Hauptsacheweit weg

Deutschland sollte sich bei der Rückführung von IS-Tätern und ihrer Familien Zeit lassen

Von Wolfgang Molitor

Die Strategie ihrer Anwälte ist denkbar einfach: Hoda Muthana ist demnach „einfach eine blöde, naive, junge dumme Frau“, die sich für die blutige Dschihadistenmiliz Islamischer Staat begeistert habe, als sie Ende 2014 die USA gen Syrien für einen Beitritt zum IS verlassen hatte. Das ist Emotion.

Tatsache dagegen ist, dass die heute 24-jährige Mutter drei Mal IS-Kämpfer geheiratet hat (zwei ihrer Ehemänner wurden bei Gefechten getötet) und sich offensichtlich mit den Zielen der islamistischen Terroristen weiter identifiziert. Wie im Übrigen auch jene 19-jährige Mutter, der die britische Staatsbürgerschaft entzogen werden soll. Sie zeigt bis heute keinerlei Reue über ihre Entscheidung wegen ihrer IS-Mitgliedschaft und bezeichnet den Anschlag auf ein Popkonzert in Manchester 2017 als „Vergeltungstat“ für die Angriffe auf IS-Hochburgen.

Naiv, blöd und jung: Das ist die Stoßrichtung der Anwälte. Oder sollte man besser sagen: die Masche? Urplötzlich geht es in der Debatte, wie man mit ausländischen in Syrien gefangenen oder im Irak internierten IS-Schergen umgehen sollte, vor dem möglicherweise entscheidenden Angriff auf die letzte IS-Bastion in Ostsyrien nicht vorrangig um jene Kämpfer, die an Massenhinrichtungen teilnahmen, drakonische Strafen vollstreckten, Menschen vertrieben und christliche Jesidinnen sexuell versklavten, sondern vorrangig um das Schicksal von vermeintlich 2500 Kindern aus 30 Staaten, deren Familienangehörige mutmaßlich Verbindungen zur IS-Miliz gehabt hatten. Und um Gehirnwäsche.

Jetzt wird das hohe Lied von Rechtsstaatlichkeit und Humanität angestimmt, wie so oft, wenn der westliche Anspruch moralischer Überlegenheit alle Sicherheitsinteressen, jede Gefahr und alles Unrecht vom Tisch wischt. Da macht man sich erst nach der Aufnahme Gedanken, wie es hier mit deutschen IS-Tätern und ihren Familien weitergehen soll. Und klagt lieber darüber, dass im Irak oder in Syrien Garantien für ein faires Verfahren geringer und die Sanktionen viel härter sind als hierzulande. Dabei dürfte es dem deutschen Rechtssystem in der Beweislage schwerfallen, manchen IS-Täter hart zu bestrafen und so die Gesellschaft vor einer Bedrohung auf längere Zeit zu schützen.

Deutschland kann und sollte sich deshalb ruhig viel Zeit lassen, mit der Herausforderung umzugehen, radikalisierte Täter zurückzuholen, denen die im Ausland verübten Verbrechen nicht mehr nachgewiesen werden können – und denen in diesen Fällen allenfalls geringe Strafen drohen. Noch ist niemand darauf vorbereitet, neue Deeskalierungsprogramme aufzustellen, die etwa eine Zusammenarbeit mit „legalistischen Gruppen“ wie der Muslimbruderschaft einschließen könnte, die auch in Deutschland eine Umformung des demokratischen Rechtsstaats in einen islamischen Gottesstaat anstreben, wenn angeblich auch ohne Gewalt. Dass die Überwachung von IS-Rückkehrern ärgerlich, aufwendig und kostspielig ist, räumt Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius schon jetzt ein.

Am Ende könnte sie rechtlich alternativlos sein. Aber nur, weil ein schamloser US-Präsident in die Souveränität eines Landes hineintwittert, besteht noch lange kein erhöhter Handlungsbedarf. Die deutschen IS-Anhänger haben sich für ihren grausamen Weg entschieden. Jetzt sind sie am Ende. Das war ihr Risiko. Es braucht Zeit, ihre Rückkehr vor deutschen Gerichten und neue Aussteigerprogramme organisieren zu können. Bis das in Ruhe und mit Effizienz gelingt, gibt es im Umgang mit IS-Tätern nur eine Richtung: Hauptsache weit weg!

wolfgang.molitor@stuttgarter-nachrichten.de