Hausbau mit ziemlich viel Herzblut

Die bewegte Geschichte der Backnanger Naturfreunde und ihres Domizils in Sechselberg – Hundertjähriges Bestehen wird gefeiert

Die Backnanger Naturfreunde bestehen nun schon seit 100 Jahren. Dies wird am Wochenende auch im Naturfreundehaus Sechselberg gefeiert. Die Arbeit der Backnanger Ortsgruppe war wesentlich vom Bau, Unterhalt und von derFinanzierung des Hauses bestimmt.

Hausbau mit ziemlich viel Herzblut

Beim Bau der Wasserleitung beim Naturfreundehaus Sechselberg: Bild aus den frühen 1950er-Jahren. Es war selbstverständlich, dass die Mitglieder selbst mit anpackten.Fotos: privat (2), A. Becher(1)

Von Ingrid Knack

BACKNANG/ALTHÜTTE. Die Naturfreunde blicken auf eine lange, turbulente Geschichte zurück. „Diese Bewegung zählt mittlerweile 500000 Mitglieder mit gut 340 Naturfreundehäusern. Übrigens: weltweit gibt es in 47 Ländern Naturfreunde-Ortsgruppen“, weiß Vorstandsmitglied Manfred Schiefer.

Die Naturfreunde wurden 1895 in Wien gegründet und zählen weltweit zu den größten Nichtregierungsverbänden. In Baden-Württemberg gibt es über 25000 Mitglieder in rund 190 Ortsgruppen. Sie setzen sich für soziale Gerechtigkeit, eine gesunde Umwelt und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen aller Menschen ein.

Bevor die Backnanger Naturfreunde gegründet wurden, gab es schon verschiedene Arbeiterkulturvereine in der Gerberstadt. Mit den traditionellen Vereinen wollten sie nicht über einen Kamm geschert werden. Vor dem Hintergrund ihrer Aktivitäten lag die Gründung einer Naturfreunde-Ortsgruppe in Backnang schon in der Luft, führt Schiefer aus.

Im Jahr nach Beendigung des Ersten Weltkriegs fanden sich im Backnanger Gasthaus „Zum Kronprinzen“ in der Kesselgasse etliche Bürger zusammen, um eine Ortsgruppe des Touristenvereins „Die Naturfreunde“ ins Leben zu rufen. Unter Leitung des ersten Obmanns Paul Grosse begann schon im ersten Jahr ein reges Vereinsleben. Bevorzugtes Wanderziel war der Schwäbische Wald.

Die politischen Auseinandersetzungen in der Weimarer Zeit gingen auch an der Backnanger Ortsgruppe nicht spurlos vorüber: Schiefer: „So führten die Richtungskämpfe zwischen sozialdemokratisch und kommunistisch organisierten Mitgliedern bis 1932 zum Ausschluss von 200 Ortsgruppen aus dem Gesamtverband.“ Die Backnanger Gruppe wurde zwar nicht ausgeschlossen, doch verließ die Hälfte der wohl eher kommunistisch orientierten Mitglieder die Gruppe.

In den Anfangsjahren indes war die Zahl der Mitglieder beständig gestiegen. Bereits 1923 hatte man mit dem Gedanken gespielt, ein Haus als Wanderstützpunkt und Vereinsheim zu bauen.

Baumaterial wurde mit Handwagen nach Sechselberg gebracht

Nach den Aufzeichnungen des einstigen Obmanns Karl Binder waren beim Baubeginn in Sechselberg gerade einmal 4,20 Reichsmark in der Vereinskasse. Um Geld zu sparen, packten die Mitglieder mit an. Kleinere Mengen Kalk und Zement und sonstiges Baumaterial wurden sehr oft mit einem zweirädrigen Handwagen von Backnang nach Sechselberg befördert. Trotz aller Hindernisse war es möglich, im Spätsommer 1925 das Richtfest im „Waldhorn“ in Sechselberg zu feiern. Im Mai 1926 war die Einweihung. Allerdings gab es bald Unstimmigkeiten, weil das Projekt viel mehr gekostet hatte, als angenommen worden war. Dazu kamen noch die besagten, in der gesamten Organisation auftretenden Richtungskämpfe, die Spaltung der Ortsgruppe in zwei Lager und eine Kampfabstimmung, nach der nur eine knappe Mehrheit der Mitglieder den Naturfreunden erhalten blieb. Die neue Ortsgruppenleitung musste sich zudem mit der Hypothek auseinandersetzen, die zu einem hohen Zinssatz aufs Haus aufgenommen wurde. Dann aber brachten gut laufende Veranstaltungen die finanzielle Wende.

Schließlich kam das Jahr 1933 heran, die Arbeitslosigkeit stieg, die SPD und KPD zerfleischten sich gegenseitig. Neben den Arbeiterparteien waren die Naturfreunde die Ersten, die verboten wurden, ihr Eigentum wurde beschlagnahmt. Sie durften das Haus zwar noch eine zeitlang bewirtschaften, doch das Geld musste abgeliefert werden. Binder: „Versuche, einen neuen Verein zu gründen und damit das Haus zu retten, wurden nicht genehmigt (...) Mit einem Festessen wurde dann im Sommer 1933 das Haus von der NSDAP übernommen und der Hitlerjugend übergeben.“ Dann riss sich nach den Worten Schiefers ein SA-Obersturmführer und späterer Gestapo-Sekretär das Haus unter den Nagel. „Den Gläubigern strich er zuerst ihre Zinsforderungen und minderte die Einlagen um 50 Prozent, bevor er schließlich das Haus zum Spottpreis von 1800 Mark kaufte.“

Nach dem Zusammenbruch des Hitlerregimes 1945 tagten laut Binder die übrig gebliebenen Genossen im Frühjahr 1946 im Gasthaus Hirsch und beschlossen, sobald wie möglich wieder eine Ortsgruppe zu gründen. Vorläufiger Obmann und Sprecher bei der Militärregierung war nun Wilhelm Traub. Bei der Gründungsversammlung im „Storchen“ wählten die Mitglieder Wilhelm Traub als Ersten Obmann und beauftragten ihn, die Rückführung des Hauses in die Wege zu leiten.

