablauf des Datums kann der Verzehr gesundheitsgefährdend sein. Das Bündnis fordert daher, die Daten so zu drucken, dass der Käufer sie leichter unterscheiden kann. Bei lange haltbaren Produkten gehört das Mindesthaltbarkeitsdatum abgeschafft, meinte Jans.

Verbraucherminister Hauk setzt vor allem auf Information. Strafen könnten nur die „Ultima Ratio“ sein. Im Oktober soll zudem eine „Messwoche“ stattfinden: Dabei sollen Kantinen und andere Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung ermitteln können, wie viel Nahrungsmittel sie entsorgen.

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