Den Kampf um die Rückgabe des Naturfreundehauses beschreibt Manfred Schiefer als ein weiteres dunkles Kapitel in den Annalen der Ortsgruppe. „Eine sogenannte Wiedergutmachungskammer in Backnang sprach im Mai 1949 das Sechselberghaus seinen Erbauern und Eigentümern, der Ortsgruppe Backnang, zu. Die Übernahme des Hauses sollte festlich begangen werden. Am 2. Oktober 1949 setzte sich ein Sonderzug von Stuttgart nach Backnang in Bewegung. Über 1500 Teilnehmer versammelten sich beim Naturfreundehaus. Während die Vorbereitungen zu dieser Hausweihe getroffen wurden, verstand es der unrechtmäßige Besitzer, der ehemalige SA-Mann Keller, durch Einspruch die Rückgabe des Hauses zu verschleppen. So wurde aus der Hausweihe eine Protestkundgebung vor dem verschlossenen Anwesen. Eine Resolution wurde an den Landtag, an die verschiedenen Ministerien und ein Offener Brief an die Landespolizei gerichtet.“

Das Verfahren landete am Ende vor einem Revisionsgericht in Nürnberg, so Schiefer. Dieses bestätigte 1950 den Besitzanspruch der Backnanger Ortsgruppe. Am 15. Juli fand endlich die Einweihung des viel umstrittenen Sechselberghauses statt. „Es war damit das letzte Haus in Baden-Württemberg, das nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgegeben wurde. Es war jedoch wieder das erste, für das eine militärische Nutzung geplant war.“ Ende des Jahres 1987 protestierten rund 250 Menschen, als sich der Leiter des „Fachgebiets für materielle Bedarfsdeckung im Mobilmachungsfall“ vom Kreiswehrersatzamt in Stuttgart angesagt hatte. Das Naturfreundehaus sollte einer militärischen Tauglichkeitsprüfung unterzogen werden. Die Protestierenden stellten sich dem Mann vom Kreiswehrersatzamt in den Weg, sodass dieser nur bis zum Vorraum des Hauses vordringen konnte. Später bekundete das Kreiswehrersatzamt, dass sich die Angelegenheit erledigt habe.

Naturfreundehaus ist mittlerweile verpachtet

Weil es für die Mitglieder zu viel war, das Haus ehrenamtlich zu bewirtschaften, wird es seit einiger Zeit verpachtet. „Nach wie vor ist es aber noch Vereinsgaststätte“, sagt Vorstandsmitglied Peter Müller. Auch haben sich die Schwerpunkte des Vereins geändert: „Die Naturfreunde verstehen sich jetzt eher als Verband für Umweltschutz, sanften Tourismus, Sport und Kultur“, erklärt Schiefer. „Mit einer Familiengruppe, an der sich die Naturfreunde-Ortsgruppen Schwaikheim, Fellbach, Welzheim, Waiblingen und Schorndorf beteiligen, wurde ein Programm ausgearbeitet, das sich speziell an junge Familien richtet. Wanderungen, eine schöne Radtour durch die ,Schwäbische Toskana’, Ausflüge unserer Frauengruppe, ein Seniorenstammtisch im Naturfreundehaus, Vorführungen von Reisefotos und gemeinsame politische Veranstaltungen mit der Backnanger Friedensinitiative, zu deren ,Mitgliedern’ die Awo und der politische Arbeitskreis des CJE gehören, vervollständigen das diesjährige Angebot.“ Vorbei ist die Ära der Freizeiten für Kinder aus Tschernobyl. „Die Gruppe im Schwarzwald, die den zweiten Teil der Kinder aufgenommen hat, ist weggebrochen“, lässt Schiefer wissen. Auch das Erdbeerfest, ein Baustein zur Finanzierung der Aufenthalte, wird nun nicht mehr veranstaltet. Doch an neuen Aufgaben fehlt es nicht.

Info
Zwei Tage Programm

Am Samstag, 5. Oktober, gibt es zuerst eine rund zweistündige Wanderung mit Peter Nothdurft rund um Welzheim. Treffpunkt ist um 13 Uhr beim Naturfreundehaus Welzheim. Um 15.30 Uhr schauen sich Interessierte die KZ-Gedenkstätte an, die Teilnehmer an der Führung haben sich im Vorfeld angemeldet. Ab 17.30 Uhr ist der Ausklang im Naturfreundehaus Welzheim.

Am Sonntag starten die Feierlichkeiten um 12 Uhr mit einer Begrüßung und einem Mittagessen im Naturfreundehaus Sechselberg. Um 14 Uhr spricht Manfred Schiefer vom Vorstand über die Vereinsgeschichte. Um 15 Uhr steht das Thema „26 Jahre Erholungsaufenthalte für Kinder aus der Region Tschernobyl“ (Dieter Löchner) auf dem Programm, um 16 Uhr referiert Andreas Linsmeier, Vorsitzender der Naturfreunde Württemberg, über Ziele im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Um 16.30 Uhr wird zum gemeinsamen Singen eingeladen. 17 Uhr: Verabschiedung. Während des gesamten Nachmittags werden im Sitzungsraum des Wirtschaftsgebäudes in einer Fotoshow Bilder aus der Geschichte der Backnanger Naturfreunde gezeigt. Für Bewirtung ist im Naturfreundehaus gesorgt.